Sportwissenschaftlicher Hochschultag in Münster eröffnet

NOK-Ehrenmitglied Digel fordert Beratungsleistungen für Olympiabewerbung und Aktive

NOK-Ehrenmitglied Digel fordert Beratungsleistungen für Olympiabewerbung und Aktive

In einem Grußwort des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) zur Eröffnung des 16. Hochschultages der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS) hat NOK-Ehrenmitglied Prof. Dr. Helmut Digel am Sonntagabend (21.09.) in Münster (Westfalen) vor etwa 500 Delegierten sportwissenschaftlicher Institute eine engagierte Unterstützung für die deutsche Olympiabewerbung 2012 und die Belange des Hochleistungssports gefordert.

 

"Die Bewerbung Leipzigs kann wohl kaum besser unterstützt werden als über die Erfolge unserer Athletinnen und Athleten, die sie bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen erreichen. Deshalb sind wir alle aufgerufen, ihren Weg zur sportlichen Spitzenleistung zu begleiten, ihnen mit unseren Beratungsleistungen zu helfen", sagte Digel, selbst Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Tübingen.

 

Digel, der Grüße von NOK-Präsident Steinbach überbrachte, versicherte, das NOK werde sich auch künftig für den Erhalt der sportwissenschaftlichen Strukturen in Deutschland engagieren und für eine qualitativ anspruchsvolle Weiterentwicklung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (Bisp) und des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) einsetzen.

 

Von NOK und Deutschem Sportbund (DSB) erwartet Digel eine institutionelle Partnerschaft mit den Universitäten in Deutschland. Dankbar dürfe das NOK die Unterstützung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz für die Aktiven zur Kenntnis nehmen, doch auf diese Weise werde nur ein Teil der Hochleistungssportkarrieren abgesichert: "Die Hochschulen und Universitäten, die naheliegendsten Ausbildungsstätten für junge Menschen nach Beendigung ihrer schulischen Ausbildung erbringen hingegen ebenso wie Wirtschaft und Industrie nur einen sehr ungenügenden Beitrag zur Förderung junger Hochleistungssportler", bilanzierte Digel, dass von "drei relevanten Säulen, die den Hochleistungssport in der bedeutsamen Phase zwischen 18 und 25 Jahren tragen sollten, lediglich die Säule der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes intakt sind".

 

Das Grußwort des NOK-Ehrenmitglieds im Wortlaut.

 

Prof. Dr. H. Digel

 

Grußwort des NOK zum Hochschultag des DVS

 

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

ich möchte Ihnen im Namen von Herrn Steinbach, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, Grüße und gute Wünsche für Ihren - ich darf aber auch sagen - für unseren wissenschaft-lichen Hochschultag überbringen. Es gibt gute Gründe, warum die füh-renden Repräsentanten der deutschen Sportorganisationen sehr gerne Gast bei dieser wichtigen wissenschaftlichen Veranstaltung sein sollten. Nicht zuletzt kann man sich bei den sportlichen Hochschultagen in eine kritische Diskussion mit jenen Repräsentanten der deutschen Sportwis-senschaft begeben, die sich an ihren Instituten mit den Problemstellun-gen des deutschen Sports auseinander setzen und die auch verantwort-lich zeichnen, dass in Deutschland ein akademisch qualifiziertes Perso-nal zur Verfügung steht, das internationalen Ansprüchen genügt.

 

Für das Nationale Olympische Komitee für Deutschland, vor allem aber auch für die olympischen Spitzenverbände sollte eine Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft mehr als eine bloße Selbstverständlichkeit sein. Der Olympische Sport steht vor schwierigen Herausforderungen, die ohne eine wissenschaftliche Beratung nur sehr unzureichend gemeistert werden können. Wo immer heute Hochleis-tungssport in dieser Welt getrieben wird, findet eine intensive Diskussion über eine erfolgversprechende Zusammenarbeit des olympischen Sports mit den verschiedensten Wissenschaften statt. Fast sämtliche wissen-schaftliche Teildisziplinen der Sportwissenschaft sind dabei gefragt und angesichts der Probleme mit denen der heutige Hochleistungssport kon-frontiert ist, kann eine weitere Intensivierung dieser Kooperation erwartet werden.

 

In Deutschland deuten einige Entwicklungen darauf hin, dass sich der Spitzensport in unserem Lande nur in einigen Sportarten so entwickelt, wie sich dies die Repräsentanten aus Sport, Politik, Wirtschaft und Me-dien wünschen. Sorgen über die zukünftige Entwicklung des Hochleis-tungssport in Deutschland werden in diesen Tagen immer häufiger öf-fentlich zum Ausdruck gebracht. Der Medaillenspiegel bei Weltmeister-schaften und Olympischen Spielen ist dabei der alleinige Gradmesser für die Qualität eines Spitzensportsystems der modernen Gesellschaften geworden. „To be the top of the World“ ist nicht nur der Anspruch, den sich unsere Nachbarn in Großbritannien gesetzt haben, auch Russland, USA und China haben sich auf diese anspruchsvolle Ziel festgelegt. Die Bundesrepublik und die Verantwortlichen des deutschen Hochleistungs-sports möchten sich auch zukünftig zu den drei erfolgreichsten Nationen bei den Olympischen Spielen zählen lassen. Doch dieses Ziel ist ange-sichts einiger bedenklicher Entwicklungen im System des Hochleis-tungssports selbst, aber auch angesichts des sozialen Wandels unserer Gesellschaft für die Verantwortlichen des deutschen Spitzensports frag-würdig geworden. Was liegt also näher, als die bestehenden Strukturen auf den Prüfstand zu stellen? Was liegt näher, als sich der Frage zu stel-len, ob das ausgebildete Personal im Hochleistungssport modernen, d.h. vor allem auch wissenschaftlich fundierten Maßstäben genügt, ob die Arbeitsstrukturen vor Ort den Belangen des Internationalen Spit-zensports gerecht werden. Was liegt dabei aber auch näher, als sich auf die Universitäten zuzubewegen und die sportwissenschaftlichen Institute und die dort arbeitenden Sportwissenschaftler um Hilfen zu bitten, viel-leicht sie aber auch daran zu erinnern, dass vor allem auch sie über die Entwicklung und den Stellenwert des Hochleistungssports in unserer Gesellschaft mit entscheiden. Meines Erachtens haben die deutschen Hochschulen und Universitäten für die zukünftige Entwicklung des Hoch-leistungssports in unserem Lande eine zentrale Verantwortung zu tra-gen. Denn nur mit Hilfe der Universitäten und Hochschulen, nur mit der Unterstützung herausragender Forscher und Forscherinnen kann sich auch zukünftig Deutschland über einen international konkurrenzfähigen Spitzensport repräsentieren, der sich hoffentlich auch und vor allem durch Humanität auszeichnet. Das NOK für Deutschland ist jedoch nicht nur gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund auf die Bereitstellung sportwissenschaftlicher Beratungsleistungen angewiesen.

 

Er benötigt auch eine institutionelle Partnerschaft mit den Universitäten Deutschland. Längst ist es offenkundig, dass man in Deutschland gewiss noch sehr viel mehr Talente für den Hochleistungssport finden könnte, als dies heute der Fall ist. Doch die Talentfindung und die Talentförde-rung im Kindes- und Jugendalter gelingt in der Regel nach wie vor. Jun-ge deutsche Athletinnen und Athleten erzielten in den vergangenen Jah-ren, aber auch in diesem Jahr bei Jugendweltmeisterschaften, Junioren-weltmeisterschaften und U23-Weltmeisterschaften herausragende Plät-ze. Beobachtet man die Entwicklung jugendlicher Leistungskarrieren je-doch etwas genauer, so ist jedoch offensichtlich, dass die Phase nach Beendigung der schulischen Ausbildung zu einer äußerst kritischen Pha-se für die jungen Hochleistungssportler wird. Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland kann nur seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dass die Sportförderkompanien der Bundeswehr und dass der Bundesgrenzschutz den deutschen Athletinnen und Athleten gerade in dieser kritischen Phase eine ideale Trainings- und Wettkampfbedingun-gen ermöglicht und dass man, nicht zuletzt dank dieser einmaligen Un-terstützung, nach wie vor in vielen Sportarten die Spitzenpositionen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen erreichen kann. Doch auf diese Weise wird nur ein Teil der Hochleistungssportkarrieren abgesi-chert und getragen. Die Hochschulen und Universitäten, die nahelie-gendsten Ausbildungsstätten für junge Menschen nach Beendigung ihrer schulischen Ausbildung erbringen hingegen ebenso wenig wie die Wirt-schaft und die Industrie, nur einen sehr ungenügenden Beitrag zur För-derung junger Hochleistungssportler. Es ist wohl zu begrüßen, dass nun immer mehr Universitäten und Verbände dem Vorbild gefolgt sind, das mit der ersten vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Deutschen Leichtathletik Verband und einer Universität gesetzt wurde. Betrachtet man jedoch die Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen, fragt man bei den Athleten nach, unter welchen Bedingungen sie an den deut-schen Universitäten studieren, wer ihnen dabei hilft, Studium und Hoch-leistungsport in qualitativ anspruchsvoller Weise auf einen Nenner zu bringen, so sind meist Fehlanzeigen zu verzeichnen. Noch gravierender sind die Defizite in Bezug auf Ausbildungsplätze in Wirtschaft und Indust-rie. Auf diese Weise sind von den drei relevanten Säulen, die den Hoch-leistungssport in der bedeutsamen Phase zwischen 18 und 25 Jahren tragen sollten, lediglich die Säule der Bundeswehr und des Bundes-grenzschutzes intakt. Es kann deshalb nicht überraschen, dass im deut-schen Hochleistungssport manches Talent sich in dieser kritischen Pha-se für einen Weg außerhalb des Hochleistungssport entscheidet, dass viele junge Menschen trotz ihres Talents nicht bereit sind, die Risiken auf sich zu nehmen, die eine Karriere im Hochleistungssport notwendiger-weise mit sich bringt. Deshalb wäre es für das Nationale Olympische Komitee mehr als wünschenswert, wenn sich nicht zuletzt die Institute für Sportwissenschaft an den Hochschulen und Universitäten engagiert für die Belange des Hochleistungssports einsetzen, dass sie über die Fakul-tätsgrenzen hinaus ihre Kolleginnen und Kollegen auf die Bedeutung der Universität für die Entwicklung des Hochleistungssports in Deutschland hinweisen, um auf diese Weise eine vergleichbare Unterstützung durch die Bildungsinstitutionen für den Hochleistungssport zu erreichen, wie dies international in anderen Gesellschaften heute der Fall ist.

 

Ohne Zweifel sind unsere Verbände, sind unsere Trainer, sind vor allem unsere Athletinnen und Athleten auf die Erkenntnisse der Sportwissen-schaft angewiesen. Sie benötigen ihre Forschungsergebnisse, wollen sie international konkurrenzfähig sein. Deshalb darf ich im Namen der Athle-tinnen und Athleten Ihre Beratungsleistungen erbitten, wobei sie mög-lichst alle Problembereiche des modernen Spitzensports umfassen soll-ten. Bislang war es immer nur üblich, trainingsmethodische Fragestel-lungen und Fragestellungen der angemessenen Ernährung und sport-medizinischen Betreuung in das Zentrum des Interesses zu rücken. Der Hochleistungssport braucht auch gute psychologische Beratung, er braucht auch pädagogisch-didaktische Konzepte für ein erfolgreiches Training und für eine sinnvolle Wettkampfplanung, er braucht aber auch eine Aufklärung über den chancengleichen und fairen Wettkampf.

 

Forschung und Lehre, die dem Spitzensport Nutzen bringen, das werden vielleicht einige von Ihnen nun einwenden, sind jedoch kostenintensiv. Sie können nur betrieben werden, wenn die Institute, wenn die Lehrstüh-le erhalten werden, wenn öffentliche Mittel für die erwünschte Forschung zur Verfügung gestellt werden. Sie alle wissen um die schwierige Haus-haltssituation in unserem Lande, die auch die Spitzensportförderung und Spitzensportforschung beeinträchtigt. In einer Situation, in der es immer schwerer wird, bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaf-ten erfolgreich zu partizipieren, sind wir von dieser kritischen Finanzlage äußerst direkt betroffen. Ich möchte Ihnen versichern, dass das Nationa-le Olympische Komitee sich auch zukünftig für den Erhalt der sportwis-senschaftlichen Strukturen in Deutschland engagieren wird und dass es sich auch für eine qualitativ anspruchsvolle Weiterentwicklung des Bun-desinstituts für Sportwissenschaft und des Instituts für Angewandte Trai-ningswissenschaft einsetzen wird.

 

Wir sollten jedoch auch darauf hinweisen, dass nicht alles, über das wir in diesen Tagen im Hochleistungssport zu entscheiden haben, eine Fra-ge der Finanzen ist. Athletinnen und Athleten aus kleineren und ärmeren Ländern, aber auch aus anderen Industrienationen erinnern unsere Akti-ven und uns heute schmerzlich an eine Zeit, in der der Sport auch hier-zu Lande eine der wenigen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs dar-stellte. Deutschland wird sich um die Olympischen Spiele 2012 mit Leip-zig, einer der schönsten Städte Deutschlands und einer wirklichen Sportstadt bewerben. Die Bewerbung Leipzig’s kann wohl kaum besser unterstützt werden als über die Erfolge unserer Athletinnen und Athleten, die sie bei den Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen erreichen können. Deshalb sind wir alle aufgerufen, Athletinnen und Athleten auf ihrem Weg zur sportlichen Spitzenleistung zu begleiten, ihnen mit unse-ren Beratungsleistungen zu helfen. Auf diese Weise können am ehesten die hochgesteckten Ziele, die sich Deutschland mit den Olympischen Spielen im Jahr 2012 gesetzt hat, erreicht werden. Das Nationale Olym-pische Komitee wird sich bemühen, die Olympiabewerbung auf einen erfolgversprechenden Weg zu führen. Damit könnte auch der sportwis-senschaftlichen Lehre und Forschung an den Universitäten ein ange-messener Platz gesichert werden. Der organisierten Sportwissenschaft, vor allem aber den Sportwissenschaftlern an den Instituten, wird eine wichtige Rolle zukommen, soll die Bewerbung Deutschlands gelingen. Im Namen des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland möchte ich Sie deshalb alle bitten, dass Sie sich engagiert für die Belan-ge des Hochleistungssports einsetzen. Vielleicht kann gerade eine enge Kooperation mit der Sportwissenschaft ein besonderes Darstellungsmit-tel der deutschen Olympiabewerbung sein. Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland wäre gut beraten, wenn es sich auf eine solche Kooperation einlässt. Für den Hochschultag möchte ich Ihnen, möchte ich uns ein gutes Gelingen wünschen.

 

Dankeschön.

 

 

 

 



Weitere Links:
Der Sportwissenschaftliche Hochschultag im Internet