Über Gefahren im Schulsport und falsche Beurteilungen

Ein Ziel des Sportunterrichtes ist es, die Kinder zu lebenslangem Sporttreiben zu motivieren. Negativerfahrungen wie beispielsweise im Unterricht erlebte Sportunfälle stellen das Erreichen dieses Ziels in Frage.

Beim Basketball und Fußball ereignen sich die meisten Unfälle im Schulsport. Copyright: picture-alliance/dpa
Beim Basketball und Fußball ereignen sich die meisten Unfälle im Schulsport. Copyright: picture-alliance/dpa

Von Dr. med. Jens Klem

Fünf Prozent aller Schüler erleiden jährlich eine Verletzung im Sportunterricht. Eine Analyse von 213 Schulsportunfällen mit 234 Verletzungen zeigte eine Geschlechtsverteilung von 45 Prozent der Mädchen zu 55 Prozent der Jungen und eine Unfallhäufigkeit zwischen 11 und 15 Jahren (Maximum 13 Jahre). 75 Prozent aller Unfälle ereigneten sich in der ersten Sekundarstufe. Bei den Großen Spielen ereigneten sich 63 Prozent aller Unfälle, wobei im Fußball mit 21 Prozent dicht gefolgt von Basketball mit 20 Prozent die meisten Unfälle zu beobachten waren. Im Gerätturnen - mit 16,5 Prozent an dritter Stelle - zählten die Sprunggeräte (Bock, Kasten, Minitrampolin und Pferd) zu den unfallintensivsten Disziplinen. Auffallend häufig (36 Prozent) war bei einer Verletzung beim Fußball ein im Fußballverein spielender Schüler betroffen.  

Jungen verletzen sich häufiger durch äußere Gewalteinwirkung

36 Prozent der Unfälle bei den Mädchen wurden durch die Ausübung der motorischen Grundfertigkeiten Laufen, Springen und Fangen verursacht, weitere 33 Prozent ereigneten sich bei bestimmten Ball- und sportartspezifischen Techniken. Auch bei den Schülern sind die motorischen Grundfertigkeiten mit 29 Prozent unfallführend, ebenfalls mit 20 Prozent verletzungsintensiv sind Ball- und sportartspezifische Techniken. Signifikant geschlechtsspezifisch unterschiedlich sind die Unfälle durch äußere Gewalteinwirkungen wie Foulspiel und „angeschossen, angeworfen werden“, wo sich die Jungen mit 19 Prozent der Fälle doppelt so häufig verletzten wie die Mädchen. Gleiches gilt für einfache motorische Fehlleistungen wie zum Beispiel Rutschen, Stolpern oder Stürzen. Auch hier sind die Jungen mit 17 Prozent mehr als doppelt so häufig betroffen. Der Schwerpunkt der Verletzungslokalisation lag geschlechtsunabhängig mit 55 Prozent auf der oberen Extremität, dabei waren Hand und Finger mit 41 Prozent am häufigsten betroffen. An der unteren Extremität (37 Prozent der Fälle) war vor allem das Sprunggelenk mit 20 Prozent durch Verletzungen beim Laufen und Springen am stärksten exponiert. Kopfverletzungen mit vier Prozent und Verletzungen des Rumpfes waren von untergeordneter Bedeutung.  

Mädchen haben meist Zerrungen und Verstauchungen, Jungen Quetschungen und Prellungen

Ein wiederum signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied zeigte sich bezüglich der Verletzungsarten. Während bei den Mädchen Zerrungen und Verstauchungen (37 Prozent) dominierten, waren bei den Jungen Quetschungen und Prellungen (28 Prozent) vorherrschend. Knochenbrüche (10 Prozent) an dritter Stelle der Verletzungsursachen traten in etwa gleich häufig auf. Knöcherne Kapselausrisse meist an den Finger- gelenken waren bei den Schülerinnen mit 14 Prozent doppelt so häufig wie bei den Schülern. Die überwiegende Zahl der Bänderrisse wurde am Sprunggelenk diagnostiziert. Hier sind die Jungen mit zehn Prozent wesentlich häufiger betroffen.  

Vier Prozent der Schüler und Schülerinnen wurden anschließend mit einer durchschnittlichen Dauer von zwölf Tagen stationär behandelt. Die Dauer der Sportunfähigkeit lag bei den Jungen im Mittel bei zwanzig Tagen, bei den Mädchen bei 16 Tagen. Auch hier zeigte sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied.  

Unfälle bei Ballsportarten am häufigsten

Eine geschlechtsspezifische Veranlagung zu Schulsportunfällen besteht nicht. Die Unfallhäufigkeit liegt in der Pubertät. Hier führen hormonelle Änderungen zu psychischen Instabilitäten und ausgeprägten konstitutionellen Proportions-verschiebungen, woraus Störungen von motorischen Handlungsabläufen, Selbstüberschätzung und Konzentrationsmängel resultieren. Der Anteil der Ballsportunfälle am Unfallgeschehen ist beträchtlich, was einerseits darauf zurück zu führen ist, dass von den Individualsportarten große Unterrichtsanteile auf die Mannschaftsspiele verlagert wurden und zudem die Komplexität der Spielabläufe an sich ein erhöhtes Unfall- und Verletzungsrisiko darstellen. Andererseits wurde bis dato das Unfallgeschehen in den klassischen Individualsportarten des Schulsportes (Gerätturnen und Leichtathletik) überschätzt, die Ballsportarten dagegen unterschätzt. Dies sollte ein Umdenken in der sportartspezifischen Thematisierung von Sicherheitsaspekten mit Auswirkungen auf Schulsportrichtlinien und Sportlehreraus- und -fortbildung nach sich ziehen, da in der bisherigen Sportlehrerausbildung Sicherheitsaspekte überwiegend im Zusammenhang mit Individualsportarten behandelt wurden. Der hohe Anteil der „Spezialisten“ am Unfallgeschehen im Fußball zeigt, dass nicht alle verunfallten Schüler als sportschwach einzustufen sind. Unangemessene Reaktionsweisen der Mitschüler (Nichtspezialisten) scheinen neben falscher Selbsteinschätzung und größerer Risikofreudigkeit die erhöhte Unfallrate zu erklären.  

Unfälle meist bei der Ausübung von motorischen Grundfertigkeiten

Bezüglich der Unfallereignisse und -ursachen zeigte sich, dass sich die Schüler und Schülerinnen insbesondere bei der Ausübung von motorischen Grundfertigkeiten, Ball- und anderen sportartspezifischen Techniken, also gerade den motorischen Handlungen verletzen, die zum einen gelernt und zum anderen beherrscht werden sollten. Bei den Schülerinnen waren neben der Ballannahme (Fangen), spezielle Übungsteile im Gerätturnen wie Stütz- und Rollbewegungen, vor allem aber Balltechniken (Pritschen, Prellen und Schießen) die vorrangig unfallbelasteten Situationen. Dies erklärt sich mit sozialisationsbedingten Defiziten der Mädchen im Umgang mit Bällen und könnte schon im Grundschulbereich durch intensive Schulung koordinativer Fähigkeiten ausgeglichen werden. Bei den Schülern zeigte sich, dass motorische Fehlhandlungen und äußere Gewalteinwirkungen wie mangelnde Übersicht in konkreten sportlichen Handlungsaufgaben Konzentrationsschwächen und dadurch auch unkontrolliertes und mit negativer Motivation belastetes Spiel einschließlich Foulspiel Unfallsituationen provozierten. 

Regelanpassungen an den Schulsport können prophylaktisch wirken

Da die Mehrzahl der Unfälle sich in komplexen Spielsituationen ereigneten, muss sichergestellt sein, dass die Schüler in der Lage sind, zumindest die Grobform einer sportlichen Handlung durchzuführen, bevor die Anwendung unter variablen Bedingungen wie beispielsweise einem Wettkampfspiel erfolgt. Zudem sollten schulsportadäquate Regelanpassungen sowie methodisch-organisatorische Maßnahmen zur besseren Überschaubarkeit von Spielsituationen und soziales Handeln stärker in der Unterrichtsplanung Berücksichtigung finden. Die überwiegende Zahl der Schulsportunfälle führt zu Bagatellverletzungen. Insbesondere bei den Mädchen sind motorische Grundfertigkeiten und sportartspezifische Techniken intensiver auszubilden, während bei den Jungen soziales Handeln und eine bessere Spielübersicht entwickelt werden sollte. Sportartspezifische Wettkampfformen dürfen erst nach Erreichen eines gruppenhomogenen Fertigkeitsniveaus im Unterricht Anwendung finden, wobei schul-sportartadäquate Regelanpassungen, insbesondere in den Mannschaftssportarten, von unfallprophylaktischer Bedeutung sein könnten.

Über den Autor:

Dr. med. Jens Klem ist Diplom-Sportlehrer und Diplom-Fechtmeister sowie Facharzt für Orthopädie und Facharzt für Chirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Chirotherapie und Physikalische Therapie. Er arbeitet seit 1998 an der Orthopädischen Universitätsklinik Homburg/Saar. Seit 2003 ist er als Oberarzt für die Funktionen Septische Orthopädische Chirurgie, Physikalische Therapie und Sportmedizin zuständig.


  • Beim Basketball und Fußball ereignen sich die meisten Unfälle im Schulsport. Copyright: picture-alliance/dpa
    Beim Basketball und Fußball ereignen sich die meisten Unfälle im Schulsport. Copyright: picture-alliance/dpa