THEMA DES MONATS (1) - HINTERGRÜNDE ZUR SOZIALEN INTEGRATION

Frankfurt (ids/dsb) „Tu Gutes und sprich darüber“ - diese Maxime verfolgt „www.integration-durch-sport.de“ mit der Rubrik „Thema des Monats“. Dabei sollen in den ersten Folgen Hintergründe erläutert werden, die zu einem besseren Verständnis von sozialer Integration beitragen. Die Reihe startet mit einer Klärung des Begriffs „Soziale Integration“, die zur Auseinandersetzung mit dem Thema und zur Diskussion anregen will.

Gäbe es den Begriff der „Sozialen Integration“ nicht, dann müsste man ihn so schnell wie möglich erfinden. Denn ohne ihn würde so mancher Redner in arge Wortfindungsprobleme geraten. Einst ein Fachbegriff, über den sich Experten den Kopf zerbrachen, wird das Schlagwort „soziale Integration“ heute inflationär gebraucht. Wohin man auch geht, was immer man auch tut, das Wort von der „Sozialen Integration“ ist schon da. Der Begriff wird wie Kitt benutzt, um die holprigen Fugen mancher Argumentationslinie zu stopfen.

 

Bauchschmerzen kriegen dabei vor allem die Wissenschaftler, denen man den Begriff weggenommen hat, um ihn zu popularisieren und aufzuweichen. Selbst schuld, könnte man jetzt sagen, denn eine einheitliche klare Definition von „Sozialer Integration“ liegt, wie bei so vielen geisteswissenschaftlichen Begriffen, nicht vor. Dem Verstehen des Problems muss man sich also auf Umwegen nähern.

 

Integration braucht System

 

Ein erster Schritt besteht darin, sich anzuschauen, in welcher Umgebung Integration stattfinden kann. So ganz allein kann sich niemand integrieren, man braucht dazu schon eine Gruppe. Eine Gruppe, die durch bestimmte Regeln, Beziehungen und Funktionen geordnet ist. Solch eine Gruppe kann man als System bezeichnen.

 

Dabei stellt der Einzelne ein Element dar, das in das System mehr oder weniger integriert ist. Weisen mehrere Elemente eines Gesellschaftssystems übereinstimmende Eigenschaften, Werte oder Denkweisen auf, die von Gesamtgruppe abweichen, so spricht man von Untergruppen oder Subsystemen.

 

Aussiedler, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland geworden sind, stimmen in wesentlichen Merkmalen mit der Gesamtbevölkerung überein, zeigen aber auch Eigenschaften, die sie vom Rest der Gesellschaft unterscheiden. Sie bilden ein Subsystem in der Gesellschaft, genauso, wie aber auch ein Sportverein ein Subsystem in der Gesellschaft bilden kann.

 

Zur Integration der Elemente oder Subsysteme in einem sozialen, also gesellschaftlichen, System kann man stark vereinfachend folgende Gleichung anwenden: Je größer die Übereinstimmungen, desto stärker die Integration, je größer die Abweichungen, desto eher besteht die Gefahr der Desintegration des Systems.

 

Wie viel soziale Integration braucht die Gesellschaft?

 

Die „soziale Integration“ der Subgruppen oder Elemente ist für das Funktionieren der Gesellschaft von elementarer Bedeutung. Werden Untergruppen von der Gesellschaft ausgestoßen, also wenig integriert, so wächst nicht nur die Unzufriedenheit in der Untergruppe. Es kann auch eine Gefährdung des Gesamtsystems eintreten, wenn die Untergruppe ihren Unmut in Aktionen gegen das Gesamtsystem kanalisiert.

 

Es ist also wichtig, die Subsysteme in das Ganze zu integrieren. Allerdings stellt sich die Frage, wie stark die Integration sein sollte. Eine bedingungslose Angleichung oder Assimilation von Untergruppen führt nicht notwendigerweise zu einer Stabilisierung des Systems.

 

Verschiedenheit und die Existenz von Untergruppen wirken belebend für das System, so lange sich die Personen im Subsystem weitgehend mit den Zielen und Grundwerten des Systems identifizieren. Manch ein Forscher geht sogar so weit zu sagen, dass Gruppierungen, die sich gegen das System stellen, in so fern das System stützen, als das sie einen stärkeren Zusammenhalt der restlichen Personen im System erzeugen.

 

Festhalten kann man jedoch, dass zumindest der integriert ist, der ein positives oder konstruktives Verhältnis zu den allgemeinen Zielen und Werten des Systems hat.

 

Ist soziale Integration messbar?

 

Es gibt verschiedene Wege zu bestimmen, wie stark die Integration in einem System ist. Ein Indikator ist die so genannte Interaktionsdichte. Hierbei wird gemessen, mit wie vielen Elementen des Systems eine Person Kontakt hat (siehe Grafik im Dateianhang: intensitaeten_sozialer_integration.doc).

 

Beschränkt sich das Netzwerk der sozialen Kontakte auf wenige Personen oder nahezu ausschließlich auf eine Untergruppe, so ist der Integrationsgrad gering. Zu beachten ist dabei jedoch auch, wie intensiv die einzelnen Kontakte sind.

 

Soziale Integration lässt sich jedoch auch an der Einstellung des Einzelnen ablesen, ohne dass der Kontakt zu anderen in Betracht gezogen wird. Entscheidend ist, wie sehr das Individuum zum Erhalt und Funktionieren des Systems beiträgt.

 

Für eine solche Analyse müssen die Ziele und Werte der Gesellschaft genau bekannt sein. Darauf aufbauend können Aussagen getroffen werden, in wie fern Handeln und Einstellung des Einzelnen dem System förderlich sind.

 

Soziale Integration bedeutet nicht Angleichung des anderen

 

Die zuvor beschriebene theoretische Eingrenzung des Begriffs „soziale Integration“ lässt sich nun auf die gesellschaftliche Realität anwenden. Ziel der sozialen Integration ist die Schaffung eines Gleichgewichts in einem System, mit dem Zweck das System zu erhalten oder weiterzuentwickeln. Dies kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

 

Betrachtet man etwa einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, so spricht man von einer Makroebene, in einer Organisation wie dem Landessportbund von einer Mesoebene und bei einem kleinen Verein von einer Mikroebene.

 

Auf jeder Ebene haben Systeme Ziele und Werte, die durch die Integration gestärkt werden sollen. Dies darf jedoch nicht in dem Sinn falsch verstanden werden, dass die Schaffung von gleichgeschalteten Menschen ein System stabilisiert. Die Gesellschaft profitiert am stärksten von einem harmonischen Zusammenwirken unterschiedlicher Elemente. Wobei harmonisch auf keinen Fall konfliktfrei bedeutet.

 

Ist das Ziel einer Gesellschaft beispielsweise das größtmögliche Glück eines jeden Mitglieds, so können Konflikte durchaus zur Integration des Systems beitragen, indem sie langfristig das Glück der Mitglieder erhöht.

 

So führt die Auseinandersetzung des gesellschaftlichen Systems mit beispielsweise der Untergruppe der Aussiedler im Idealfall zu einer beidseitigen Übernahme von Werten und Zielen, die entweder zu einer weiteren Stabilisierung des Systems beiträgt oder sogar das Funktionieren des Systems auf einem höheren Niveau ermöglicht.

 

Die Autoren: Richard Keiner, Andi Mündörfer (Institut für Sportsoziologie, Deutsche Sporthochschule Köln)

 

Empfohlene Lektüre zur Vertiefung:

 

Breuer, Christoph: Das System der Sozialen Arbeit im organisierten Sport. Köln, 2002.

Friedrichs, Jürgen: Soziale Integration. Opladen, 1999.

Heinemann, Klaus: Einführung in die Soziologie des Sports. Schorndorf, 1998.

Rittner, Volker/Breuer, Christoph: Soziale Bedeutung und Gemeinwohlorientierung des Sports. Köln 2000.