Welt-Gymnaestrada: Zwischen Turnhalle und Zirkus

In Dornbirn (Österreich) läuft noch bis 13. Juli die Welt-Gymnaestrada. Katja Sturm hat sich auf dem Welt-Breitensportfestival des Turnens in unserem Nachbarland umgesehen:

Unser Bild zeigt einen Teil der Breitensport-Performance bei der Welt-Gymnaestrada 2015 in Helsinki. Foto: picture-alliance
Unser Bild zeigt einen Teil der Breitensport-Performance bei der Welt-Gymnaestrada 2015 in Helsinki. Foto: picture-alliance

Das hatte es noch nie gegeben: Erstmals in der seit 1953 währenden Geschichte der Welt-Gymnaestrada musste am Sonntag in Dornbirn die Eröffnungsfeier verschoben werden. Sturm- und Gewitterwarnungen hatten den Verantwortlichen um Marie-Louise Hinterauer, der Präsidentin der 16. Auflage des internationalen Turnfestivals, diese Entscheidung geradezu aufgezwungen. Das Risiko, dass etwas passieren könnte, erschien zu hoch: Die Stadionshow mit dem obligatorischen Einmarsch der Nationen wurde nach einstimmigem Urteil auf Mittwoch (10.7.) verschoben.

Die Laune ließen sich die mehr als 18.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieses weltweit größten Showgymnastik-Festivals dadurch nicht verhageln. „Fun, Fitness, Friendship“ stehen bei ihnen im Vordergrund. Dazu braucht es keinen offiziellen Rahmen, obwohl die gemeinsamen Momente vor großem Publikum natürlich ganz besondere sind.

Doch sie erleben sie auch so täglich im Programm. Gymnaestrada, das bedeutet Turnen und Gymnastik ohne den Leistungsgedanken, der etwa die Vertreter der olympischen Disziplinen in diesem Bewegungsbereich antreibt. Ohne die Anspannung, die man mit Wettkämpfen verbindet. Und abseits jeglichen Konkurrenzdenkens.

Das Event, das einst im niederländischen Rotterdam seinen Anfang nahm und nach 2007 jetzt zum zweiten Mal in Dornbirn und nach Wien 1965 zum dritten Mal in Österreich stattfindet, bietet Gruppen aus allen Bereichen eine Plattform, ihr Können zu zeigen. Das schließt Eltern-KindKombinationen ebenso ein wie inklusive Vorführungen mit Rollstuhlfahrern oder Jugendlichen mit Down-Syndrom, Balletttänzer auf Spitze wie Akrobaten in der Luft, ehemalige Hochleistungssportler und Bewegungstalente, die auf beeindruckendem Niveau beweisen, dass sie reif für den Zirkus sind. Aber auch die ältere Generation, die noch immer größte Freude daran hat, sich im Rhythmus der Musik synchron zu wiegen und Pezzibälle gen Himmel zu stemmen. Sie alle sprühen vor Kreativität und überraschenden Ideen. Da gibt es Choreografien mit Kinderwagen oder auf der Kirchenbank, Folklore zur Volksmusik und Breakdance zu Trommelwirbeln. Zudem wird auf diese Art und Weise auch immer ein Stück der heimischen Kultur transportiert.

Aus insgesamt 66 Ländern sind Gymnaestrada-Fans in das Bundesland Vorarlberg gekommen. Das bedeutet einen neuen Rekord. Die größte Delegation stellen dabei die Nachbarn aus der Schweiz, die mit etwa 3000 Turnerinnen und Turnern vertreten sind. Dahinter rangiert der Deutsche Turner-Bund mit 2250 Teilnehmern. Die kleinste Truppe kommt aus Tonga. Der Inselstaat im Südpazifik wird gerade mal von zwei Personen vertreten.

Die vielseitigen Performances sind den gesamten Tag über auf dem Messegelände der Ausrichterstadt zu bewundern, aber auch auf den Straßen anderer Orte im Umland wie Höchst, Wolfenau, Hohenems oder Götzis. Die sogenannten Großgruppenvorführungen mit mehreren hundert Teilnehmern haben auf dem Rasen des Casino Stadions in der Landeshauptstadt Bregenz ihren Platz, und auch sie ziehen unbeteiligte Neugierige aus der Bodensee-Region an.

Zu den Höhepunkten der Veranstaltung gehören die täglichen Länderabende, bei denen sich, wie im Fall von Österreich, Portugal oder Italien, jeweils ein Turn-Land von seiner einfallsreichsten Seite zeigt oder mehrere sich, wie die Nordeuropäer oder die Asiaten, sich dafür zusammenschließen. Ganz oben auf der subjektiven Bewertungsskala steht dabei die Schweiz, die, weil Riegenturnen und das Schwingen an Schaukelringen dort große Anerkennung genießt, mit viel Aufwand und höchster Präzision im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Bilder bietet. Doch auch die Deutschen, bei denen diesmal sogar Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen ein Gastspiel gibt, sind in der Szene berühmt für ihre Einfälle.

Von jedem das scheinbar Beste wird dann in die FIG-Gala am Freitag geladen, die große Show des die Gymnaestrada veranstaltenden Weltturnverbandes. Der ordnet das gesamte Event, das in jeder Hinsicht einem Turnfest ähnelt, in seiner Rubrik „Allgemeines Turnen“ ein. Auch wenn das bei vielen spektakulären Nummern nicht gleich einsichtig wird. Doch es geht nun mal darum zu zeigen, was alles möglich ist, unabhängig von Generation oder Eignung. Die Altersspanne, die zwischen Säugling und 90-Jährigen liegt, spricht für sich.

Während die Senioren zur Übernachtung eher Hotels bevorzugen, schläft der Großteil der Jüngeren auf Luftmatratzen in Schulen. Mehr als 8000 Volunteers sorgen dafür, dass für möglichst jedes Problem eine Lösung gefunden wird. Wenn’s irgendwo trotzdem weiterzwickt, werden die Schwierigkeiten singend oder tanzend überbrückt. Das lässt auch die Bevölkerung nicht kalt, die sich in den Bussen und Bahnen plötzlich zwischen Menschenmassen in Turntrikots und Trainingsanzügen eingezwängt wiederfindet.

In vier Jahren, das ist der reguläre Rhythmus, wird Amsterdam die nächste Gymnaestrada ausrichten. Auch für die Niederlande wäre es dann das dritte Mal. Deutschland ist in der Beziehung jetzt schon so weit. 1961 in Stuttgart, 1975 sowie 1995 jeweils in Berlin waren die Showturner im eigenen Land. Doch jetzt ist man beim DTB erst mal dabei, für andere Großereignisse Werbung zu machen: für die Kunstturn-Weltmeisterschaften im Oktober in Stuttgart sowie für das Deutsche Turnfest 2021 in Leipzig, das am besten genauso international sein soll wie das Weltgymnastikfestival.

(Autorin: Katja Sturm)


  • Unser Bild zeigt einen Teil der Breitensport-Performance bei der Welt-Gymnaestrada 2015 in Helsinki. Foto: picture-alliance
    Unser Bild zeigt einen Teil der Breitensport-Performance bei der Welt-Gymnaestrada 2015 in Helsinki. Foto: picture-alliance