Verena Bentele: Botschafterin mit Biss

Im Interview mit Faktor Sport, dem Magazin des DOSB, spricht Verena Bentele über Fahrradfahren, Förderung und fehlendes Grundverständnis für den Behindertensport.

Verena Bentele mit ihrem Begleitläufer und Freund Thomas Friedrich bei der Gala zur Wahl "Sportler/in des Jahres 2010". Foto: picture-alliance
Verena Bentele mit ihrem Begleitläufer und Freund Thomas Friedrich bei der Gala zur Wahl "Sportler/in des Jahres 2010". Foto: picture-alliance

Ihr Lachen ist fabelhaft; ihre Fähigkeit, den gesellschaftlichen Wert des paralympischen Sports sprachlich auf den Punkt zu bringen, beeindruckend. Verena Bentele geht im Gespräch mit Marcus Meyer und Jörg Stratmann auch souverän mit der Erwartungshaltung um, als eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen eine gesellschaftliche Vorbildrolle einzunehmen.

Faktor Sport: Frau Bentele, fangen wir mit einem herzlichen Glückwunsch an: Sie sind im Sommer Deutsche Meisterin im Tandemradfahren geworden. Da drängt sich die Frage auf: Haben Sie die Sportart gewechselt?

Bentele: Ich versuche mal, diplomatisch zu antworten (lacht). Dass ich den Skisport an den Nagel gehängt habe, stammt nicht aus meinem Munde. Was schon stimmt, sind die Fakten: Ich bin Deutsche Meisterin im Tandemfahren. Und ich habe Geschmack an dieser Sportart gefunden. Deswegen habe ich auch Anfang September in Dänemark an der Weltmeisterschaft im Paracycling teilgenommen.

Ist die Disziplin 2012 paralympisch?

 Ja, das Zeitfahren wird in London ausgetragen. Wenn ich mich entschieden habe, wie es weitergeht, werde ich Sie informieren (lacht).

Okay, Ihre Sportkarriere ist also weiterhin offen: Von Brettern auf Räder zu wechseln, ist dennoch nicht naheliegend.

Ich hab letztes Jahr meinen Uni-Abschluss gemacht und beides, Sport und Arbeit, unter einen Hut zu bringen, das hätte ich nicht geschafft. Wenn man wie ich wegen des Sports relativ lang studiert, sollte man schon eine ordentliche Prüfung hinlegen. Deshalb habe ich ein Jahr Pause vom Skilanglauf gemacht und offengelassen, wie es weitergeht. Ich habe in dieser Zeit Sportarten gemacht, die weniger Aufwand verursachen und mir trotzdem Spaß machen, und das sind Laufen und Radfahren.

Zurück zum Skifahren: Wir haben gelesen, dass Ihr Begleitpartner nicht mehr weitermachen konnte.

Man muss es vielleicht anders sagen: Die Rahmenbedingungen, um professionell weiterzutrainieren, wären auf jeden Fall sehr schwierig zu organisieren gewesen. Die Ansprüche, auch die eigenen, sind nach fünf Goldmedaillen in Vancouver natürlich gewachsen. Wenn man unter diesen Voraussetzungen bis Sotschi 2014 weitermachen will, geht das nur, wenn auch der Begleitläufer professionell trainiert. Und das ist der Unterschied zum Radfahren: Beim Langlauf kann man bloß mit ganz wenigen Leuten auf wirklich hohem Niveau trainieren. Schnell Rad fahren können mehr Menschen, außerdem kann man den Sport in mehr Regionen in Deutschland betreiben. Und das Verständnis zwischen Athlet und Begleiter spielt eine geringere Rolle. Insofern ist der Radsport organisatorisch deutlich einfacher ins Leben einzubauen.

Ist das auch eine Frage der Finanzierung, immer für zwei Personen zu planen?

Einem Begleitläufer hätte ich bis Sotschi ein vernünftiges finanzielles Fundament bieten müssen. Meiner hat einen interessanten Job und einen guten Vertrag; dem zu sagen: „Jetzt schmeiß das hin für ein paar Jahre Sport“, wäre natürlich nicht einfach gewesen.

Wie ist es um die Förderung der Paralympioniken bestellt?

Das Thema hat in den letzten Jahren öfter zu Diskussionen geführt, auch in Bezug auf die Medaillenprämien. Was wir machen, hat nach wie vor den Status einer Randsportart – trotz aller Erfolge. Und wenn man als blinde Athletin auf hohem Niveau Sport treiben möchte, ist es so, dass der ganze Aufwand für zwei Personen betrieben werden muss. Was bringt es mir, wenn ich professionell trainiere, aber keinen habe, der mit mir rausgeht? Ich habe es vor Vancouver gemerkt: Ein Dreivierteljahr kontinuierlich mit dem Begleitläufer unterwegs zu sein, hat mich richtig gut gemacht. Und unter diesem Niveau möchte ich den Sport nicht mehr betreiben.

Können Sie ein Umdenken der Förderinstitutionen erkennen?

Die Entwicklung des Sports und der Professionalisierung verlaufen auf jeden Fall nicht im gleichen Tempo. Noch haben wir in Deutschland Athleten, die das entsprechende Niveau bringen können. Sollten sich die Bedingungen im Wintersport aber nicht wirklich ändern, sollte es keine Förderung vom Nachwuchs bis zur Spitze geben, dürfte es zum Beispiel schwer werden, bei den nächsten Paralympics mit einer durchsetzungsfähigen Langlaufmannschaft anzutreten.

Sie haben mit Julius Beucher einen Präsidenten, der auf Ihrer Seite steht und speziell versucht, die öffentliche Wahrnehmung zu verbessern. Diskutieren Sie mit ihm über diese Themen?

Ja klar, wir sprechen darüber und ich denke, dass der Präsident seine Möglichkeiten nutzt. Aber wie erwähnt: Das ganze System, Verbände, Politik, Medien, auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft abseits des Verbandes, ist halt sehr träge. Ich glaube, dass es noch an einem grundsätzlichen Verständnis für Behindertensport fehlt.

Wie sollte das aussehen?

Nach meiner Ansicht wird der gesellschaftliche Mehrwert des Behindertensports noch nicht in seiner ganzen Tragweite erkannt. Es geht um mehr, als dass alle vier Jahre ein paar Leute zusammenkommen und ein bisschen Sport machen.

Das Gleiche behauptet der olympische Sport auch von sich.

Ich möchte nicht olympischen und paralympischen Sport gegenüberstellen, beides hat dieselbe Berechtigung. Motivationskraft und Vorbildfunktion haben im paralympischen Sport eine besondere Bedeutung. Sein Schicksal in die Hand zu nehmen, seinem Leben trotz widriger Umstände eine positive Richtung zu geben – das strahlt auch auf Menschen ohne Behinderung aus. Und ich meine das nicht therapeutisch. Warum läuft so viel Sport im Fernsehen? Natürlich wollen sich die Leute an der Leistung erfreuen, sie wollen aber auch sehen, wie es andere Menschen immer wieder schaffen, an ihre Grenzen zu kommen. Das gilt für den Behindertensport noch viel stärker. Die Botschaft auf der Metaebene lautet: Nutze deine Ressourcen und Möglichkeiten.

Vorbilder brauchen Öffentlichkeit.

Natürlich hätten wir gern mehr Aufmerksamkeit, auch zwischen den Paralympischen Spielen. Ich will nicht leugnen, dass es Schritt für Schritt besser wird, aber es ist längst nicht ausreichend. Mein großer Wunsch wäre, dass man die paralympischen Wettkampfstrukturen stärker in die olympischen eingliedert. Unsere Förderung wäre außerdem besser, wenn unsere Weltmeisterschaften, die alle zwei Jahre stattfinden, mehr Aufmerksamkeit bekommen würden. Dann würde sich eine Organisation wie die Sporthilfe vielleicht leichter tun, den paralympischen Sport mehr zu fördern.

Was kann man von den Medien verlangen?

Schwierige Frage. Sport braucht ein großes Publikum, damit berichtet wird. Das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ich sehe da beide Seiten in der Pflicht, nicht allein die Medien, sondern auch den Sport: möglichst erfolgreich zu sein und Wettkampfformen zu finden, die attraktive Unterhaltung bieten.

Hat der paralympische Sport diesbezüglich Nachholbedarf?

Ich sehe Entwicklungsmöglichkeiten. Aber ich denke, dass es schon sehr positive Ansätze gibt, zum Beispiel die Langlaufsprints mit Strafrunden.

Stehen die diffizilen Schadensklassen einer größeren Aufmerksamkeit entgegen?

Das glaube ich nicht. Ich bin eine absolute Verfechterin des Systems. Die Schwierigkeit liegt nicht in seiner Einteilung, sondern in der Vermittlung. Für uns ist es extrem wichtig, dass Journalisten über uns berichten, die in den Sport integriert sind und ihn veranschaulichen können. Das erfordert eine Menge Kenntnisse. Natürlich würden wir gern einmal dahin kommen, dass man paralympischen Sport einfach so angucken kann, ohne große Erklärungen. Aber da sind wir ehrlicherweise noch nicht. Deshalb müssen Medienvertreter paralympischen Sport so transportieren, dass ihn jeder versteht. Mein Eindruck ist aber, dass wir mittlerweile besser in den Redaktionen verankert sind.

Fühlen Sie sich in der Verantwortung, Ihre Popularität für den Behindertensport einzusetzen?

Im Rahmen meiner Möglichkeiten mache ich das bereits. Ich gebe Motivationstraining in Firmen und verwende Beispiele aus dem Sport, um sie auf Arbeitsprozesse zu übertragen. Und ich spreche über das für mich sehr wesentliche Thema Vertrauen. Ich kann mir auch vorstellen, mich in die Entwicklung des Behindertensports einzubringen. Aber solange ich sportlich aktiv, also dicht dran bin, birgt es vielleicht gewisse Schwierigkeiten, sich in einem Verband oder einer Organisation zu engagieren (lacht).

Wie das aussehen könnte, haben Sie als Botschafterin von München 2018 und bei der Präsentation der Olympiabewerbung gezeigt.

Ich fand toll, dass der paralympische Bereich innerhalb der Bewerbung so einen großen Stellenwert hatte. Spiele im eigenen Land wären ein starkes Signal für den Behindertensport gewesen und hätten der Aufmerksamkeit und der Förderung sicherlich einen Schub gegeben. In diesem Sinne hatte ich das Gefühl, etwas bewegen zu können. Das gleiche Gefühl treibt mich in meiner Tätigkeit für die Schulsportstiftung an. Dort planen wir, „Jugend trainiert für Paralympics“ auch für den Winter zu veranstalten. Dahinter steht die Idee des gemeinsamen Schulsports, der Inklusion. Diese Idee zu fördern, darin sehe ich meine Aufgabe, das macht mir Riesenspaß. Konkrete Projekte zu unterstützen, gibt mir als Sportlerin mehr als endlose Diskussionen.

Sie sprachen über den Vertrauensbegriff, der in Ihrem Leben, auch dem als Sportlerin, eine herausragende Rolle spielt. Wie würden Sie ihn definieren?

Vertrauen ist für mich eine Grundvoraussetzung, um mit anderen Menschen konstruktiv zusammen leben und arbeiten zu können. Und auch, um seine eigenen Fähigkeiten zu nutzen. Das Wissen um das Urvertrauen, das jeder Mensch hat, ist wichtig, um den Vertrauensvorschuss zu geben, den jede Beziehung braucht.

Sie sehen Vertrauen als gegeben an?

Nicht das Vertrauen zwischen Menschen. Das muss man sich kommunikativ erarbeiten. Das hat etwas mit Offenheit zu tun, aber auch damit, seine eigenen Wünsche und Ansprüche an die andere Person definieren zu können. Das ist nicht mit Gutgläubigkeit zu verwechseln, und nur weil sich mir jemand öffnet, verstehe ich ihn nicht unbedingt. Wenn sich andere Menschen falsch verhalten, hat das noch lange nichts mit Misstrauen zu tun.

Zu Ihrem Begleiter beim Langlauf müssen Sie ein partnerschaftliches, vertrauensvolles Verhältnis haben. Eigentlich kennt man aber nur Sie.

Die Begleitläufer sind für den Erfolg genauso wichtig wie ich. Auch wenn Langlaufen ein Individualsport ist, versuche ich ihn als Teamsport zu begreifen. Natürlich gilt das Hauptaugenmerk dem Athleten, das sind nun mal die Mechanismen der Öffentlichkeit; aber ich hoffe, dass meine Begleitläufer immer das Gefühl hatten, Teil des Erfolges zu sein. Weniger schön ist dann, wenn man eine Ehrung erhält und der Begleitläufer nicht eingeladen wird.


Ausgezeichnete Athletin
In Vancouver 2010 passte alles: Verena Bentele erklomm fünfmal das Siegertreppchen im Biathlon und Langlaufen und schraubte ihre Sammlung bei Paralympischen Spielen auf insgesamt zwölf Goldmedaillen. Damit gehört die blinde 29-Jährige zu den erfolgreichsten deutschen Behindertensportlerinnen. Bentele hat eine Reihe von Auszeichnungen erhalten, die ihre Erfolge auf und ihr Verhalten abseits der Loipen würdigen: Im Jahr 2010 etwa wurde sie zur „Behindertensportlerin des Jahres“ gewählt, erhielt den „Goldenen Ehrenring“ der Stadt München und – zusammen mit Verena Sailer – den „Bambi“ in der Kategorie „Sport“. Im südafrikanischen Durban gehörte sie neben Kati Witt und Franz Beckenbauer zum Präsentationsteam der Münchener Olympiabewerbung 2018. Bentele hat Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Sie gibt Motivationsseminare und engagiert sich unter anderem für die Schulsportstiftung.

(Quelle: Faktor Sport. Das Interview gehört zum Schwerpunktthema der neuesten Ausgabe des DOSB-Magazins, das aus Anlass des 60-jährigen Jubiläums, das der Deutsche Behindertensportverband am 9. September 2011 in Berlin feiert, dem paralympischen Sport gewidmet ist.)


  • Verena Bentele mit ihrem Begleitläufer und Freund Thomas Friedrich bei der Gala zur Wahl "Sportler/in des Jahres 2010". Foto: picture-alliance
    Verena Bentele mit ihrem Begleitläufer und Freund Thomas Friedrich bei der Gala zur Wahl "Sportler/in des Jahres 2010". Foto: picture-alliance