Egal ob Chance oder Bedrohung, das Thema ist noch nicht angekommen. Inzwischen fühlen sich Vereine, die sich in der Betreuung engagieren, missbraucht. „Wir sind ganz schön ausgenutzt worden. Es kommt verdammt wenig an die Vereine zurück“, ging der Vorwurf beim letzten Seminar des Freiburger Kreises in Heidelberg an Schulen und Kultusbehörden. Diese verlangen Qualität, Professionalität und Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit - ehrenamtlich versteht sich. Für den billigen Jakob sind sich die Großvereine zumindest zu schade.
dsj-Vorsitzender Weiss: "Ganztagsschule ist nicht der Feind der Sportvereine"
Andererseits fürchten sie wegen des ausgedehnten Nachmittagsunterrichts bis zum Abend - damit mehr Hallenzeit für die Schulen - um die eigene Jugendarbeit und Trainingsangebote. „An den Schulen findet künftig alles statt, den Vereinen ist keine Rolle mehr zugedacht“, warnen besorgte Stimmen vor dem Zusammenbruch gelebter Vereinsstrukturen. Jugendarbeit ist eine der Säulen. Amerikanische oder französische Verhältnisse - dort findet in den Schulen alles statt, Nachwuchsarbeit außerhalb ist nahezu tot - möchten Vereine und Verbände verhindern. Denn Vielfalt und Qualität der Jugendarbeit zählt zu den Stärken der deutschen Vereinsbewegung. Ingo Weiss, der Vorsitzende der Deutschen Sportjugend (dsj), berichtete in Heidelberg, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine Arbeitsgruppe Ganztagsschule eingerichtet hat. Sie soll Gefahren und Erkenntnisse Bildungspolitikern nahe bringen, zugleich auch die bedarfsgerechte Betreuer-Ausbildung sowie die wissenschaftliche Sportlehrer-Aus- und Fortbildung befruchten. Weiss sieht in Ganztagsschulen eher Chancen für den Sport denn Risiken: „Es hat sich gewandelt, die Ganztagsschule ist nicht mehr der Feind der Sportvereine.“
Freiburger Turnerschaft eröffnet erste vereinseigene Ganztagsschule
Das DOSB-Präsidiumsmitglied vertraut auf Kommissionsarbeit, um Schulen und Politik für die Qualität und Belange des Sports zu sensibilisieren. Zugleich möchte er im Arbeitskreis Schule und Vereine der dsj Kooperationen und Projekte zur Ganztagsbetreuung stärker einbinden. Die 170 deutschen Großvereine im Freiburger Kreis sollen vor Ort die Lobbyarbeit verstärken, wünscht sich Weiss, zugleich Präsident des Deutschen Basketball-Bundes. Die Kontaktkommission zwischen DOSB und Kultusministerkonferenz bemüht sich, 16 Bildungskonzepte der Länder auf eine Linie zusammenzuführen. Einen bemerkenswerten Weg beschreitet die Freiburger Turnerschaft (FT). Sie eröffnet ab Schuljahr 2007/08 die erste vereinseigene Ganztagsschule in Deutschland. Auf deren Clubgelände werden zunächst zwei Klassen mit je 25 Grundschulkindern eingerichtet, so der Bildungsreferent des Großvereins, Günter Giselbrecht. Eine wird allein mit Abgängern aus dem Sportkindergarten der FT besetzt. Von 300 Kindern im Hort gehen 80 ab. Der Elternbeitrag im Monat beträgt 290 Euro. Freiplätze berücksichtigen finanzschwache Familien.
Das Risiko ist groß, der Verein dennoch tatendurstig: Da Privatschulen in den ersten drei Jahren keine Fördermittel erhalten, rechnet Giselbrecht mit 500.000 bis 700.000 Euro Defizit. Dieses muss mit Krediten finanziert werden. „Beim Thema Bildung sind die Banken offen.“ Ab dem vierten Jahr fließen staatliche Zuschüsse (50 Prozent). Drei bis vier Jahre später soll das Modell schon schwarze Zahlen schreiben. Jede Klasse verlangt ein drei- bis fünfköpfiges Lehrer- und Betreuerteam (Hauptamtliche und Teilzeitkräfte). Die pädagogischen Vorleistungen verschlangen 10.000 Euro, plus 3.000 Euro Fortbildungskosten, um jede Lehrkraft mit dem anspruchsvollen Konzept vertraut zu machen. Trotz schlechter Bezahlung bedeutete es kein Problem, Personal zu finden.
Konzepte und Ideen scheitern an Geldmangel
Das pädagogische Konzept der Vereinsschule setzt auf Ganztagsbildung (Unterrichtsblöcke/Doppelstunden), aufgelockert mit aktiven Pausen, Entspannungsangeboten, dazu der bewegte Anfang. Psychomotorische Betreuung, Lernförderung, Klang und Bewegung sowie freie Bewegung gehören dazu. Zunächst wird in Containern unterrichtet. In drei Jahren soll ein Schulgebäude stehen. Berufsoptimist Giselbrecht ärgert, dass der Bund zur Ganztagsbetreuung Milliarden in Hardware (Räume, Gebäude) steckt, aber keinen Cent in Software (Ideen, pädagogische Konzepte). Konzepte und Ideen zur Ganztagsbetreuung sind reichlich auf dem Markt. Die meisten scheitern am Geldmangel, aber auch am Veto und der Praxisferne von Bildungspolitikern und Fachverbänden. Beispiel MTV Stuttgart: Der Großverein bietet das Club-Coach-Modell in zwei Schulkooperationen an. Es arbeitet mit bezahltem Personal. Politik wie Verband setzen jedoch auf ehrenamtliche, weil kostenneutrale Jugendbegleiter. Mitinitiator Karsten Ewald: „Das wird nicht fruchten, das wirft uns um Jahre zurück.“
Das Club-Coach-Modell fußt auf professionellen Betreuern. Im Angebot sind in der offenen Ganztagsschule vier Unterrichtseinheiten (zweimal 90 Minuten in der Woche). Das wissenschaftlich begründete, fachübergreifende Sportkonzept ist einfach zu organisieren und in allen Schulen anwendbar (www.club-coach.de). In den ersten beiden Grundschuljahrgängen werden Basis-Angebote, für die dritten/vierten Klassen sportfachliche Inhalte offeriert. Kosten pro Kind im Jahr (20 bis 25 Kinder in der Klasse) 200 Euro. Anteil pro Eltern 90 Euro - im Jahr. Den Rest decken Zuschüsse. 45 Schulen wollte das Projekt in den ersten fünf Jahren erreichen. Bisher arbeiten lediglich die beiden Stuttgarter Gruppen.