"Von allen geschätzt – und doch sträflich vernachlässigt"

In Deutschland häufen sich die Erkenntnisse über Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen und ihr zunehmendes Übergewicht. Diese alarmierende Entwicklung kann auch im Schulsport nicht so bekämpft werden, wie es notwendig wäre, denn im deutschen Schulsport fallen eine Menge Unterrichtsstunden aus. Diese bisherige Vermutung über den Ausfall wird nun durch die Ergebnisse der ersten repräsentativen Untersuchung zur Situation des Schulsports empirisch belegt.

Sportunterricht in Deutschland (Foto: DSB-Archiv)
Sportunterricht in Deutschland (Foto: DSB-Archiv)

Eine Zwischenbilanz zum Schulsport in Deutschland

 

Die Untersuchung zum „Sportunterricht in Deutschland“ – kurz DSB-SPRINT-Studie genannt – zeigt, dass im Sekundarbereich der Schulen von drei vorgesehenen nur 2,2 Stunden gegeben werden. „Das heißt im Klartext: Jede vierte Stunde findet nicht statt“, erklärt der Paderborner Sportwissenschaftler Prof. Wolf-Dietrich Brettschneider, der gemeinsam mit fünf anderen Wissenschaftlern aus ganz Deutschland dieses Forschungsvorhaben federführend betreut und die Studie jetzt in Berlin mit ersten Ergebnissen vorlegte.

 

Befragung von Schülern, Sportlehrern und Eltern

 

Anfang 2004 sind vier Monate lang 8.863 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 9 und 16 Jahren in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für die DSB-SPRINT-Studie befragt worden. Dazu kommen 1158 Sportlehrer, 191 Schulleiter der befragten Schulen und 4352 betroffene Eltern. Unter den 219 Schulen waren 56 Grundschulen, 34 Hauptschulen, 39 Realschulen, 24 weiterführende Sekundarschulen, 11 Gesamtschulen und 55 Gymnasien. Die Untersuchung wird vom Deutschen Sportbund und den fünf früheren deutschen Bewerber-Städten für Olympia 2012 finanziert.

 

Das Forschungsvorhaben wurde von der Kultusministerkonferenz der Bundesländer unter ihrer Präsidentin, Staatsministerin Doris Ahnen (Rheinland-Pfalz), unterstützend begleitet. Ziel der Studie war es, die Rahmenbedingungen und Leistungen des Sportunterrichts festzustellen. Untersucht wurden die Vorstellungen der Schüler zu den Inhalten des Schulsports, die Belastungen der Sportlehrer, qualitätsmindernde Faktoren und die Sportstättensituation.

 

Häufig unterrichten fachfremde Pädagogen im Sportunterricht

 

Die Untersuchung zeigt, dass „fachfremd erteilter Unterricht“ ein gravierendes Problem darstellt. Deutschlandweit werden zwar 80 Prozent der Stunden von Sportpädagogen gegeben, die für „ihr“ Fach ausgebildet sind. Ein Blick auf die Haupt- und Grundschulen aber zeigt alarmierende Ergebnisse, wie Prof. Brettschneider betont. In den Hauptschulen wird ein Drittel von Pädagogen unterrichtet, die keine Ausbildung im Fach Sport durchlaufen haben. In Grundschulen ist es dann schon die Hälfte aller Lehrer, die nicht aus dem Fach Sport stammen. In einigen Bundesländern liegen die Zahlen sogar noch deutlich höher.

 

Aus der Sicht von DSB-Präsident Manfred von Richthofen sind das mit Blick auf die nachlassende Fitness und das zunehmende Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen bedenkliche Werte. „Gerade in den jungen Jahren wird die Basis für das zukünftige Sporttreiben gelegt. In der Grundschule müssten eigentlich die am besten aus- und fortgebildeten Sportlehrer in der Sporthalle stehen“, meinte von Richthofen in Berlin.

 

Bei der Altersstruktur der Sportpädagogen ermittelten die Forscher ebenfalls eine Bestätigung für die Vermutung, dass die Sportlehrer an vielen Schulen überaltert sind, wenngleich diese Bestätigung auch nicht so drastisch ausfiel, wie von einigen erwartet. Die 45- bis 60-Jährigen sind nach den Berechnungen aus der Stichprobe stärker in den Kollegien der Schulen vertreten als die 30- bis 45-Jährigen. Im Schnitt ist die deutsche Sportlehrerin heute 43 Jahre alt, der Sportlehrer 45 Jahre.

 

Schüler finden Sport gut und wichtig

 

Trotz mancher dieser aufgezeigten Probleme zeigt sich, dass die Wertschätzung für das Unterrichtsfach „Sport“ positiv ausfällt. Zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler bezeichnen ihn als sehr wichtig oder wichtig, nur 13 Prozent erklären das Gegenteil. Von den Eltern betonen sogar 80 Prozent die Bedeutung des Sportunterrichts. Gründe für die Wertschätzung sind der Einfluss auf die Gesundheit, die Chance zur Leistungsverbesserung sowie die Möglichkeit zur Entspannung und zum fairen Umgang miteinander. Zwar geben die Schüler dem Sportunterricht recht gute Noten, dennoch fällt ihr Urteil über seine Qualität nicht gerade überschwänglich aus. Schüler wollen sich anstrengen, gefordert werden, Neues lernen und das Gelernte in der Freizeit anwenden können. Diese Punkte sehen sie nicht erfüllt.

 

Insgesamt fällt das Zwischenfazit der Wissenschaft nach den vorliegenden Befunden alles andere als rosig aus. Brettschneider zieht für den Sportunterricht das Resümee: „Insgesamt von allen geschätzt – und doch sträflich vernachlässigt.“ Bewertende Elemente flossen in die jetzt vorgelegten Ergebnisse erst am Rande ein. Die sechs Forscherteams werden nun die Verknüpfungen zwischen den Aussagen von Schülern, Schulleitern, Lehrern und Eltern vornehmen und im Sommer 2005 dann die wesentlich differenziertere und um qualitative Aspekte ergänzte Auswertung der Studie vorstellen. Neben dem Paderborner Prof. Brettschneider waren die Professoren Rüdiger Heim (vormals Magdeburg, jetzt Heidelberg), Werner Schmidt (Essen), Robert Prohl (Frankfurt/Main), Helmut Altenberger (Augsburg) sowie Volker Rittner und Christoph Breuer (Köln) an dem Projekt beteiligt.

 

Weitere Informationen:

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Ergebnisse auf www.dsb.de

Deutsche Sportjugend

Kultusministerkonferenz

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  • Sportunterricht in Deutschland (Foto: DSB-Archiv)
    Sportunterricht in Deutschland (Foto: DSB-Archiv)