Stichwort: Übergewicht / Fünf Fragen an Dr. Hermann Mayer, Chefarzt der Kinder- und Jugend-Klinik Hochried und Vorstandsmitglied der Deutschen Adipositas-Gesellschaft

 

„Vor allem im Kindergarten und in der Schule muss das Bewegungsangebot deutlich verstärkt werden“

 

DSB PRESSE: Die deutschen Kinder und Jugendlichen

werden immer dicker. Deckt sich diese These mit Ihren Erfahrungen aus dem Klinik-Alltag?

MAYER: Ich bin seit 20 Jahren in diesem Bereich tätig. Wir sehen eine deutliche Veränderung beim Übergewicht und bei der Adipositas, der krankhaften Fettsucht, vor allem bei der extremen Adipositas. Wir haben Kinder und Jugendliche mit über 100 kg bei uns, manchmal sogar mit 150, 160 kg. Da ist die Zukunft vorbei, denn diese Jugendlichen werden weder sozial integriert werden können, noch finden sie einen Job. Das Durchschnittsgewicht der uns zugewiesenen Kinder und Jugendlichen hat zwischen 1986 und 1996 um 10 kg zugenommen. Ein hoher Anteil dieser Kinder hat bereits erhebliche Begleiterkrankungen.

DSB PRESSE: Wo sehen Sie denn die Probleme bei der Behandlung dieser Kinder und Jugendlichen? Was muss verändert werden?

MAYER: In der stationären Behandlung ist es immer möglich, diese Kinder erfolgreich zu behandeln. Wir haben allerdings in der Nachbetreuung keine flächendeckende langfristige Versorgung. Zunächst sollte eine strukturierte und langfristige ambulante Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen in anerkannten Zentren und z. B. Schwerpunktpraxen erfolgen. Dazu muss Adipositas erst einmal als Erkrankung anerkannt werden. Nicht erst die Begleiterkrankungen wie Diabetes Typ II, Hüftkopf- und weitere orthopädische Erkrankungen, Fettleber und Gallensteine müssen dabei therapiert werden, sondern ursächlich das veränderte Ernährungs- und Bewegungsverhalten bei unseren Kindern und Jugendlichen. Dazu ist ein systematischer Ansatz notwendig, der für jeden einzelnen Patienten eine langfristige Perspektive enthalten sollte.

DSB PRESSE: Diese Schritte betreffen die Therapie, wenn das Übergewicht schon eingetreten ist. Kann unsere Gesellschaft nicht früher aktiv werden?

MAYER: Das Wichtigste ist in der Tat eine vernünftige, strukturierte Prävention. Die muss in erster Linie politisch gewollt sein und sollte ein bundeseinheitliches Konzept berücksichtigen, das auf die kommunale Ebene heruntergebrochen wird. Dazu ist eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort dringend erforderlich, der in einem Verbund Ärzte, Beratungsstellen, Kindergärten, Schulen, aber auch die Öffentlichkeit in Form von Medienpräsenz des Themas einbinden sollte. Wichtiger Ansatz dabei ist, wie wir sozial benachteiligte Gruppen in diese Prävention hineinbekommen.

DSB PRESSE: Über welche Dinge muss denn besonders aufgeklärt werden?

MAYER: In der Prävention und in der Therapie sind drei Säulen wichtig: Ernährung, Bewegung und Verhalten. Zwischen diesen Faktoren muss ein abgestimmtes Programm entwickelt werden. Ernährung, Bewegung und Verhalten haben sich in den letzten Jahrzehnten komplett gewandelt. Die Ernährungsgewohnheiten haben sich dabei ebenso verändert wie das Bewegungsverhalten. Essen ist überall möglich, Bewegung wird vor allem durch Fernsehen und Computer erheblich reduziert. Dies sollte bereits frühzeitig in einem abgestimmten Konzept angegangen werden. Dazu müssen alle beteiligten Institutionen an einem Strang ziehen.

DSB PRESSE: Wo muss denn mit Sport und Bewegung angefangen werden? Was kann der organisierte Sport dabei tun?

MAYER: Die Angebote müssen so früh wie möglich beginnen, schon im Kleinstkindalter, dann im Kindergarten und dann natürlich auch im Schulsport. Vor allem im Kindergarten und in der Schule muss das Bewegungsangebot deutlich verstärkt werden. Dazu ist ein Umdenken notwendig, vor allem auch innerhalb der Kultusbürokratie. Im Sport sollte es dabei nicht so sehr um die starke Orientierung am Leistungssport gehen. Nicht der spätere Olympiasieg ist wichtig, sondern die Förderung von Spaß an der Bewegung bei unseren Kindern und Jugendlichen, damit sie nicht erst dick werden.