Entspannungs- und Wellnessverfahren sind in aller Munde und füllen viele Zeitschriftenseiten. Doch während man in manchen Medien den Eindruck bekommt, bei alle dem handele es sich lediglich um ein cleveres Marketinginstrument, um teure Massagen oder immer neue Wellnessfindungen zu verkaufen, zeigt der Blick hinter die Kulissen: Entspannung ist lebenswichtig geworden! Zu lernen, sich zu entspannen, seinem Leben eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit, Beruf und Freunden / Familie zu geben und im Leben Entspannungsinseln einzurichten und aufzusuchen, ist offensichtlich die beste "Krankenversicherung", die man heutzutage abschließen kann!
Stress ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der größten Gefahren für das menschliche Wohlergehen - nicht verwunderlich, wenn man sich klar macht, dass Erkrankungen wie z.B. Kopf-, Rücken-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen stressbedingt sein können, durch diesen verschlimmert oder aber aufrecht gehalten werden.
Positiver Stress und subjektive Wahrnehmung
Stress ist eigentlich nicht unbedingt etwas Schlechtes. Ursprünglich war Stress eine völlig angemessene Reaktion des Körpers auf lebensbedrohliche Situationen. In der Urzeit reagierten die Menschen auf eine stressauslösende Situation, wenn zum Beispiel Tiger oder Mammuts auf sie zurannten, mit der Mobilisierung aller Leistungsreserven, um den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen und blitzschnell wegzurennen. Noch heute agiert unser Organismus vergleichbar, nur dass die modernen Stressauslöser Zeitdruck, Mobilitätsanforderungen, Stress mit Kollegen oder dem Chef etc. sind. Das heißt: Stress ist eine Reaktion von Psyche und Körper auf die Anforderungen in Beruf und Alltag.
Das jeweilige Stressempfinden eines jeden Menschen beruht auf dem Zusammenspiel von Anforderungen bzw. äußeren Bedingungen und der subjektiven Verarbeitung jedes einzelnen. Das bedeutet, Stressempfinden ist subjektiv: was der eine als Stress empfindet, muss für einen anderen noch lange nicht als solcher wahrgenommen werden.
Häufige Stressoren
- Zeitdruck
- Über- oder Unterforderung
- Gestörte Kommunikationsbeziehungen
- Mangelnder Handlungs- und Entscheidungsspielraum
- Krankheitsbefürchtungen
- Mangelnde soziale Anerkennung
- Finanzielle Probleme
- Belastende Umweltbedingungen
Negativer Stress und die Folgen
Stress ist in gewissen Grenzen notwendig, um uns anzutreiben, zu motivieren oder leistungsfähiger zu machen. Er gehört somit zu unserem Leben, ist jedoch nicht unbegrenzt verkraftbar. Stress wird dann zum Problem, wenn der Mensch nicht mehr ausreichend in der Lage ist, seine Leistungsfähigkeit stabil zu halten, d. h. den Anforderungen nachzukommen bzw. diese zu verarbeiten.
Fachleute gehen davon aus, dass stressinduzierte Leiden die Hauptursache für Fehlzeiten im Berufsleben sind. So gehen 50-60 Prozent der verlorenen Arbeitstage auf Zeitdruck und hohes Arbeitstempo zurück. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verursachen psychische Folgeerkrankungen wie Burnout, Angststörungen oder Depressionen Behandlungskosten von 27 Milliarden Euro jährlich. Kein Wunder, dass die IG Metall - etwas reißerisch - davon spricht, dass durch Stress am Arbeitsplatz "eine gesellschaftliche Zeitbombe" ticke. Bei Umfragen jedenfalls gibt jeder Dritte an, unter dauerndem Stress zu stehen, zu wenig Zeit und zu viel Druck zu haben. Der richtige Umgang mit Stress ist deshalb ein Thema, das zunehmend für alle von Bedeutung ist: Krankenkassen, Firmen und alle voran jedoch jeden einzelnen, der Entspannung nötig hat!
Die Grundlage für dauerhafte Gesundheit und Leistungsfähigkeit liegt in der ausgewogenen Balance zwischen Belastung und Erholung. Genau so individuell wie die Stressoren, also die Stressauslöser, wahrgenommen werden, sind auch die Entspannungstechniken, die dem Einzelnen helfen, wieder in Blance zu kommen. Es lassen sich eine Reihe von wirkungsvollen Möglichkeiten skizzieren, die hilfreich sind.
Körperliche Reaktionen auf Stress
- Vermehrte Hormonproduktion: erhöhte Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol (typische Stresshormone, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen).
- Blutdruck und Herzfrequenz steigen, damit die Muskulatur besser mit Sauerstoff versorgt wird.
- Fette und Blutzucker werden zur besseren Energieversorung aus den Depots freigesetzt.
- Das Schmerzempfinden wird herabgesetzt.
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Entspannungsverfahren
Unter Entspannung verstehen wir alltagssprachlich die Erholung des Körpers von den Belastungen täglicher Anforderungen. Kennzeichen ist nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gelöstheit. Fehlt die Entspannung im Gleichgewicht zur Anspannung (siehe unten), so fehlen Körper und Psyche die notwendigen Zeiten, um Leistungsreserven wieder aufzubauen und zu regenerieren. Durch Entspannungstechniken können bewusst herbeigeführte Entspannungszustände entstehen, die das vegetative Nervensystem beeinflussen und zu
- einer Lockerung der Muskulatur (durch die Senkung des Muskeltonus),
- einer Erweiterung der Blutgefäße,
- der Reduzierung der Atemfrequenz und
- Beruhigung der gesamten Herz-Kreislaufaktivität
führen.
Es kann zwischen passiven und aktiven Entspannungsverfahren unterschieden werden.
Passive Entspannungsverfahren
- Massagen, Sauna, Bäder, Musik, usw.
Aktive Entspannungsverfahren
- Mentale Ebene: Autogenes Training u. ä.
- Körperliche Ebene: Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, Yoga, QiGong, TaiChi u.ä.
Aktive Entspannungsverfahren
Als aktive Entspannungsverfahren bezeichnet man solche Verfahren, bei denen man etwas "tut". Damit ist nicht zwangsläufig die körperliche Ebene gemeint, sondern es gibt auch auf rein mentaler Ebene wirkungsvolle Möglichkeiten, zu entspannen. Beim Autogenen Training oder verschiedenen Körperreisen beruht die Entspannung darauf, dass man sich den entspannten Zustand rein mental vorstellt.
Allen Entspannungsverfahren - unabhängig davon, ob sie die mentale oder körperliche Ebene ansprechen - haben drei Elemente gemeinsam:
- Man lernt, sich auf den eigenen Körper zu konzentrieren und diesen bewusst wahrzunehmen - jedoch ohne das Wahrgenommene zu bewerten. Dadurch wird es einfacher, auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene Spannungen loszulassen.
- Es werden bestimmte Techniken / Rituale zur Fokussierung benutzt. Diese helfen, sich auf bestimmte Wahrnehmungen zu konzentrieren. Beim Autogenen Training sind das z.B. ein Schwere- (Muskelentspannung) oder Wärmegefühl (Gefäßentspannung), bei bestimmten Meditationsformen z.B. das Kommen und Gehen des Atems.
- Alle Verfahren enden mit einer Reaktivierung, um Körper, Geist und Seele wieder im Jetzt ankommen zu lassen.
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Beispiel Autogenes Training
Autogenes Training beruht auf Autosuggestion. "Autogen" bedeutet, wenn man sich die griechischen Wortbausteine anschaut, "selbst erzeugen", d.h. es geht um einen "selbst erzeugten" Entspannungszustand.
Erfinder dieses Verfahrens ist der Psychiater Johannes Heinrich Schultz, der das Autogene Training aus seinen Erfahrungen mit der Hypnose in den Zwanziger Jahren entwickelte - dabei ging es jedoch zunächst nur um die Anwendung als Teil der psychotherapeutischen Praxis, d.h. autogenes Training richtete sich an den Kranken.
Heute wird das Autogene Training zwar immer noch in der Therapie eingesetzt, ist aber in erster Linie als bewährte Entspannungsmethode für gesunde Menschen bekannt.
Beim Autogenen Training unterscheidet man zwischen Grund-, Mittel- und Oberstufe. Die bekanntesten Übungen stammen aus der Grundstufe, die auch die besten Verknüpfungsmöglichkeiten mit dem Sport bietet.
Alle Übungen werden aus der körperlichen Ruhe heraus ausgeführt, entweder im Liegen oder in der sogenannten Droschkenkutscherhaltung (sitzend, Oberkörper entspannt nach vorn gebeugt). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass psychische Spannungen auch körperliche / muskuläre Spannungen erzeugen, umgekehrt, körperliche Ruhe und muskuläre Entspannung auch den Geist beruhigen können.
In der Grundstufe werden 6 verschiedene "Erfahrungen" geübt, nämlich: Schwere, Wärme, Herzregulierung, Atmungsregulierung, Bauchwärme, Stirnkühlung.
Die zu erlebenden Zuständen, auch "Suggestionen" genannt, werden dem Übenden in einfachen und kurzen Sätzen gesagt, entweder vom Übungsleiter oder Trainer oder aber auch von einer CD. Ziel ist es, die Suggestionen so zu verinnerlichen, dass nach einer Zeit des Übens keine Ansagen von außen mehr notwendig sind, um den Zustand der Entspannung zu erreichen. Deshalb ist es auch wichtig, dass der Wortlaut der Suggestionen immer derselbe ist, damit dies die Verinnerlichung unterstützt. Jede suggestive Formel wird etwa 6-mal wiederholt. Auch das Autogene Training endet mit einer Reaktivierung, hier Zurücknahme genannt.
Wenn möglich, sollte mehrmals täglich für kurze Zeit geübt werden.
Beispielübung Autogenes Training
Durchführung:
Nehmen Sie eine bequeme Stellung ein, in der Sie etwa 10 Minuten entspannt sitzen oder liegen können. Sie können die Haltung selbstverständlich während der Übung verändern, wenn sie Ihnen unbequem wird.
1. Schwere
- Der rechte Arm ist ganz schwer (6x)
- Der linke Arm ist ganz schwer (6x)
- Beide Arme sind ganz schwer (6x)
- Hinweis: Nach einer Zeit des Übens wird die Schwere nicht nur in den Armen, sondern im ganzen Körper wahrnehmbar sein. Schultz nennt dieses Phänomen Generalisierung.
2. Wärme
- Mein rechter Arm ist angenehm war (6x)
- Mein linker Arm ist angenehm warm (6x)
- Beide Arme sind angenehm warm
- Beide Arme sind ganz schwer und angenehm warm
3. Herzübung
- Mein Herz schlägt ruhig und kräftig (6x)
4. Atmung
- Für die ersten Übungsstunden: Mein Atem ist ruhig und gleichmäßig (6x)
- Für fortgeschrittene Übungseinheiten sagt man beim Autogenen Training üblicherweise "Es atmet mich", um deutlich zu machen, dass man den natürlichen Fluss der Atmung nicht beeinflussen will. Eine etwas eingänglichere Formulierung kann lauten: "Der Atem kommt und geht ganz von alleine" (6x)
5. Bauchwärme
- Mein Bauch ist angenehm warm (6x)
6. Stirnkühle
- Meine Stirn ist angenehm kühl (6x).
Die Rücknahme: Bereiten Sie sich nun darauf vor, allmählich mit der Aufmerksamkeit zurückzukommen, ballen Sie die Hände zu Fäusten, bewegen Sie Arme und Beine, recken und strecken Sie sich, atmen Sie noch einige Male tief ein und aus und öffnen Sie nun die Augen.
Hinweis: Vor dem Schlafengehen verzichtet man auf die Rücknahme.
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Beispiel progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
Bei der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich auch als gesichert gilt, wird die gegenseitige Beeinflussbarkeit zwischen Muskeltonus und Psyche genutzt: Hier spricht man die Psyche nicht nur mittels mentaler Übungen, sondern über die körperliche Ebene an: Psychische Entspannung wird durch den Wechsel von Anspannung und Entspannung der Muskulatur, es werden die Hauptmuskelgruppen bewusst angespannt und anschließend entspannt, erreicht. Dieses "Erspüren" von Anspannung und Entspannung macht es vielen in Entspannungstechniken noch Ungeübten leichter, das Verfahren anzuwenden. Die Entspannungstechnik nach Jacobson kann sehr ausführlich durchgeführt werden, sodass die progressive Muskelentspannung einziger Stundeninhalt ist, oder aber in einer Kurzform, die sich dann gut für den Entspannungsteil einer Übungsstunde eignet.
Beispielübung progressive Muskelrelaxation
Machen Sie einige tiefe Atemzüge und lockern Sie Ihren Körper. Spannen Sie nun jeden Muskel etwa 5 bis 10 Sekunden lang an und lösen Sie anschließend die Spannung wieder. Machen Sie sich dann etwa 10 Sekunden lang das Gefühl der Entspannung bewusst und spüren Sie in den Muskel hinein. Während Sie die jeweilige Muskelgruppe anspannen, versuchen Sie alle anderen Muskeln so entspannt wie möglich zu lassen.
- Ballen Sie die rechte Hand zur Faust, halten Sie die Spannung 5 Sekunden und lassen Sie dann die Spannung wieder los. Genießen Sie das Gefühl der Entspannung. Danach ist die linke Faust dran.
- Spannen Sie nun die Unterarmmuskeln an, indem Sie mit den Händen auf die Unterlage drücken. 5 Sekunden halten und entspannen.
- Spannen Sie nun alle Gesichtsmuskeln an: Runzeln Sie die Stirn, kneifen Sie die Augen zusammen, pressen Sie die Lippen aufeinander. Halten und wieder entspannen.
- Pressen Sie den Nacken fest gegen die Unterlage, halten und entspannen.
- Ziehen Sie nun die Schultern hoch zu den Ohren - halten und entspannen.
- Spannen Sie die Oberschenkel an, indem Sie die Füße fest in den Boden drücken - halten - und entspannen.
- Bleiben Sie zum Abschluss noch einige Minuten ganz ruhig liegen und genießen Sie die Entspannung. Gehen Sie in Gedanken noch einmal alle beanspruchten Muskelgruppen durch und gehen Sie so noch mehr in die Entspannung.
- Dann bewegen Sie Hände und Füße, recken und strecken sich, öffnen die Augen und kommen wieder im Jetzt an.
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Passive Entspannungsverfahren
Zu den passiven Entspannungsverfahren gehören z.B. Massagen, Sauna, Bäder oder Musik. Auch wenn hier zur Entspannung nicht die Mittel von Bewegung und Sport genutzt werden, lassen sich viele dieser Methoden gut in den Entspannungsteil von Übungsstunden integrieren.
Beispiel Massage
Auf der körperlichen Ebene setzen Massagen Reize auf das vegetative System, regen Durchblutung, Stoffwechsel und Kreislauf an, helfen, verhärtete Muskeln zu entspannen und Stoffwechselschlacken abzutransportieren. Die psychische Wirkung der Massage beruht auf der Zuwendung, die der Massierte durch den Massierenden erhält, durch das passive sich diesem Hingeben können sowie durch den Hautkontakt.
Beispielmassage: "In der Waschstraße"
Ausgangssituation: Bei dieser Form der Partnermassage stellt man sich vor, dass der Partner, der massiert werden soll, ein Auto ist, das durch eine Waschanlage fährt. Das "Auto" liegt bequem bäuchlings auf einer Matte oder Decke. Der Partner (unsere "Waschstraße") kniet neben ihm und simuliert die einzelnen Schritte der Autopflege. <media 35440 _blank download>Durchführungsplan</media> hier.
Neben den vorgestellten Entspannungsverfahren können auch Sportarten zum Ausgleich der Balance zwischen Anspannung und Entspannung genutzt werden. Diese werden im nächsten Tipp des Monats thematisiert.
Der Artikel erscheint auch in der Zeitschrift SportPraxis 11+12/2011
www.sportpraxis.com