Stichwort: Spektakel im antiken Olympia

Drei Fragen an Prof. Dr. Ulrich Sinn – Ordinarius für Klassische Archäologie und Olympismus-Experte

 

„Makabres Schauspiel unter falschen Vorzeichen“

 

Mit Zustimmung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) verlegte auf Antrag des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) das Organisationskomitee der Olympischen Spiele 2004 in Athen die Kugelstoßwettbewerbe nach Olympia. Der Zuschauerzustrom und das Medienaufgebot bedrohen die Integrität des Ursprungsorts der antiken Spiele, einem seit 1875 hauptsächlich von deutschen Archäologen ausgegrabenen Gelände. Olympia selbst weist keine Infrastruktur für ein solches auf Fernsehwirkung abgestelltes Spektakel auf. Der Ordinarius für Klassische Archäologie in Würzburg, Prof. Dr. Ulrich Sinn, der seit 1985 führend an den Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Olympia beteiligt ist, beantwortet drei Fragen:

 

DSB PRESSE: An den zuständigen archäologischen Gremien Griechenlands vorbei, deren Bedenken offenbar ausgeschaltet werden sollten, hat das Athener Organisationskomitee der Durchführung der beiden Kugelstoßwettbewerbe in Olympia zugestimmt. Welche Auswirkungen hat diese auf bloßen Effekt bezogene Entscheidung auf die Ursprungsstätte der Olympischen Spiele?

 

SINN: Das antike Stadion von Olympia ist – wohl aus kultischen Gründen – während seiner insgesamt etwa elfhundertjährigen Geschichte in allen seinen Bauphasen als eine Anlage gestaltet und gepflegt worden, deren Tribünen aus schlichten geböschten Erdwällen bestanden. Es gehört zu den Meisterleistungen der Ausgräber, bei der Freilegung des Stadions vor etwa 50 Jahren, den jeweiligen Neigungswinkel dieser im Laufe der Jahrhunderte erhöhten und vergrößerten Erdwälle erkannt zu haben, um auf dieser Grundlage die authentische Rekonstruktion des Stadions von Olympia vornehmen zu können, die heute alle Besucher der Antikenstätte beeindruckt.

 

Vor gut 20 Jahren haben Politiker und Konzertveranstalter einen Versuch unternommen, die prominente Stätte für Massenveranstaltungen in ihrem Sinne zu nutzen. Der griechische Archäologische Dienst hat diesem Ansinnen in Wahrnehmung seiner Verantwortung aus konservatorischen Gründung sofort einen Riegel vorgeschoben. Damals wurde auch das Verfahren eingeleitet, Olympia in den Katalog des von der UNESCO anerkannten Weltkulturerbes aufzunehmen. Im Heiligtum und im umgebenden Alpheiostal gelten seither strenge Auflagen der Landschaftspflege. Die deutschen Ausgräber haben Hand in Hand mit den zuständigen riechischen Stellen Zeit, Ideenreichtum und sehr viel Geld in die Konservierung und behutsame Rekonstruktion der antiken Ruinen investiert.

 

Das IOC hat mit großem Effekt in seiner „Olympischen Charta“ verankert, „daß die Olympischen Spiele unter Bedingungen abgehalten werden, die in verantwortungsvoller Weise den Problemen der Umwelt Rechnung tragen.“ Der Entschluss, die Kugelstoßwettbewerbe im antiken Stadion von Olympia durchzuführen, ist ein eklatanter Verstoß gegen die Olympische Charta: Um den Spitzenathleten Wettkampfbedingungen des heute üblichen Standards zu bieten, sind im Stadion selbst aufwendige Vorkehrungen vonnöten. 15.000 Zuschauer sollen Augenzeugen des Spektakels werden. Wird man sie – unter ihnen fraglos viele ‚VIPs’ und hohe Sportfunktionäre – auf dem blanken Erdboden der Stadionwälle Platz nehmen lassen? Die in hellen Scharen herbeiströmenden Medien kommen nicht ohne ihre Infrastruktur aus. Vielfältige Gerüste und so manche bequeme Sitzgelegenheit werden die Erdwälle zerwühlen und ruinieren – ganz zu schweigen von den unverzichtbaren, in unmittelbarer Nähe des Stadions zu installierenden umfänglichen Vorkehrungen für Hygiene und weitere Versorgungseinrichtungen. Das Stadion und mit ihm das bis heute in einer wundervollen Landschaft gelegene Zeusheiligtum von Olympia werden zwangsläufig schweren Schaden nehmen.

 

Wer diese katastrophalen Folgen um des kurzfristigen Effektes willen billigend in Kauf nimmt, darf sich nicht wundern, wenn sich - wie zuletzt während des Irakkrieges – angesichts solcher Ignoranz gegenüber dem kulturellen Erbe Trauer, aber mehr noch Zorn, fassungsloses Entsetzen und Abscheu breit machen.

 

DSB PRESSE: Das IOC fühlt sich als Hüter der kulturellen Werte des Sports und pflegt dabei insbesondere den Anspruch, vorbildliche Werte aus der Antike in die Gegenwart hinein zu tradieren. Wie kann das IOC diese Verpflichtungen überhaupt mit dem Kugelstoß-Spektakel in Olympia vereinbaren?

 

SINN: Es klingt so schön, und auf den ersten Blick nimmt es sich auch überzeugend aus, wenn man nun sagt, mit der Austragung der Kugelstoßwettbewerbe würde die Antike für einen kurzen Augenblick in das antike Stadion von Olympia zurückkehren. Tut mir leid, meine Damen und Herren Organisatoren der Spiele von 2004: Den Wettbewerb des Kugelstoßens gab es in der Antike überhaupt nicht!

 

Ich selbst habe bei vielen Gelegenheiten - vor allem auch in der Internationalen Olympischen Akademie in Olympia - zahlreiche Vorträge gehal-ten und bin dort auch im Rahmen der wirklich vorbildlichen Lehrerfortbildungen des deutschen NOK sehr aktiv gewesen. Gemeinsam mit meinem österreichischen Freund und Kollegen Ingomar Weiler haben wir – ich denke erfolgreich – für eine sachliche Auseinandersetzung mit der ja nur bedingt antiken Tradition der heutigen Olympischen Spiele geworben. Das makabre, aber eben ungemein wirkungsvolle Schauspiel in Olympia macht diese aufklärende Arbeit mit einem Schlag zunichte.

 

DSB PRESSE: Kann der berechtigte Protest der Fachleute und der verantwortungsbewussten Öffentlichkeit die Eingriffe in das antike Gelände überhaupt noch verhindern oder zumindest in Grenzen halten? Und wer wird für vorhersehbare Schäden aufkommen, wenn sie denn reparierbar sein sollten?

 

SINN: Ich bin nicht so blauäugig, dass ich an die Möglichkeit einer vollständigen Rücknahme des Beschlusses glaube. Aber man könnte den Schaden durch folgende Auflagen natürlich in Grenzen halten:

 

1.) Es werden nur die Endkämpfe in Olympia durchgeführt.

 

2.) Zu den Wettkämpfen werden keine Zuschauer zugelassen.

 

3.) Die Wettkämpfe werden von einer einzigen Fernsehstation aufgezeichnet.

 

Auf diese Weise käme man mit einer sehr eingeschränkten Infrastruktur innerhalb des Stadions und seiner unmittelbaren Umgebung aus. Die Kosten für die Schadensbereinigung sind natürlich vom Verursacher zu tragen. Es wäre ein zusätzlicher Skandal, wenn sich das finanzstarke IOC in diesem Punkt verweigern würde.

 

An meiner Würzburger Wirkensstätte, dem Universitäts-Lehrstuhl für Klassische Archäologie und dem angeschlossenen universitätseigenen Antikenmuseum spielt meine Forschungsarbeit in Olympia in Form von Lehrveranstaltungen sowie in Ausstellungen und Vorträgen eine große Rolle. Die Universität Würzburg ist – wenn Sie so wollen – ein „wissenschaftlicher Olympiastützpunkt“. Mit dem sportlichen Olympiastützpunkt in Tauberbischofsheim und dem dort ansässigen IOC-Vizepräsidenten Dr. Thomas Bach werde ich das Gespräch suchen.