Von der Katastrophe zum Kavaliersdelikt

 

Im Jahreskalender des Hochleistungssports werden Titel und Trophäen, Supercups und Siegesprämien in einer solchen Fülle und Vielfalt verramscht, dass selbst der größte Enthusiast den Ehrgeiz auf Durchblick verloren hat.

 

Unübersichtlich ist sie geworden, die Szene der dubiosen Meisterehren und inflationären Medaillen-Vergaben. In dieses Bild passt – nicht nur böse Zungen sagen logischerweise – die grassierende Doping-Inflation. Waren gestern noch bloße Verdachtsmomente und erst recht die nachgewiesene Täterschaft für ein anhaltendes Rauschen im Blätterwald gut, so sind heute von den Schlagzeilen nur Kurzmeldungen geblieben. Sie gehören wie die Ereignis- und Ergebnis-Berichterstattung zum sportlichen Tagesgeschäft, haben aber als lästiges Übel allenfalls Fußnoten-Charakter. Die tägliche Doping-Meldung – eine zweifelhafte Karriere von der Katastrophe zum Kavaliersdelikt.

 

Da macht sich dann schnell Sarkasmus breit, wie etwa in Frankreich. Die Sport-Tageszeitung „L’Equipe“ präsentiert neuerdings den „Gedopten der Woche“. Man mag darüber streiten, ob das eher in die Schublade „echte Abschreckung“ oder „ironische Begleitmusik“ gehört. Tatsache ist jedenfalls, dass die Zahl der Dopingfälle den Wochenrhythmus der Einzel-Auslobung von Delinquenten längst übertrifft.

 

Und was passiert derweil an der heimischen Anti-Doping-Front? Hier bemüht man sich, der schlimmen Entwicklung durchaus wirkungsvoll zu begegnen, das Netzwerk der Kontrollen noch enger zu knüpfen, den Quacksalbern des manipulativen Erfolgs auf der Spur zu bleiben und auch veränderte Gesetzmäßigkeiten ins Kalkül zu ziehen. Doch dieser praxisnahe Weg führt nicht zu den Wurzeln der Probleme. Die liegen weit tiefer und berühren die Sinnfragen menschlicher Höchstleistung und die ethisch-moralischen Grundsätze des sportlichen Leistungsvergleichs.

 

Wenn also die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) künftig verstärkt die Themen Prävention, Aufklärung und Erziehung an ihre Fahnen heftet und Athleten, Trainer und Ärzte wie Jugend, Schulen, Lehrer und Eltern zur umfassenden Zielgruppe erklärt, dann scheinen die Weichen richtig gestellt. Denn wer, wenn nicht der Nachwuchs, trägt die Zukunftshoffnungen? Und zwar vor allem basierend auf Glaubwürdigkeit. Eine Kategorie, die mit dem Erfolg um jeden Preis schon immer auf Kriegsfuß stand.