Im ersten Teil der Serie wird der Beachvolleyballtrainer Jürgen Wagner vorgestellt.
Der Teamplayer
Eigentlich wollte der Beachvolleyballtrainer Jürgen Wagner nach den Olympischen Spielen 2012 in London pausieren. Er hatte gerade das deutsche Duo Jonas Reckermann/Julius Brink zur Goldmedaille geführt. Dann kam die Anfrage, ob er nicht das neue Paar Laura Ludwig/Kira Walkenhorst trainieren wolle. Wagner wollte. Der als Perfektionist bekannte Coach nahm die Arbeit mit dem Ziel Rio 2016 auf. Zusammen mit der Trainerin Helke Claasen und der Sportpsychologin Anett Szigeti arbeitete Wagner akribisch am Aufstieg der beiden so verschiedenen Athletinnen. Auch Physiotherapeutin Katharina Huber gehört zum geschätzten Team hinter dem Team. Nach dem Triumph von Rio, dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft und dem Sieg beim Welttour-Finale in Toronto entschieden sich Trainerteam und Athletinnen, in dieser Konstellation bis Tokio 2020 weiterzumachen. Wagner arbeitet hauptberuflich in seiner Sportartikelfirma in Moers.
Ihr Anteil an Laura Ludwigs und Kira Walkenhorsts Goldmedaille ist medial sehr hoch eingeschätzt worden, auch weil Sie vier Jahre zuvor schon mit Julius Brink und Jonas Reckermann Olympiasieger geworden sind. Zu Recht?
JÜRGEN WAGNER: Den größten Anteil haben eindeutig die Athleten. Jeder im Team hat etwas eingebracht, und am Ende muss die Gesamtleistung stimmen. Für die Spielerinnen geht es darum, extrem gute Taktiken zu finden und die richtige mentale Steuerung hinzubekommen; an Tagen, an denen die mentale Verfügbarkeit nicht so stark ist, kann das Team am meisten helfen. Hier hat ja auch mein Schwerpunkt als Trainer angesetzt: Bewusstmachung, Eigenverantwortung, Selbststeuerung, das sind auch einige Kernpunkte meiner Trainertätigkeit.
Gab es nach Rio mal Momente des Verweilens, des erfreuten Rückblicks?
Es war schwierig zu verweilen. Die nächsten Pläne mussten angeschoben, die nächsten Themen erarbeitet werden. In Toronto waren wir ein Stück weg von Europa, da konnte ich mal verweilen.
Wie ist es den beiden gelungen, die Spannung nach Rio hoch zu halten?
Wir haben uns noch in Rio zusammengesetzt und diskutiert. Wollen wir nach Rio die Saison abschließen und die Medien bedienen? Damit wären sie ausgelastet gewesen. Wollen wir Timmendorf und Toronto einfach mitnehmen? Oder wollen wir, so gut es geht, auf hohem Niveau weitermachen? Für jede Option hatte ich einen Trainingsplan. Am Samstag nach der Goldmedaille hatten wir unsere Team-Abschlusssitzung, und beide waren der Überzeugung, die Turniere mit maximalem Engagement zu spielen.
Welche war Ihre Lieblingsoption?
Mein Job war und ist, guten Sport zu machen. Deswegen war mir ihre die liebste. Am schlechtesten hätte ich mit der mittleren Lösung leben können, Option zwei. Für die Erfolge in Timmendorf und Toronto war dann insbesondere ihr Wille entscheidend.
Wie persönlich ist der Kontakt zu Ihren Athleten? Und wie viel dürfen Sie den Medien erzählen? Gerade in Rio wurde ja nach Informationen gelechzt.
Es gibt Bereiche auf der persönlichen Ebene, die sind für keinen anderen bestimmt, schon gar nicht für die Öffentlichkeit. Es gibt da graduelle Unterschiede. Manches wird im ganz engen Team diskutiert, manches soll überhaupt nicht weitergebeben werden.
Was sind Sie für Ihre vier Schützlinge, zählt man Brink/Reckermann hinzu?
Ein absoluter Fachmann. Alle vier Personen haben sehr großes Vertrauen in meine fachlichen Fähigkeiten. Darüber hinaus hatte oder habe ich zu allen vieren völlig verschiedene Beziehungen. Sie sind alle vier außergewöhnliche Charaktere, aber auch sehr unterschiedliche Typen. Für alle vier gilt: Ohne Persönlichkeit schafft man nichts. Beim Männerteam habe ich Jonas Reckermann zwölf Jahre betreut. Ich bekam ihn als jungen Menschen, am Ende war er verheiratet und sein erster Sohn wurde geboren. Jemanden so lange als Trainer zu begleiten, ist ungewöhnlich. Wenn man sich auf der menschlichen Ebene so gut versteht wie wir beide, entsteht eine Freundschaft. Bei Julius Brink ging es darum, maximale Leistung zu erzielen. Das hat hervorragend geklappt. Unsere Beziehung ist gut, aber weniger eng. Kira und Laura sind zwei sehr unterschiedliche Frauen, sowohl was den Charakter als auch was ihre körperlichen Voraussetzungenangeht. Ich kann bei den beiden gar nicht sagen, dass es mit der einen eng und mit der anderen weniger eng ist. Wir sind einfach ein sehr gutes Team. Und ich bin schon sehr nah an ihnen dran. Es besteht zu beiden ein sehr großes Vertrauensverhältnis.
Haben schlechte Phasen auf dem Weg zu Gold geholfen?
Wenn man Sportler über mehrere Jahre betreut, gibt es immer schlechte Phasen. Es scheint nie vier Jahre die Sonne. Tiefs gehören dazu. Man muss die richtigen Lehren daraus ziehen.
Sind Sie streng?
Nö. Konsequent ja, streng nein.
Sind Sie der Kummerkastenonkel?
Das klingt so nach Sorgenabladen. Für mich gehört dazu, auch belastende Themen zu besprechen, ob aus dem Sport oder dem Privaten.
Müssen Sie alles wissen?
Ich muss nicht alles wissen. Viel zu wissen hilft aber. Beide müssen natürlich ihre privaten Bereiche haben.
Wie halten Sie es mit Distanz und Nähe?
Ich bin ein absoluter Fanatiker von Individualität. Jeder Spieler muss individuell aufgebaut und entwickelt werden. Ich habe Spieler betreut, bei denen Distanz sinnvoll war. Aber auch große Nähe kann hilfreich sein. Ich muss immer sehen, was für einen Menschen ich vor mir habe.
Geht die Kommunikation immer von Ihnen aus?
Nein. Die Kommunikation zwischen uns ist total offen. Das muss auch so sein. Nach Kiras Knieverletzung war es wichtig, nachzusteuern, andere Belastungen zu wählen. Da waren wir täglich im Kontakt, in anderen Phasen dann wieder nur wöchentlich. Ich habe die Regel, dass alles, was emotional eine Bedeutung hat, im Gespräch stattfinden sollte. Anderes, etwa wenn es um Pläne geht, kann man über andere Kommunikationskanäle machen.
Haben Sie die beiden nach Toronto losgelassen?
Ja. Ich habe ihnen gesagt, macht mal mindestens fünf, sechs Wochen etwas anderes, wir lassen uns in Ruhe. Sie haben vier Jahre an ihren Grenzen gearbeitet. Die physiologischen und mentalen Strukturen müssen jetzt komplett regenerieren. Jetzt haben wir losen Kontakt. Es geht meistens um Urlaubstraining, Hochleistungssportler können ja nicht die ganze Zeit auf dem Sofa sitzen.
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(Quelle: Sportdeutschland 03/2016)