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Sportwissenschaft – eine moderne „systembereichernde“ Disziplin?
Am 15. Mai 1920 wurde die weltweit erste Hochschule für Leibesübungen in Berlin gegründet. Seitdem hat sich die Sportwissenschaft ständig weiterentwickelt.
„100 Jahre Sportwissenschaft in Deutschland“ - mit diesem Zeitzeichen wirbt die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) schon seit Beginn des Jahres und beruft sich auf den 15. Mai 1920, als in Berlin im heutigen Olympiapark die Deutsche Hochschule für Leibesübungen (DHfL) als erste (private) Sporthochschule der Welt gegründet wurde. Sie bot damals eine Ausbildung mit Abschluss eines Diploms an und verstand sich auch als freie wissenschaftliche Forschungseinrichtung auf dem Gebiet des Sports bzw. nominell der Leibesübungen, damals gängiges Synonym für die verbreiteten Formen von Bewegung, Turnen, Gymnastik und Sport.
Zeitensprung: Die Geburt der modernen Sportwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland lässt sich nicht so eindeutig mit einem Tagesdatum festmachen. Es sind gleich mehrere Ereignisse und Entwicklungen zu nennen, die Ende der 1960er bis etwa Mitte der 1970er Jahre dazu geführt haben, dass sich die Sportwissenschaft als Wissenschaftsdisziplin in Lehre und Forschung an den Universitäten hierzulande etablieren konnte. Die Vergabe der Olympischen Spiele nach München 1972 und die Erfindung der Trimm-Dich-Aktion im Deutschen Sportbund 1970 waren dabei zum Beispiel zwei große außeruniversitäre Meilensteine, die den Sport verstärkt in das Licht der Öffentlichkeit gebracht haben und von der die Sportwissenschaft inneruniversitär profitieren konnte.
Die Gründung eines Bundesinstituts für Sportwissenschaft ebenfalls im Oktober 1970 war somit eine sachlogische Folgeentscheidung. Die Expansion bzw. Ausdifferenzierung der Sportwissenschaft in Teildisziplinen (z.B. Biomechanik, Sportökonomie) an immer mehr alten Standorten (z.B. Tübingen, Gießen) und Neugründungen (z.B. Bochum, Konstanz) hatte fruchtbaren Nährboden. Die Gründung der dvs im Oktober 1976 avancierte zu einem weiteren verbandspolitischen Fundament. Die Sportwissenschaft konnte wachsen, weil der Sport wuchs. Die Sportwissenschaft reüssiert als angewandte Wissenschaft für den Sport und hat dabei längst ein breites Sportverständnis internalisiert, das nicht beim Kanon olympischer Sportarten aufhört, sondern sämtliche moderne Praktiken und Ausrichtungen von „Körpern in Bewegung“ kritisch in den Blick nimmt.
Stellt sich in sorgenvollen Krisenzeiten nur noch die Frage: Ist die Sportwissenschaft etwa (nicht) systemrelevant? Ihre Stimmen werden derzeit eher „ex negativo“ wahrgenommen. Die Sportwissenschaft hatte den öffentlichen Stillstand im Sport zunächst als „time-out“ zu konstatieren und (negative) Folgen zu bedenken, konnte aber auch Möglichkeiten aufzeigen, wie das Beste daraus zu machen sei. Sie mischt sich ein. Sie tut dies nicht im Rang, sondern eher in Relation zu anderen systemrelevanten Wissenschaften (z.B. Gesundheit, Wirtschaft) – wohl wissend, dass der Sport allein nicht lebensnotwendig ist. Gerade wenn und weil wir den Sport in den letzten Wochen vermisst haben, können wir uns jetzt wieder umso mehr vergegenwärtigen, inwiefern er unser Leben bereichert. Für eine humane Sportwissenschaft ist das ein willkommener Anlass, sich zukunftsweisend als „systembereichernd“ zu positionieren. Das Gründungsdatum der DHfL in Berlin am 15. Mai 1920 kann so gesehen eine historische Bühne darstellen, die auch – Corona hin oder her – nach 100 Jahren immer noch Resonanz ausstrahlt.
(Autor: Prof. Dr. Detlef Kuhlmann)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.
Frau sitzt an einer Computersimulation während ein Mann mit Elektroden am Köprer einen salto macht Foto: picture-alliance
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