Stichwort: Werte in Kirche und Sport

Drei Fragen an Weihbischof Franz Grave und IOC-Mitglied Dr. Thomas Bach

Am 28./29. Oktober 2005 veranstalteten der Ökumenische Arbeitskreis Kirche und Sport in Nordrhein-Westfalen und die Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ eine Tagung in Mülheim an der Ruhr, in der es um Fragen der Werte und ihrer Vermittlung in Kirche und Sport ging.  Hauptreferenten waren u. a. der katholische Essener Weihbischof Franz Grave, ein bekennendes Mitglied von Schalke 04, und IOC-Mitglied Dr. Thomas Bach.

 

DSB PRESSE: Ist es ein Zufall, dass sich kürzlich Papst Benedikt XVI. bei einer Audienz zu den Werten des Sports äußerte und dabei ihre stärkere Förderung propagierte? Und dass die Rede von IOC-Präsident Jacques Rogge vor kurzem in der Frankfurter Paulskirche in eine ähnliche Richtung ging? Also: Wie gefährdet ist der Sport heute in Bezug auf die Einhaltung seiner Prinzipien?

 

GRAVE: Papst Benedikt XVI. hat eine exzellente Kenntnis der augenblicklichen Human-Situation. Er gehört mit zu denen, die nach meiner Auffassung die sicherste Wahrnehmung dessen haben, was in unserer Gesellschaft vor sich geht. Insofern hat er im Blick auf den Sport aus einer solchen Kenntnis heraus geantwortet. Ich glaube nicht, dass er den Untergang der Welt im Sport sieht oder ankündigen wollte. Sondern ich glaube, dass er den Sport ermutigen wollte, seine Aufgaben konsequent weiter zu führen. Ich bin sicher, dass Papst Benedikt XVI. dem Sport eine positive Funktion in unserer Gesellschaft zuweist.

 

BACH: Jede gesellschaftliche Gruppe ist ständig in Gefahr in Bezug auf ihre Werte. So ist es auch im Sport. Er ist vielleicht auch deshalb besonders gefährdet, weil kommerzielle Interessen stark einwirken, die Werte-verschiebungen bewirken können: dass Hemmschwellen herabgesetzt werden können bei Athleten und Verantwortungsträgern. Es sind viele gesellschaftliche Gruppen, die den Sport wegen seiner Faszination für sich einnehmen wollen. Die Wirtschaft etwa, aber auch die Politik oder andere. Der Anspruch des Sports sollte sich darauf richten, das Weltrecht des Sports durchzusetzen und auf dessen Einhaltung zu achten. Dieses Weltrecht bedeutet, dass jeder Athlet weltweit nach gleichen Regeln kämpft, dass für alle die gleichen Einschränkungen und Verbote gelten. Die glaubwürdig zu vertreten, das ist die Aufgabe der Verantwortungsträger im Weltsport - nicht mehr und nicht weniger.

 

DSB PRESSE: Warum mischen sich beide Organisationen, die Kirche und der Sport, nicht noch stärker ein, wenn es um Fragen einer humanen Gesellschaft geht, um ethische Probleme? Könnte es sein, dass beide mit sich selbst genug zu tun haben?

 

GRAVE: Die Selbstbeschäftigung mindestens in der Kirche ist nicht von der Hand zu weisen. Das muss ich deutlich und selbstkritisch sagen.
Aber nun gibt es auch Kontakte, die nicht zu übersehen sind: Zum Beispiel diese Begegnung in der Mülheimer Akademie. Sie hat zwar erst eine kurze Tradition, aber immerhin. Hier werden Grundsatzthemen im Bereich der Wertevermittlung und Themen besprochen, die uns beidseitig berühren. Ich gebe aber zu, der Blick für den anderen könnte noch genauer sein.

 

BACH: Ich weiß nicht, ob der Sport hier Nachholbedarf hat. Was den Sport in der Schule betrifft und seine Werte, denke ich, dass das Problem eher bei den politisch Verantwortlichen liegt. Für mich ist es unverständlich, wie ein Schulpolitiker nicht verstehen und umsetzen kann, dass hier im medizinischen Bereich gegen Bewegungsarmut und Übergewicht vorgebeugt wird. Und dass der Sportunterricht das ideale Mittel ist, um spielerisch und eindringlich Werte und demokratische Regeln zu vermitteln. Wenn das ein Schulpolitiker nicht sieht, fehlt mir jegliches Verständnis. Ich glaube, dass der Sport dies laut genug ausdrückt. Die Argumente liegen so auf der Hand, dass es dieses ständigen Nachbohrens nicht bedürfen sollte.

 

DSB PRESSE: Was könnte die Kirche vom Sport lernen? Und der Sport von der Kirche?

 

GRAVE: Ich bringe in der Katechese oft das Beispiel vom Teamwork. Ich glaube, dass das Teamspiel auf dem Rasen ein gutes Bild für das Leben in der Kirche ist: Für das füreinander Einstehen, für die solidarische Grundgesinnung und für das, was in unserer Gesellschaft überhaupt gefragt und nötig ist.

 

BACH: Von der Kirche als Organisation könnten wir lernen, dass man sich nicht von jedem Zeitgeist umwerfen lassen darf. Sondern dass man durchaus langfristig in größeren Dimensionen denken darf. Beiden ist ja gemeinsam, dass sie auch Wertegemeinschaften sind. Hier, glaube ich, kann ein gegenseitiges Befruchten wichtig sein, weil wir viele Werte wie Toleranz, Selbstachtung und Nächstenliebe in unterschiedlicher Ausprägung teilen. Da kann der eine vom anderen lernen, auch was die Vollzugsdefizite und Vermittlungsprobleme, die beide haben, betrifft. Insofern ist das ein durchaus spannender Dialog.