vor dem Umgang mit den sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln. Bei dem von rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern - Bundestrainer, Leiter der Olympiastützpunkte und Experten des Deutschen Sportbundes (DSB) - besuchten Seminar sagte Professor Kindermann: „Es wird im Spitzensport mehr geschluckt und gespritzt als notwendig. Es gibt keine Situation, wo ein Dutzend oder mehr dieser Nahrungsergänzungsmittel erforderlich sind.“ Der Leiter der Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes wies auf den großen, kaum noch überschaubaren Markt hin und empfiehlt, nur Nahrungsergänzungsmittel zu verabreichen, die in der „Roten Liste“ der deutschen Ärzte registriert sind und Qualitätskontrollen unterliegen. Dr. Hans Geyer vom Institut für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln berichtete in Reutlingen bei dem Seminar, das unter dem Generalthema „Ernährung als Leistungsförderer“ stand, von neuesten Untersuchungen, die zu erschreckenden Ergebnissen geführt haben. Von 634 untersuchten Nahrungsergänzungsmitteln seien bei 94 anabole Steroide gefunden worden, die auf dem Beipackzettel nicht angegeben waren. Diese anabolen Steroide wirken beim Dopingtest positiv, ohne aber einen leistungsfördernden Effekt auszulösen.
Der Anti-Doping-Experte Geyer stellte bei seinen Untersuchungen fest, dass besonders bei amerikanischen Produkten häufig die Angaben auf dem Etikett nicht mit dem Inhalt übereinstimmen. Er geht davon aus, dass es sich zum Teil um bewusste Fälschungen handelt. In vielen Fällen glaubt er aber nicht an absichtliche Beimischungen, sondern sieht die Gründe bei Verunreinigungen an Abfüllanlagen. Dabei nimmt er Produkte, die in Deutschland hergestellt und abgefüllt werden, auch nicht aus. Geyer glaubt, dass etliche bekannte Sportler wie beispielsweise Merline Ottey, Linfort Christie und Alexander Leipold Opfer derartiger verunreinigter Nahrungsergänzungsmittel wurden und deshalb wegen Dopingvergehen verurteilt worden sind.
Auf die Frage, wie sich Sportler vor dem unseriösen Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln schützen können, verwies Dr. Hans Geyer ebenfalls auf die „Rote Liste“ der Ärzte, aber auch auf Informationen, die auf der Homepage des Olympiastützpunktes Köln unter www.osp-koeln.de abgerufen werden können. Geyer unterstrich aber auch, dass selbst bei diesen Produkten keine Garantie übernommen werden könne: „Es handelt sich um Nahrungsergänzungsmittel mit geringem Risiko.“ Olympiaarzt Kindermann hat in Reutlingen bei der Diskussion um Nahrungsergänzungsmittel noch einmal klargestellt: „Im Falle einer positiven Dopingprobe ist der Sportler selbst dafür verantwortlich, was in seinem Körper gefunden wird.“ Professor Kindermann machte deutlich, dass er Substitution, die legal und streng getrennt von Doping zu sehen sei, nicht unbedingt ablehne. Er glaubt aber, dass etliche Präparate schlichtweg überschätzt werden und am Ende dem Athleten nicht viel bringen.
Während allenthalben diese Nahrungsergänzungsmittel im Mittelpunkt der Diskussion stehen, wird ein anderer - eigentlich näherliegender - Bereich im Spitzensport offenbar noch stiefmütterlich behandelt, nämlich eine vernünftige Ernährung. Dafür brachen die Ernährungswissenschaftlerinnen Dr. Claudia Osterkamp-Baerens und Dr. Alexandra Schek in ihren Vorträgen beim Bundestrainer-Großseminar eine Lanze. Dr. Claudia Osterkamp-Baerens, die als Ernährungsberaterin am Olympiastützpunkt München tätig ist, sieht eine vernünftige Ernährung als einen von vielen bedeutenden Satelliten, die um den zentralen Punkt Leistungsfähigkeit der Athleten kreisen. „Die Ernährung muss genauso geplant werden wie das Training“, weiß die Münchner Ernährungsexpertin. Man könne nicht einfach sagen „Kein Mc Donalds und keine Cola“ und damit den Ernährungsplan abhaken.
Dr. Claudia Osterkamp-Baerens bezeichnete in Reutlingen die Zufuhr von Kohlehydraten als das Problemkind Nummer eins. So würden beispielsweise die Sportler in Trainingslagern nach den Trainingseinheiten oftmals erst duschen und dann mit Heißhunger zum Essen fahren, das vielleicht erst zwei Stunden oder noch später gereicht wird. Wichtig und auch organisatorisch umsetzbar sei jedoch, sofort nach dem Training dem Körper Kohlehydrate wie eine Fruchtschorle oder eine Banane zuzuführen, damit im Körper schon unmittelbar nach der Belastung die Regeneration beginnen könne. Dann könne später das normale Abendessen folgen. Osterkamp-Baerens kritisierte auch, dass sich Sportler, die zwangsläufig viel auf Reisen sind – zum Beispiel beim Touren von Weltcup zu Weltcup –, ungesund ernähren: „An Reisetagen hopsen die Sportler von Snack zu Snack. Warum kann nicht auch hier organisiert werden, dass vernünftige Mahlzeiten gereicht werden?“ Die Ernährungsberaterin aus München bedauert, dass ihr Rat nur selten bei den Spitzenverbänden angefordert wird und sieht in den vorhandenen Lücken eine große Chance zur Leistungsoptimierung: „Vielleicht wird das bei anderen Nationen ja genau so schlecht gemacht. Dann ist das doch eine Chance für uns! Mit wenig Aufwand kann man da viel erreichen.“ Gerne würde Dr. Claudia Osterkamp-Baerens noch rechtzeitig vor Athen ein Pilotprojekt starten, um etwaige Zweifler von ihren Ideen zu überzeugen.
Neben dem Thema Ernährung standen in Reutlingen weitere aktuelle Themen – von aktuellen sportpolitischen Entwicklungen bis hin zu Fragen der Sportpsychologie, der Trainerakademie oder der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) – auf der Tagesordnung. Für den Beirat der Bundestrainer unterstrich Helmut Ranze vom Deutschen Boxsport-Verband den Stellenwert dieses Großseminars: „Es ist eine unverzichtbare Informationsbörse mit einem Erfahrungsaustausch, der über die Belange der eigenen Sportart hinaus geht.“
Walter Mirwald