Es soll Menschen geben, die bezweifeln, dass Sport die soziale Integration fördert. Aus diesem Grunde wollen wir an dieser Stelle ein einfaches Experiment vorschlagen, um die Wirkung des Sports auf Gruppenbeziehungen zu demonstrieren.
Suchen Sie sich eine Ansammlung von Menschen, die sich nicht oder nur wenig kennen. Das kann beispielsweise an einer Bushaltestelle sein oder in der Wartehalte eines Flughafens.
Jetzt nehmen Sie einen Fußball, spielen Sie ein wenig damit herum und kicken Sie ihn dann „zufällig“ in Richtung einer anderen Person. Wenn Sie das einige Mal gemacht haben, werden Sie bestimmt Mitspieler gewonnen haben. Nach einem kurzen Kick werden Sie ins Gespräch kommen oder zumindest ein Gefühl der Gemeinsamkeit empfinden. Diese Verbundenheit setzt sich über Sprachbarrieren oder andere Hindernisse hinweg, die sich einem Kontakt oftmals entgegenstellen.
Positive Wirkungen des Sports auf die soziale Integration sind wissenschaftlich nicht belegt – dass der Sport keine Wirkung hat jedoch auch nicht
Sport spielt eine besondere Rolle im Aufbau von Kontakten und sozialen Netzen. Gemeinsame körperliche Betätigung, das hat wohl jeder Sporttreibende schon einmal erlebt, integriert die Beteiligten schnell zu einem Ganzen.
Was im Kleinen funktioniert, das gelingt auch im Großen. Davon gehen zumindest viele Experten und gesellschaftliche Gruppierungen aus. Sport, so lässt sich die breite öffentliche Meinung wiedergeben, trägt einen wichtigen Anteil zur Stabilisierung unserer Gesellschaft bei.
Die Wissenschaft bleibt bei solchen Aussagen vorsichtig. Es ist nicht einwandfrei empirisch gesichert, welche Bedeutung der Faktor Sport im komplexen Wirkungsgefüge der sozialen Integration besitzt. Allerdings konnte bislang genauso wenig belegt werden, dass der Sport keinen Einfluss auf diese Prozesse ausübt. Dieses Forschungsdefizit erklärt sich aus der Schwierigkeit der Bewertung sozialer Integrationsprozesse sowie dem Mangel an längerfristig durchgeführten Studien zum Thema.
Worin besteht der besondere Wert des Sports in der sozialen Integration?
Wissenschaftlich nachgewiesen oder nicht, wer sich im Sport auskennt, fühlt, dass der Sport einen besonderen Wert für die Ausbildung sozialer Strukturen besitzt.
Das oben beschriebene Beispiel des informellen Fußballspiels verdeutlicht einen großen Vorteil von körperlichen Aktivität: den leichten, unkomplizierten Zugang zueinander. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen.
Im Sport spielt die sprachliche Verständigung eine untergeordnete Rolle. Persönliche Begegnungen und die Unmittelbarkeit körperlichen Erlebens erleichtern eine Annäherung. Gemeinsam erlebte Erfolge, Niederlagen und Emotionen schaffen schnell ein Gefühl der Verbundenheit. Merkmale wie Nationalität, Hautfarbe oder Weltanschauung, die in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen eine wichtige Rolle spielen, verlieren an Bedeutung. Im System des Sports stehen andere Faktoren wie die sportliche Leistung oder die soziale Interaktion im Vordergrund.
In Studien wurde nachgewiesen, dass die Integrationsbereitschaft der deutschen Sportvereinsmitglieder wesentlich höher ist als die der übrigen Bevölkerung. Hinzu kommt, dass durch den Sport nicht nur die ausländischen Mitglieder mit der deutschen Kultur vertraut werden, sondern auch die Deutschen andere Kulturen besser kennen lernen. Man spricht hier von mehrdimensionaler oder interaktiver Integration, die im Idealfall für ein lebendiges Wechselspiel und Respekt zwischen den Kulturen sorgt.
Was sind die Leistungen des Sports für die soziale Integration?
Soziale Integration vollzieht sich innerhalb von Systemen (siehe Thema des Monats November). Eine Untergruppe in der Gesellschaft, wie beispielsweise die Aussiedler, kann mehr oder weniger in ein System integriert sein.
Durch den Sport findet Integration auf zwei Ebenen statt:
1. Integration innerhalb des Subsystems Sport:
Der Sport bildet ein Subsystem der Gesellschaft, das bestimmte Funktionen erfüllt, sich an Leitideen orientiert und Werte vermittelt. Vereine und natürlich auch der nicht-organisierte Sport sind offen für alle Bevölkerungsgruppen. Da der Sport ein kultur- und schichtübergreifendes Phänomen darstellt, bietet er Randgruppen einen verhältnismäßig leichten Zugang, auch wenn der Organisationsgrad von ausländischen Einwohnern (5-10 %) noch wesentlich geringer ist als der von deutschen Einwohnern (etwa 25 %).
2. Integration in die Gesamtgesellschaft
Der Sport kann auch die Integration in die Gesamtgesellschaft beeinflussen. Dies gründet auf der Tatsache, dass Handlungsweisen und Lerneffekte aus dem System Sport auf das Gesamtsystem übertragen werden. Das im Sport erworbene soziale Wissen und die Handlungskompetenz kann sozialen Randgruppen den Umgang in der Gesellschaft erleichtern.
Kompetenzen, die vom Sport auf die Gesellschaft übertragen werden können.
Im Folgenden werden exemplarisch einige Kompetenzen aufgelistet, die im Sport eine zentrale Rolle spielen und auf das gesellschaftliche Handeln übertragen werden können.
Der Sport entwickelt:
- demokratische Handlungsstrukturen
- die Fähigkeit im Team zu handeln
- Selbstbewusstsein und Handlungssicherheit
- den Mut, selbst Initiative zu ergreifen
- die Fähigkeit, eigene und fremde Stärken und Schwächen zu erkennen und sich damit auseinander zu setzen
- organisatorische Fähigkeiten
Geht man davon aus, dass die im Sport entwickelten Fähigkeiten, Werte und Einstellungen auf das Handeln in der Gesellschaft übertragen werden, so ist leicht einsichtig, dass der Sport bei der sozialen Integration eine wichtige Rolle spielen kann.
Dabei müssen jedoch die Unterschiede und Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppe berücksichtigt werden. Im nächsten Thema des Monats sollen deshalb verschiedene Untergruppen, die für Maßnahmen der sozialen Integration relevant sind, genauer betrachtet werden.
Die Autoren: Richard Keiner, Andi Mündörfer (Institut für Sportsoziologie, Deutsche Sporthochschule Köln)
Empfohlene Lektüre zur Vertiefung:
Erdmann, Ralf (Hrsg.): Interkulturelle Bewegungserziehung. Sankt Augustin 1999.
Hartmann-Tews, Ilse: Sport für alle!? Schorndorf 1996.
Rittner, Volker; Christoph Breuer: Soziale Bedeutung und Gemeinwohlorientierung des Sports. Köln 2000.