Stichwort Integration: Interview mit Prof. Dr. Jürgen Baur

Prof. Dr. Jürgen Baur ist Mitglied der Arbeitsgruppe VI.2 zur Erarbeitung des Nationalen Integrationsplans und der Überzeugung, das soziale Integration im Sportverein leicht fällt.

 

Der vereinsorganisierte Sport ist eines der wenigen gesellschaftlichen Felder, in dem soziale Kontakte relativ problemlos zustande kommen, sagt Prof. Dr. Jürgen Baur. Copyright: picture-alliance
Der vereinsorganisierte Sport ist eines der wenigen gesellschaftlichen Felder, in dem soziale Kontakte relativ problemlos zustande kommen, sagt Prof. Dr. Jürgen Baur. Copyright: picture-alliance

DOSB PRESSE: Fällt es einem Migranten, der Mitglied in einem Sportverein ist, leichter sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, als einem Migranten ohne Sportvereinserfahrung? 

BAUR: Sicher ist, er wird in der deutschen Gesellschaft kaum eine andere Institutionen finden, die ihm eine soziale Integration so leicht macht, wie der Sportverein. Der vereinsorganisierte Sport ist nämlich eines der wenigen gesellschaftlichen Felder, in dem soziale Kontakte relativ problemlos zustande kommen. Sport ist gleich in mehrfacher Hinsicht anschlussoffen und leicht zugänglich. Er ist meist gut erreichbar, da weit verbreitet. Und weil der Sport überall nach gleichen Regeln ausgeübt wird, können da jederzeit Personen mit einem Migrationshintergrund quasi „aus dem Stand“ mitmachen. Da ist es völlig gleichgültig, woher die eigentlich kommen. Wichtig ist nur, sie dürfen mitspielen. 

DOSB PRESSE: Deswegen allein ist der Migrant aber noch lange nicht integriert. 

BAUR: Mitspielen allein bedeutet nicht Integration, richtig. Aber mitspielen heißt, ich darf mich als Ausländer in einem sozialen Handlungsfeld beteiligen, was in der einheimischen Gesellschaft sehr anerkannt ist. Der Sportverein präsentiert sich den zugewanderten Menschen damit als ein sozial offenes Gebilde. Das ist in unserer Gesellschaft längst nicht die Regel. Die Möglichkeit des unmittelbaren, barrierefreien Mitmachens gibt es in dieser Form fast nur noch im Sportverein. Soziale Offenheit ist ein erster, sehr wichtiger Integrationseinstieg, der gerade in der aktuellen Migrantendiskussion oft übersehen wird.  

DOSB PRESSE: Was hat aber der in seinem Verein integrierte Spieler davon, wenn er schon beim nächsten Auswärtsspiel von Zuschauern wie Gegenspielern massiv rassistisch angegangen wird? 

BAUR: Wenn es zu diesem Konflikt kommt, entsteht in der Tat für alle Beteiligten ein echtes Problem. Rassistische Angriffe können ganz schnell das zerstören, was ein Verein über lange Zeit mühselig aufgebaut hat. Dann jedoch ist erst recht die Integrationsbereitschaft des Sportvereins gefragt. Kann er also eine Art Puffer bilden, wodurch die Diskriminierung von außen gegen einen Mitspieler abgefedert wird? Oder, bricht der Verein mit einem an und für sich toleranten, offenen Klima gegenüber diesem Außendruck ein und setzt seinen zugewanderten Spieler nur auf die Ersatzbank? Wenn aber das Leistungsniveau des Spielers für eine Nominierung plötzlich keine Rolle mehr spielt, hat das nichts mehr mit Sport zu tun. Das ist ein Phänomen, was gerade in den unteren Fußballklassen vermehrt zu beobachten ist. Genau da muss man die Integrationsbereitschaft der Sportvereine kritisch hinterfragen. Sport und Integration ist nämlich kein Selbstläufer! Die Sportvereine müssen Menschen mit einem Migrationshintergrund ernsthaft für sich gewinnen wollen und etwas dafür tun. Die Vereine sollten nach außen signalisieren: „Zu uns könnt ihr kommen.“ 

DOSB PRESSE: Das Entscheidende ist doch, wie sich die soziale Praxis aktuell in den Verein gestaltet. 

BAUR: Das stimmt. Integration beginnt nicht automatisch mit dem Vereinsbeitritt eines Migranten. Als Ausländer in einem Sportverein zu sein, das heißt noch nicht allzu viel. Weitaus wichtiger sind die Folgen für alle Vereinsmitglieder daraus. Dürfen die Migranten im Verein beispielsweise nicht nur mitspielen, sondern auch richtig mitreden? Können sie die zum Teil basisdemokratischen Vereinsstrukturen mitgestalten? Sind sie in der Lage, ihre Interessen relativ problemlos einzubringen? Werden sie möglicherweise aufgefordert, in Form eines freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements im Verein mitzuwirken? 

DOSB PRESSE: Nicht selten lautet darauf die Antwort „Nein“. Ist das ein legitimer Grund mehr, warum sich viele Migranten lieber monoethnisch in einem Sportverein organisieren? 

BAUR: Für den Integrationseinstieg ist das durchaus eine vernünftige Strategie. Da sagen sich Migranten, wir organisieren uns selber und spielen lieber unter uns. Im sportlichen Wettkampf mit anderen Teams werden sie aber zugleich in das deutsche Spielsystem integriert. Das ist ihnen in dieser Deutlichkeit oft gar nicht bewusst. Und es kommt noch besser. Monoethnische Vereine füllen sich oft nach und nach mit deutschen Sportlern auf, weil der „Ausländerverein“ für die Bürger einfach wohnortnäher liegt. 

DOSB PRESSE: Wenn über Migranten im Sportverein geredet wird, dann zumeist über Männer. Stellen nicht gerade die  muslimischen Migrantinnen die Sportvereine vor eine besondere Herausforderung? 

BAUR: Sicher. Männer, die mit einer vornehmlich männlich dominierten Sportkultur in der muslimischen Welt aufgewachsen sind, lassen sich wesentlich leichter integrieren. Viel leichter als die eher sportdistanzierten Frauen, die in ihren Heimatländern kaum eine Sporterfahrung gemacht haben. Vor diesem Hintergrund ist wirklich sehr schwer, muslimische Mädchen und Frauen dem Sport zuzuführen oder sie gar in den Sport zu integrieren. Ein normaler deutscher Sportverein scheint damit vielerorts, wie andere normale deutsche Einrichtungen ja auch, überfordert zu sein.


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