Volker Rittner: Vielleicht ein kleiner Lichtblick für Japan

Ein Interview mit dem früheren Leiter des Kölner Instituts für Sportsoziologie und Kenner des Deutschen-Japanischen Austauschs zur Katastrophe in Japan und die Zukunft des Sports.

Der Deutsch-Japanische Austausch gehört zum festen Programm der Deutschen Sportjugend. Foto: dsj
Der Deutsch-Japanische Austausch gehört zum festen Programm der Deutschen Sportjugend. Foto: dsj

Prof. Volker Rittner, erst vor kurzem als Leiter des Instituts für Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochsule Köln ausgeschieden, ist langjähriger Kenner und Partner der Deutschen Sportjugend (dsj) sowie des Deutsch-Japanischen Sportjugend-Simultanaustauschs. Er kann bei der Katastrophe in Japan auch einen kleinen Lichtblick erkennen. Das Interview führte Kathrin Freudenberger.

DOSB-PRESSE: Herr Rittner, schon lange bringen Sie sich aktiv immer wieder bei der Deut-schen Sportjugend ein. Wie würden Sie Ihr bisheriges Engagement bei der dsj beschreiben? Seit wann sind sie für die dsj aktiv, und wie sind Sie zu ihr gekommen?

VOLKER RITTNER: Ich habe als Schüler und Jugendlicher sehr intensiv Leistungssport in Hamburg betrieben. Eine engere Berührung mit der dsj ergab sich 1964, als ich an der Olympiafahrt der Deutschen Jugend zu den Olympischen Spielen in Tokio teilnehmen durfte. Das war natürlich ein großartiges, unvergessliches Erlebnis. Auf diese Weise lernte ich die dsj besser kennen und interessierte mich für ihre Arbeit. Ich wurde dann auch zum Mitglied des Führungsnachwuchses der dsj berufen, einer damaligen Initiative der dsj-Führung. Da diese Berufung bis heute nie zurückgenommen wurde, fühle ich mich auch jetzt, zum Zeitpunkt meiner Emeritierung, immer noch als Führungsnachwuchs der dsj. Im Ernst, ich habe nach der Olympiafahrt viel in der Zeitschrift "Olympische Jugend" als dem damals zentralen Organ der dsj, publiziert und Stellung zu aktuellen Themen im Bereich Sport und Gesellschaft genommen. Teilweise auch sehr kritisch, manchmal wohl auch provokativ. Das lag damals in der Zeit. Auch bei Tagungen der dsj habe ich hin und wieder nachdrücklich Stellung bezogen. Ich hatte den Eindruck, dass die dsj sportpolitisch noch mehr aus ihren Möglichkeiten als größte Jugendorganisation Deutschlands hätte machen können. Man war damals aber durchaus nachsichtig mit meinen Provokationen. Persönliche Beziehungen wurden dadurch nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil. Wichtig war für mich bis zum heutigen Tag der Kontakt zu Personen wie Fritz Mevert, Dieter Bucholtz und Harald Pieper, die ja jeweils für wichtige Phasen der Entwicklung der dsj stehen.

DOSB-PRESSE: Was war bisher ihr schönster Moment bei der dsj?

RITTNER: Keine Frage: die Olympischen Spiele von Tokio und die Teilnahme am Jugendlager der dsj.

DOSB-PRESSE: Welche Pläne haben Sie für künftige Projekte oder Arbeiten in Kooperation mit der dsj?

RITTNER: Sportvereine in Asien, das ist das Thema. Ich bin sehr interessiert an der Sportentwicklung in Asien, speziell an der Frage, inwieweit es gelingt, deutsche Erfahrungen im Bereich der sportbezogenen Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit auf einen kulturellen Bereich zu übertragen, in dem man in dieser Hinsicht keinerlei Tradition bzw. Vorbilder besitzt. Sehr interessant ist die Entwicklung in Japan und in China, also in zwei Schlüsselländern Asiens. Japan und China stellen gewissermaßen zwei Phasen der Entwicklung dar. In Japan gibt es das interessante Projekt der Etablierung von Sportvereinen nach deutschem Vorbild. Ein japanischer Kollege und ich sind daran im Rahmen der Weiterbildung von japanischen Vereinsmanagern direkt beteiligt. Wenn ich es recht sehe, so ist das eine vielversprechende Entwicklung, die zeigt, dass Sportvereine auch in einer völlig anderen Kultur und gesellschaftspolitischen Situation sehr aktuell und modern sind. Dann China. Hier findet ja ein weltpolitisch bedeutsames Groß-Experiment in vielerlei Hinsicht statt. Im Rahmen der Umwälzungen und Transformationen ist die Sportentwicklung nicht nur eine vernachlässigbare Rand-Bagatelle der Geschichte. Gerade in China stellt sich die Frage, inwieweit deutsche bzw. europäische Modelle der Zivilgesellschaft übertragen bzw. entwickelt werden können. Ich begrüße es deshalb sehr, dass die dsj jetzt auch in China zunehmend aktiv ist. Ich sehe hier eine wichtige Aufgabe der dsj, auch spezifische Chancen in einer Take-off-Phase der chinesischen Entwicklung. In dieser Frage gab es ja auch schon Gespräche mit der Führung der dsj. Hier will ich gern weiter machen.

DOSB-PRESSE: Der Simultanaustausch zwischen der Japanischen und Deutschen Sportjugend besteht nun schon seit 38. Jahren. Dieses Jahr wird er von den erschütternden Ereignissen in Fukushima und durch den Tsunami begleitet. Wie schätzen Sie die Lage ein und was denken Sie ist über eine Spendenaktion hinaus möglich?

RITTNER: Betroffen ist mit Fukushima eine Region, mit der wir besonders intensive Kontakte haben, speziell auch mit dem sportwissenschaftlichen Institut der Universität Fukushima. Gegenwärtig prüfen wir – das sind die Partner des japanisch-deutschen Austausches im Rhein-Kreis Neuss – Möglichkeiten, inwieweit wir für japanische Jugendliche aus der Region von Fukushima noch in diesem Jahr ein Sommerlager organisieren können. Darüber hinaus wird man jetzt generell sehen müssen, wie Japan die Katastrophe bewältigt. Vielleicht ein kleiner Lichtblick, wenn auch mit traurigem Hintergrund: Katastrophen sind auch die Stunde der Selbsthilfe und der Selbstorganisation. So war das Erdbeben von Kobe 1995 ein entscheidender Ausgangspunkt für die dynamische Entwicklung der Freiwilligenorganisationen in Japan, darunter auch der Sportvereine. In existentiellen Situationen kommt es auf Fähigkeiten der Selbsthilfe und Selbstorganisation an. Die Sportorganisationen können hier mit ihrer Vorbildwirkung viel bewirken.

DOSB-PRESSE: Was wünschen Sie sich hinsichtlich der Zukunft der Jugend im Bereich Sport beziehungsweise was würden Sie ihr gerne mit auf den Weg geben?

RITTNER: In einer Gesellschaft, in der die Prozesse der Entkörperlichung und Mediatisierung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen immer mehr Probleme aufwerfen, ist der Sport, das heißt ein sinnhafter Umgang mit dem Körper, wichtiger denn je. Der Sport ist dabei nicht auf die Rolle der Reduktion von Übergewicht und Koordinationsmängeln zu reduzieren, obwohl dies angesichts eines veränderten Krankheitspanorama wichtig genug ist. Es geht um elementare Probleme der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, sprich der Persönlichkeitsbildung. Der dsj sind durch die gesellschaftspolitische Entwicklung somit zentrale Aufgaben der Bildungspolitik zugewachsen, mehr als man es damals – 1964 – je ahnen konnte. Diesen Herausforderungen muss sie sich in allen Belangen stellen. Soweit ich das beurteilen kann, geschieht dies mittlerweile in beeindruckender Weise. Der Führungsnachwuchs von 1964 ist also mit der organisatorischen Entwicklung der dsj in der Gegenwart durchaus zufrieden.


  • Der Deutsch-Japanische Austausch gehört zum festen Programm der Deutschen Sportjugend. Foto: dsj
    Der Deutsch-Japanische Austausch gehört zum festen Programm der Deutschen Sportjugend. Foto: dsj