DOSB PRESSE: Ihr Bericht ist 750 Seiten stark Welche essentiellen Erkenntnisse sind darin enthalten?
BREUER: Es ist weltweit das erste Mal, dass wir einen Längsschnitt zur Situation der Sportvereine haben. Das heißt vergleichbares Material, das Veränderungen und Entwicklungen aufzeigen kann. Eine der Kernaussagen ist, dass die Vereine eine enorme gesellschaftliche Bedeutung haben. Das zeigt sich zum Beispiel an ihrem integrativen Potential. Wir haben momentan 2,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in den Sportvereinen, wobei das ehrenamtliche Engagement dieser Menschen leider noch nicht adäquat ausgeprägt ist. Von fast jedem zehnten Sportverein werden zusätzliche Maßnahmen ergriffen, um ihre ausländischen Mitglieder noch stärker einzubinden. Das reicht von kostenlosen Mitgliedschaften für Asylbewerber bis zu speziellen Anti-Rassismus-Kampagnen und anderen Aktionen. Solch imposante Zahlen kann - mit Ausnahme der Gewerkschaften vielleicht - keine andere Freiwilligenorganisation in Deutschland vorlegen.
DOSB PRESSE: Wie steht es um das ehrenamtliche Engagement als die bislang tragende Säule für die Sportvereine?
BREUER: Wir sind leider zu der Erkenntnis gekommen, dass es dort Probleme gibt und das ehrenamtliche Engagement rückläufig ist. Auf der Vorstandebene, also bei den klassischen Wahlfunktionen, beträgt der Rückgang 15 Prozent. Auf der Ausführungsebene, also bei den Übungsleitern, Trainern sowie bei den Schieds- und Kampfrichtern, gibt es einen Rückgang von etwa 25 Prozent. Nicht zu beobachten ist diese Tendenz bei den sporadischen ehrenamtlichen Einsätzen, zum Beispiel bei der Bereitschaft, sich an der Organisation von Vereinsfesten oder Veranstaltungen zu beteiligen. Zum Teil wird das rückläufige ehrenamtliche Engagement ausgeglichen, indem die verbliebenen Vorstandmitglieder eine größere zeitliche Belastung auf sich nehmen. Bei den Übungsleitern ist es oft so, dass sie zwar weiterhin für ihren Verein zur Verfügung stehen, aber in Teilen stärker auf Honorarbasis arbeiten wollen.
DOSB PRESSE: Wie bedenklich sind diese Entwicklungen aus Ihrer Sicht?
BREUER: Wir wussten zwar, dass es Probleme beim ehrenamtlichen Engagement gibt, aber die deutlichen Zahlen der Untersuchung überraschen natürlich. Die Konsequenz daraus ist: Der organisierte Sport muss neu denken. Ich glaube, man hat sich da zuletzt zu stark und mitunter ausschließlich auf das Ehrenamt fokussiert. Natürlich muss weiterhin im Vordergrund stehen, die Arbeit möglichst kostengünstig zu leisten, doch der Rückgang des ehrenamtlichen Engagement kann kompensiert werden. Es gibt da schon sehr interessante Lösungen. Denken wir an 400-Euro-Jobs, an den Einsatz von Hartz IV-Empfängern, die Einbindung von Auszubildenden oder jungen Leuten, die ihr freiwilliges soziales Jahr im Sport leisten.
DOSB PRESSE: Welche Erkenntnis hat Sie persönlich am meisten überrascht?
BREUER: Wir haben einen höchst interessanten Befund. Sportvereine, die von Frauen geführt werden oder die einen hohen Anteil von Frauen im Vorstand haben, weisen - ganz unabhängig vom inhaltlichen Angebot dieser Vereine - deutlich weniger Probleme auf. Das gilt für die Atmosphäre und ist zugleich ein spannendes Phänomen im allgemeinen Management. Dort, wo ein eher feminin geprägter Führungsstil herrscht, geht es weniger hierarchisch zu und ist man offener und aufgeschlossener für Beratung oder Netzwerke. Die Untersuchung hat ergeben, dass derzeit 26 Prozent der Vorstandspositionen von Frauen ausgefüllt werden, auf der Ausführungsebene sind es 30 Prozent. Bei den Mitgliedern gibt es in allen Altersklassen eine deutliche Zunahme des Anteils von Frauen und Mädchen.
DOSB PRESSE: Wie steht es um die Bereitschaft der Vereine, Verbindungen und Kooperationen einzugehen?
BREUER: Die Vernetzung mit unterschiedlichen Trägern, mit Krankenkassen, mit anderen Vereinen sowie mit Schulen oder Kindergärten ist bereits enorm. Meistens handelt es sich dabei um relativ lose Verbindungen, denen keine konkreten Verträge oder Vereinbarungen zugrunde liegen. Zum Beispiel ist diese Qualität nur bei 21 Prozent derjenigen Sportvereine vorhanden, die mit konkreten Angeboten mit Schulen zusammenarbeiten. Wenn ein Verein sein Programm im örtlichen Gesundheitsamt auslegt, dann wäre das ein Beispiel für die einfachste Art der Vernetzung. Solche vermeintlichen Kleinigkeiten sind nicht zu unterschätzen, aber es ist natürlich etwas ganz anderes, wenn ein Verein sein Angebot im Gesundheitssport gemeinsam mit der Krankenkasse oder den Gesundheitsbehörden entwickelt.
DOSB PRESSE: Welche vordringlichen Aufgaben für den organisierten Sport lassen sich aus Ihrem Bericht ableiten?
BREUER: Um die Lebensfähigkeit des Sportvereins zu erhalten, gilt es mehr und mehr, seine Gesamtressourcen im Blick zu haben und sich in Bezug auf das Personal nicht ausschließlich auf das ehrenamtliche Engagement zu verlassen. Natürlich wäre es großartig, wenn die Arbeit ausschließlich ehrenamtlich geleistet werden könnte. Doch es wäre verhängnisvoll, sich weiterhin ausschließlich auf diesen traditionellen Fokus zu beschränken. Entscheidend bleibt, dass die Arbeit gemacht wird. Wenn sich niemand für ein Ehrenamt finden sollte, dann gibt es zur Substitution finanzielle Möglichkeiten, die teilweise noch völlig brachliegen. Nur jeder dritte Verein bemüht sich um Unterstützung aus der Wirtschaft. Dabei geht es nicht um dicke Sponsorenverträge, sondern zunächst einmal vielleicht um die Annonce für die Vereinszeitung. Da ist noch viel Potenzial völlig unerschlossen.
DOSB PRESSE: Inwiefern sind Ihre Aussagen im 2. Sportentwicklungsbericht belastbarer als im ersten?
BREUER: Für den Zeitraum 2005/06 hatten sich mehr als 4.000 Sportvereine bereit erklärt, an unserer Untersuchung teilzunehmen. Für den Zeitraum 2007/08 waren es jetzt über 13.000 Vereine, so dass wir eine völlig andere Qualität der empirischen Basis haben. Im September, Oktober dieses Jahres beginnen die Befragungen zum 3. Bericht. Darin sollen die bisherigen Fragestellungen fortgeschrieben und zugleich ein inhaltlicher Schwerpunkt auf das Thema Aus und Fortbildung gelegt werden. Uns wird beispielsweise interessieren, über welche Lizenzen die Übungsleiter und Trainer und über welchen Ausbildungsstand die Manager in den Vereinen verfügen und wie groß die Bereitschaft zur Fortbildung sowie der Bedarf an Qualifikation ist. Die ersten Teilergebnisse des Berichts werden Ende 2009 vorliegen, die Gesamtanalyse im Frühjahr 2011.