Sportvereine fühlen sich im Ganztagsschulsystem oft ausgenutzt und als Lückenbüßer. Zudem mangele es an Anerkennung für die geleistete Arbeit und grundsätzlich an der Kommunikation zwischen Schule und Verein. Dies waren nur einige der zentralen Aussagen der Info- und Diskussionsveranstaltung des LSB Rheinland-Pfalz.
„Bei den Schulen ist eine Nehmermentalität festzustellen“, konstatierte Moderator Lutz Thieme vom RheinAhrCampus Remagen. Demnach bieten Vereins-Übungsleiter und -Trainer zahlreiche Sportstunden im Ganztagsbetrieb an, ohne von schulischer Seite entsprechende Gegenleistungen zu bekommen. „Wo ist da der Nutzen für die Vereine?“, fragte etwa Klaus Winkelmann vom TV Laubenheim.
Ihre Sorgen und Nöte, aber auch ihre positiven Erfahrungen mit dem Ganztagsschulsystem sollten die 150 Vereins- und Verbandsvertreter im Mainzer Schlossgymnasium in Workshops und Diskussionen äußern. „Es gibt ein geteiltes Echo“, fasste Günter Berg, LSB-Vizepräsident Bildung und Erziehung, zusammen. „Manche nehmen das System als Chance wahr, andere als Risiko.“
Viele Chancen für den Sport
Der JSV Speyer hat beide Erfahrungen gemacht. Anfangs sei die Euphorie groß gewesen, berichtete Geschäftsstellen-Leiterin Gerlinde Görgen. „Wir sind viele Kooperationen eingegangen, ohne jedoch ein übergeordnetes Konzept zu haben.“ 180 Kinder nahmen an den Sportstunden des JSV teil, „dafür gab es jedoch keine Anerkennung, und mit den Schulen auch keine Kommunikation“. Die Folge: Überforderte und frustrierte Übungsleiter und ein mittelgroßes Chaos bei der Organisation. Der Verein besann sich und erarbeitete ein Dreijahreskonzept. „Seitdem ist die Wertschätzung da, die Lehrer helfen bei unseren Sportstunden mit.“ Zwölf Kinder sind inzwischen in den Verein eingetreten, es geht aufwärts.
Auch Thomas Stein sieht im Ganztagsschulsystem viele Chancen für den Sport. „Aber es muss eine Verzahnung, eine fruchtbare Kooperation zwischen Schulen und Vereinen vorhanden sein“, sagte der Schulsportreferent des Judoverbandes Rheinland, gleichzeitig Rektor der Grundschule Weißenthurm. Er beschäftigt zwei FSJler, die ihn bei der Arbeit effizient und kostengünstig unterstützen.
Dieses Beispiel zeigt: Der Sport muss neue Wege gehen und sich anpassen, schließlich ist das Ganztagsschulsystem in Rheinland-Pfalz etabliert. Seit der Einführung im Jahre 2002 ist die Zahl der Ganztagsschulen von 81 auf heute 576 gestiegen. So gab es bei der LSB-Veranstaltung auch keine Grundsatzdiskussion über Sinn oder Unsinn der Ganztagsschule, vielmehr wurde nach Lösungsmöglichkeiten gesucht.
Neue Übungsleiter-Ausbildung
Eine liegt in der besseren Ausbildung der Übungsleiter, die im Ganztagsbereich arbeiten. „Wir müssen auf Ganztagsschulkinder vorbereitet werden“, forderte Martina Speier, selbst Übungsleiterin beim Kneipp-Verein Ludwigshafen. Seit 2008 bietet der LSB Rheinland-Pfalz, als erster der 16 Landessportbünde, die Übungsleiter-B-Ausbildung mit dem Schwerpunkt „Sport im Ganztag“ an. Zudem gibt es in Rheinhessen, dem Rheinland und der Pfalz regionale Beratungsstellen, die Vereinen und Verbänden mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Nichtsdestotrotz kämpfen einige Vereine mit massiven Problemen: Rückläufige Mitgliederzahlen oder schwindende Hallen- und Sportplatzkapazitäten sind da nur zwei wunde Punkte. Beides geht zu Lasten des Breiten- und des Leistungssports. Talentförderung sei nur möglich, wenn entsprechende Trainingsmöglichkeiten im Ganztagssystem gewährleistet seien. Peter Gehrke vom MTV Bad Kreuznach plädierte in diesem Zusammenhang für das Modell der flexiblen Ganztagsschule: „Die Schulen müssten den Vereinsleistungssport als Ersatz für die Nachmittagsbetreuung anerkennen.“ Denkbar sei auch eine Art Belohnungssystem für leistungssportfördernde Schulen.
Frühzeitige Kommunikation und durchdachte Kooperationen sollen die Zukunft der Sportvereine im Ganztagsschulsystem sichern helfen. „Jetzt gilt es, die Ergebnisse dieser Veranstaltung in Gesprächen mit der ADD und den Ministerien in konkrete Handlungsempfehlungen umzusetzen, um Potenziale ausschöpfen zu können“, bilanzierte LSB-Vizepräsident Günter Berg. „Wir dürfen die Probleme nicht auf die lange Bank schieben.“ Die wertvolle Arbeit der Vereine müsse unbedingt stärker gewürdigt werden. „Die Übungsleiter muss man wie Goldstücke behandeln“, forderte Workshop-Leiter Wolfgang Stolte. Denn sie sind im Ganztagsschulsystem weit mehr als nur Lückenbüßer.
Autor: Jochen Dick