Was wirklich zählt - Interview mit Selin und Timur Oruz

Interview mit Rio-Olympioniken Selin und Timur Oruz, Jurymitglieder zum bundesweiten Fotowettbewerb „Mein Leben im Verein“ des DOSB und der dpa picture-alliance.

Während man im Spitzensport öfter mal Geschwistern begegnet, sind sie in der gleichen Sportart schon rarer gesät. Noch seltener trifft man allerdings auf eine derart erfolgreiche Familienkonstellation wie bei Selin (20) und Timur Oruz (23). Beide spielen in der Hockeynationalmannschaft, und beide haben mit ihren jeweiligen Teams bei den Olympischen Spielen in Rio ordentlich abgeräumt und Bronze nach Hause gebracht. Im Doppelinterview sind Selin und Timur wie auf dem Platz: präzise und schnell weiterspielend. Ein Gespräch über türkische Wurzeln, sportliche Herkunft und fehlende Siegerposen. Das Interview führte Marcus Meyer:

Habt ihr beiden im gleichen Alter mit dem Sport angefangen?

Selin Oruz: Ja, Timur und ich waren beide zwischen dreieinhalb und vier Jahre alt, als wir mit dem Hockey anfingen.

Und dass es in beiden Fällen Hockey wurde, Zufall?

Timur Oruz: Ich habe als großer Bruder damit begonnen und hatte Spaß. Unseren Eltern hat es wohl auch gut gefallen, also musste Selin ebenfalls zum Hockey.

War der Verein für euch mehr als der Ort, an dem ihr Sport getrieben habt?

Selin Oruz: Definitiv. Wir sind fast immer nach der Schule und meist lange vor Trainingsstart mit unseren Fahrrädern zum Hockeyplatz gefahren, um dort Freunde zu treffen und ein bisschen zu spielen.

Timur Oruz: Es war der Ort, um draußen zu sein, Spaß zu haben, anderen Sportarten nachzugehen.

Hockey ist nicht der typische Sport für Migranten und Migrantinnen. War es am Anfang schwierig für euch?

Timur Oruz: Wir sind ja beide hier geboren und auch unser Vater lebt seit mehr als 40 Jahren in Deutschland. Insofern gab es überhaupt keine Probleme.

Selin Oruz: Im Sport geht es nicht darum, woher du kommst, sondern dass du gemeinsam mit anderen Spaß am Spiel haben willst. So haben wir es auch erlebt.

Hat sich der Anteil von Migranten und Migrantinnen im Verein in der Zwischenzeit geändert, auch durch euch?

Selin Oruz: Genau kann ich das nicht sagen, aber wenn, werden wir kaum der Grund dafür gewesen sein. Timur und ich sind nicht die typischen Migranten, wir sind sehr westeuropäisch aufgewachsen. Insofern haben wir auch keine kulturellen Türen geöffnet.

Menschen mit Migrationshintergrund, könnt ihr diese Zuschreibung noch hören?

Selin Oruz: So werden wir selten bezeichnet. Wir sind ja auch nicht wirklich immigriert, sondern unser Vater. Aber zu seiner Geschichte und unseren Wurzeln stehen wir stolz.

Macht ihr negative Erfahrungen, aufgrund eurer türkischen Wurzeln?

Selin Oruz: Das kommt kaum vor. Aber es gibt leider immer noch Menschen im Alltag, die allein durch einen türkischen Namen Vorurteile entwickeln, was ich in unserer Zeit einfach nur traurig und bedauerlich finde.

Seid ihr in die tagespolitischen Fragen zur Türkeisituation hineingezogen und vermehrt um Stellungnahme gebeten worden?

Selin Oruz: Gefragt wird man das ein oder andere Mal und wir informieren uns auch. Aber wir sind dafür ein bisschen zu weit weg, um genauere Einblicke als andere zu bekommen.

Wie empfindet ihr die Diskussionen in Deutschland um Einwanderung?

Timur Oruz: Diese Diskussion lässt sich ja tatsächlich nicht einfach so runterbrechen, dennoch sollten wir uns, als eines der reichsten Länder der Welt und Topprofiteure der Globalisierung, der Probleme auf der Welt annehmen und nicht einfach wegsehen, wenn diese aufkommen.

Ihr studiert beide. Helfen die Sporterfahrungen an der Uni? 

Selin Oruz: Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten und ich bin froh, noch den Sport neben dem Studium zu haben. Im Sport habe ich für mich und mein Leben bedeutsame Erfahrungen gemacht. Fähigkeiten wie Strukturiertheit, Ehrgeiz und Teamgedanke erleichtern mir den Unialltag unheimlich. Und vor allem lassen mich die Erfahrungen im Sport wesentlich gelassener mit Stress und Prüfungssituationen umgehen.

Timur Oruz: Das würde ich auch so sehen, besonders in Bezug auf Kompetenzen und Teamgeist.  

Haben die Wettbewerbsfotos persönliche Situationen oder Besonderheiten des Vereins widergespiegelt? 

Timur Oruz: Jedes einzelne Bild war auf seine Art und Weise besonders. Beinahe in jeder Situation war man selber auch schon mal, wenn man über so viele Jahre aktiv in einem Verein Sport getrieben hat.

 

Fotowettbewerb: Mein Leben im Verein

Wie sieht das eigentlich aus, das Leben im Sportverein? Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die dpa Picture-Alliance haben sich auf die Suche nach Antworten begeben und unter dem Titel „Mein Leben im Verein“ einen bundesweiten Fotowettbewerb zum Thema „Sport und Integration“ ausgeschrieben. Gefragt war die Perspektive zugewanderter Menschen auf eine der ältesten deutschen Kulturtraditionen. Im Fokus standen das soziale Miteinander, die Integrationsaktivitäten, der Verein an sich.

Aus der Vielzahl der Fotos, die die Veranstalter erreichte, hat eine vierköpfige Jury die besten Beiträge ausgewählt. Zu ihr gehören der Schauspieler Adnan Maral, das Hockeygeschwisterpaar Selin und Timur Oruz (olympische Bronzemedaillengewinner von Rio) sowie der dpa-Cheffotograf Michael Kappeler.

Die Preise werden am 7. Dezember im Kölner Sport & Olympia Museum verliehen. Rund um diesen Termin erscheinen auf www.integration-durch-sport.de (IdS) der Reihe nach Interviews mit den Juroren und Jurorinnen, zu Fragen der Integration, zum Stellenwert von Fotos für das eigene Leben und den eigenen Beruf, zur Rolle des Sportvereins.

 

Was hat euch am meisten angesprochen?

Selin Oruz: Das Zusammenstehen, das gemeinsame Gefühl innerhalb eines Vereins und einer Sportart fand ich sehr beeindruckend dargestellt. Sport verbindet und es ist schön, sowohl bei Erfolgen als auch bei Misserfolgen Menschen an seiner Seite zu haben.

Timur Oruz: Mir haben vor allem die Bilder gefallen, die sowohl Erfolg als auch Niederlage und Fairplay in einem Bild zusammengefasst haben. Aber auch die Rolle des Trainers, die auf einigen Fotos thematisiert wurde, ist für den Sportler immens wichtig; leider wird sie in Deutschland nicht entsprechend wertgeschätzt.

Welche Rolle spielt Instagram für euch und eure Darstellung in der Öffentlichkeit? 

Selin Oruz: Sie wird immer wichtiger. Wir, als Randsportart, haben quasi keine anderen Plattformen, wo wir uns und unseren Sport präsentieren können. Instagram und Facebook kommt eine große Bedeutung zu, da wir durch diese Medien eine gewisse Reichweite mit unserem Sport schaffen können.

Timur Oruz: Ich kann klar sagen: Mit Instagram arbeite ich auf jeden Fall am meisten.

Pflegt ihr eure Social-Media-Accounts regelmäßig?

Selin Oruz: Ja, das gehört inzwischen zum Alltag dazu.

Timur Oruz: Wahrscheinlich nicht häufig genug, aber ich arbeite daran.

Gibt es einen indirekten sportlichen Konkurrenzkampf unter euch, wer gewinnt mehr, wer fährt zu Olympia?

Selin Oruz: Zwischen Timur und mir? Auf keinen Fall. Und zu Rio hat das doch gut geklappt. Da sind einfach beide hingefahren und haben beide eine Medaille gewonnen.

Timur Oruz: Ich gönne ihr jeden Triumph. Gleichzeitig möchte ich immer gewinnen, aber ich trete ja nicht gegen meine Schwester an.

Wer ist gelassener?

Timur Oruz: Selin! Ich kann ziemlich aufbrausend sein.

Habt ihr eine Siegerpose, so eine Art Markenzeichen wie man es von Fußballern kennt?

Timur Oruz: Dafür treffe ich zu selten. Bei Erfolg feiere ich lieber zusammen mit meinen Teamkollegen.

Wir habt ihr die Olympischen Spiele, die mediale Wucht erlebt? 

Selin Oruz: Das war unbeschreiblich. Es gibt kein anderes Turnier, was unseren Sport so sehr in den Fokus rücken kann. Diese Bestätigung und das Interesse zu bemerken, war sehr besonders und einzigartig.

Timur Oruz: Ein tolles Erlebnis, das gerne häufiger als alle vier Jahre auftreten dürfte …

(Interview: Marcus Meyer)