"Starke Netze gegen Gewalt: Interkulturell": Sport hilft über Sprachbarrieren hinweg

„Im vergangenen Jahr sind sehr viele geflüchtete Menschen in unser Land gekommen, die unsere Unterstützung brauchen“, mit diesen Worten brachte Dr. Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung des DOSB, die Verantwortung des Sports am vergangenen Dienstag bei der Auswertungsveranstaltung 'Starke Netze gegen Gewalt: Interkulturell' in Berlin auf den Punkt.

Camera4
Auswertungsveranstaltung des Teilprojektes "Starke Netze gegen Gewalt: interkulturell"

"Sport kann ohne die Barriere von Sprache mittels globaler Regeln und nonverbaler Kommunikation eine starke integrative Kraft entwickeln und so soziale Einbindung schaffen. Gerade die besonders durch Gewalt bedrohten Mädchen und Frauen finden hier einen sozialen Raum, in welchem ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird und ihnen so auch hilft, aus der Opferrolle herauszutreten.“

In dem seit Mitte diesen Jahres laufenden Teilprojekt bündelt Deutschlands größte Bürgerbewegung die langjährigen und umfangreichen Erfahrungen im Bereich Integration und sexualisierte Gewaltprävention. Laut einer Studie der Humboldt-Universität zu Berlin spielt die Mädchen- und Frauenarbeit in den am Programm teilnehmenden Vereinen eine zunehmende Rolle – immerhin rund zwei Drittel der befragten 441 Stützpunktvereine machen Frauen und Mädchen gezielt stark. Bemerkenswert hoch ist die Akzeptanz der Angebote bei Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund – jeder fünfte Teilnehmende kommt aus dieser Personengruppe. „Einen wesentlichen Einfluss auf die Teilnahme von Migrantinnen hat die Persönlichkeit des Übungsleiters“, referierte Anne Rübner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am sportwissenschaftlichen Institut, über die Gatekeeper-Funktion der Übungsleitenden. „Bei weiblichen Übungsleiterinnen steigt der Anteil von Migrantinnen in den Kursen auf 30 Prozent. Hat die Übungsleiterin selber einen Migrationshintergrund sind es sogar 63 Prozent.“

Zudem fallen Migrantinnen durch ihre besonders hohe Motivation für ein ehrenamtliches Engagement in den Stützpunktvereinen auf – viele von ihnen erhoffen sich dadurch Qualifikationen, die sie beruflich voranbringen. Eine Einschätzung, die Angela Andree vom Nordrhein-Westfälischen Judo-Verband nach den ersten Monaten der Projektarbeit teilt: „Über den Sport kann man hervorragend neue Kontakte knüpfen und über diese Kontakte Zugang zu anderen Bereichen bekommen – das kann eine große Hilfestellung für Migrantinnen sein.“

 

 

Wie man Sprachbarrieren und Berührungsängste beim Training überwindet, warum ein Männer-Verbot in der Turnhalle nicht die Lösung sein kann und weshalb es keine Patentrezepte in der Ansprache von Migrantinnen gibt, erklärt Angela Andree vom Nordrhein-Westfälischen Judo-Verband im Interview. Ihre Erfahrungen stammen u.a. aus der Zusammenarbeit mit den Sportvereinen JC Beckum, JC Velen Reken und JC Banzai Gelsenkirchen.

Interview: Michaela Rose

 

„Man kann nicht einfach Plakate aufhängen“

Frau Andree, der Judo-Verband in NRW ist Projektpartner des DOSB-Teilprojektes 'Starke Netze gegen Gewalt: Interkulturell'. Was bringt Kampfsport den Migrantinnen in puncto Integration?

Angela Andree: Über den Sport hat man generell die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen – man interessiert sich also schon mal für das gleiche Thema. Beim Kampfsport können Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund sich außerdem selber und den eigenen Körper wahrnehmen – insbesondere wenn sie noch nie sportlich aktiv waren – ein neues Selbstbewusstsein und auch eine andere Empfindsamkeit für bestimmte Situationen erlangen. 

Und das trotz wahrscheinlich vorhandener Sprachbarrieren?

Angela Andree: Im Kampfsport passiert viel nonverbal – Techniken und Zweikampfformen werden vorgemacht ohne viel erklären zu müssen. Jemand, der die Sprache nicht versteht, kann die Bewegungen trotzdem sehen und nachmachen. Weiterer Vorteil: Beim Judo fasst man sich an. Die Partnerin ist die wichtigste Person beim Erlernen von Techniken und Bewegungen. Das kann in Form von Berührungsängsten zunächst natürlich schwierig sein, aber wenn diese Hürde überwunden ist, können sich beide auch taktil helfen.

Apropos Anfassen – ist das gerade bei Migrantinnen mit Gewalterfahrungen nicht schwierig?

Angela Andree: Das „Anfassen“ spielt eigentlich – außer bei Kindern – immer eine Rolle und bei Mädchen und Frauen sowie Migrantinnen, die Gewalterfahrungen gemacht haben, sicher eine sehr große Rolle. Da würde ich sehr vorsichtig agieren und Körpernähe nur sukzessive zulassen. Also mit körperfernen Übungen beginnen, dann langsam zu körpernahen Bewegungsformen übergehen.

Braucht man für die traumatisierte Zielgruppe ein „Männer-Verbot“ in der Turnhalle?

Angela Andree: Traumatisierte Mädchen und Frauen können sicher nicht einfach über Sportangebote therapiert werden. Da würden die Übungsleitenden sehr schnell an ihre persönlichen Grenzen stoßen, was sie leisten können und was nicht.

Dann also Geschlechtertrennung in der Turnhalle?

Angela Andree: Ich finde eine generelle Geschlechtertrennung schwierig, denn wir wollen nicht nur Frauen und Mädchen, sondern auch Männer und männliche Jugendliche integrieren. Die meisten Vereine bieten zudem ein gemeinsames Judotraining für Kinder oder Jugendliche oder Erwachsene an. Es gilt auch hier, gegenseitigen Respekt und Wertschätzung füreinander zu entwickeln und zu stärken. Trotzdem wird eine Geschlechtertrennung manchmal nötig sein, da man die Frauen und Mädchen sonst gar nicht zu den Sportangeboten hin bekommt. Vielleicht fühlen sie sich aber auch durch gemeinsame Angebote unter dem Aspekt der Integration angesprochen.

Wie kommt man überhaupt an die Menschen heran, die unsere Sprache kaum beherrschen, die sozial noch nicht eingebunden sind und sich in einem fremden Land erst einmal ihr neues Leben einrichten müssen?

Angela Andree: Dafür gibt es sicher keine Patentlösung – wir haben unterschiedliche Ansätze ausprobiert. Erfolgversprechend ist die Kontaktaufnahme zu Menschen und Organisationen, die mit Migrantinnen zu tun haben. Ansonsten ist es schwierig – man kann ja nicht einfach irgendwo ein Plakat hinhängen. Die persönliche Ansprache ist auch hilfreich, allerdings muss man wissen, wo man die Menschen finden kann und versuchen, Zugang zu der Gruppe zu bekommen.

Haben Sie das geschafft?

Angela Andree: Obwohl wir bereits Erfahrungen mit Projekten zum Thema ‚Starke Netze gegen Gewalt!’ haben, war es auch für uns eine Herausforderung, an die Zielgruppe der geflüchteten Frauen heranzukommen. Ein Beispiel hierfür ist die Räumung der Erstaufnahmelager in den letzten Monaten. Für die betroffenen Menschen war das natürlich gut, für uns dagegen schwierig, weil uns dann wieder der Zugang zu den Frauen fehlte. Gerade für sie wäre der Sport vielleicht eine schöne Abwechslung gewesen.

Wie geht es weiter?

Angela Andree: Aktuell sind viele Flüchtlinge sicher in einer Phase, in der sie sich und ihr neues Leben einrichten. Deshalb haben wir momentan auch nur einmalige Schnupperkurse angeboten und hoffen, dass weitere und regelmäßige Angebote im nächsten Jahr mehr Mädchen und Frauen erreichen.


  • Camera4
    Auswertungsveranstaltung des Teilprojektes "Starke Netze gegen Gewalt: interkulturell"