Vom Frust- zum Lustläufer

 

Aus dem Frustläufer wurde ein Lustläufer: Als der Ingenieur Bruno vor zwei Jahren seinen Arbeitsplatz verlor, weil seine Firma in Konkurs ging, brach für den 56 Jahre alten Familienvater sein Lebenskonzept zusammen.

 

Zahlreiche Bewerbungen blieben ohne Erfolg. Während seine Frau weiter im Berufsleben stand, die Kinder studierten, vergrub er sich zu Hause, frustriert und unzufrieden. Im Tennisklub meldete er sich ab, das Geld wollte er sparen, aber viel mehr fürchtete er die Fragen der erfolgreichen berufstätigen Kollegen, warum er denn nun am Vormittag schon auf dem Platz stand...

 

Aber das Rumhängen war nicht Brunos Ding. Irgendwann raffte er sich morgens auf, zog seine Laufschuhe an und trabte durch den nahe gelegenen Park. „Es war wie ein Befreiungsschlag. Ich habe nicht nur im doppelten Sinn richtig durchgeatmet, sondern ich entdeckte, dass die Welt - trotz allem - doch noch ganz schön ist. Der Frust war plötzlich weg.“ Das Laufen empfand er zunächst als Mittel, Frust abzubauen, dann als einen festen Termin in seinem täglichen, nicht allzu aufregenden Stundenplan. Und seit dem Oktobertag vor einem Jahr, als er das Laufen für seinen Seelenfrieden entdeckte, ist er nun jeden Tag für zwei Stunden auf Achse.

 

Mittlerweile fällt es dem Ingenieur auch nicht mehr schwer, über seine Arbeitslosigkeit zu reden. Vorher hat er sich eingeigelt, war wenig kommunikativ. Aber auf der Strecke kam er mit anderen Joggern immer wieder ins Gespräch. Und da entdeckte er, dass es dem einen oder anderen beruflich ähnlich ergangen ist wie ihm selbst. Mittlerweile treffen sich eine Handvoll Läufer ohne Job regelmäßig auch privat, versuchen Krisen und depressive Phasen, in die mancher immer wieder fällt, gemeinsam aufzufangen. Neben Gesprächen, so sagen sie alle, hilft das gemeinsame Laufen. „Ich will das nicht überbewerten: Aber wenn man plötzlich beruflich auf dem Abstellgleis steht, dann geht das Selbstwertgefühl doch ziemlich in den Keller. Ich habe mir nach meiner Entlassung immer wieder die Frage gestellt: Gehörst du mit 48 wirklich zum alten Eisen?

 

Ich wollte doch jetzt erst richtig loslegen“, erzählt Jürgen, der auch Opfer einer Firmenpleite wurde. Die Läufer erzählen von der sozialen Kälte, die sie erfahren haben - auch im unmittelbaren Umfeld standen sie plötzlich nicht mehr auf der Gästeliste bei Geburtstagsfeiern oder Sommerfesten. Und nicht nur Bruno erlebte, dass in seinem Tennisverein hinter ihm hergetuschelt wurde, als durchsickerte, dass sein Arbeitgeber aufgeben musste. Dabei würde er sich wünschen, dass Sportvereine gerade solche Leute, die beispielsweise plötzlich ohne Arbeit dastehen, mit besonderen Konditionen auffangen würden. „Wenn man sich körperlich auspowern kann, sich selbst mit Leistung beweisen kann, dass man noch mithält, dann geht es einem schon besser“, sagt Bruno, der aber weiß, dass viele sich beispielsweise eine Mitgliedschaft in einem Verein nicht mehr leisten können, weil sie jeden Cent umdrehen müssen. „Für viele mag das lächerlich klingen, aber leider ist es so.“ Kostenlose Mitgliedschaft? Für die Mehrheit der Vereine undenkbar, weil sie selbst wegen Kürzungen knapper kalkulieren müssen. Bruno sagt, es wäre eine Geste der Solidarität mit denen, jenen es eben nicht so gut geht. Und vielleicht auch eine Investition für die Zukunft für Zeiten, in denen er wieder einen Job hat und zahlendes Mitglied sein könnte. Solange das nicht so ist, ist sein Verein eben seine eigene Lauftruppe mit dem schönen Motto „Lauf dich los“.... von was auch immer.