Wenn der Gegner zum Partner wird

Ausgerechnet Karate soll zur Gewaltprävention und -therapie an Schulen und zur Aggressionsverminderung bei Jugendlichen beitragen? Auf diese Behauptung reagieren viele Laien und auch Eltern überrascht.

 

Teilnehmer der 1. Kara-Games beim KDB Brandenburg
Teilnehmer der 1. Kara-Games beim KDB Brandenburg

Ralf Brünig, Schulsportreferent des Deutschen Karate Verbandes (DKV) hat gemeinsam mit anderen eine Vorlage entwickelt, wie man den asiatischen Kampfsport am besten in schulische Belange integrieren kann. „Multi-Media-Karate“ nennt sich das, was damit wirbt, als „durchgängiges Konzept für die motorische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen von Klasse 1-13“ zu taugen. Es setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen, zu denen ein nach Zeit zu absolvierender Parcours mit diversen Hindernissen, die Demonstration verschiedener Techniken an einem aufgehängten Ball, der aber nicht getroffen werden darf, und das „kreative Sound-Karate“ gehören.

Vorbild Italien

Das Konzept greift zurück auf italienische Erfahrungen. 2001 hatte Professor Pierluigi Aschieri ein Modell vorgelegt, das sich inzwischen längst im dortigen Unterricht erfolgreich bewährt hat. Mit Multi-Media- bzw. Sound-Karate soll nun hier zu Lande die bisherige Quasi-Verbannung von den Schulen umgangen werden, die durch den KMK-Beschluss der Kultusminister der Länder über das Verbot von Sportarten mit gefährlichen Schlagtechniken im Schulsport vorgegeben ist. Denn alles, was zum Programm zählt, findet ohne direkten Körperkontakt statt – auch die Partnerübungen. Das stellt angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft und des sinkenden Einstiegsalters für Gewaltdelikte unter Jugendlichen eine hohe Schwelle, aber auch einen Anreiz dar. Denn, so schreibt Brüning, im Karate gehe es vorrangig um die „Entwicklung einer bestimmten Geisteshaltung“. Karate-Üben erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Konzentration und Beharrungsvermögen. Seine gewaltpräventive und aggressionsmindernde Wirkung auf mögliche „Gewalttäter“ beruht u.a. darauf, dass der Übende gelernt und akzeptiert haben muss, dass nicht der Andere das Ziel der Bemühungen ist, sondern man selbst.

"Wer agressiv ist, verliert - wer nicht agressiv ist, gewinnt"

Insofern wird aus dem vermeintlichen Gegner ein Partner, mit dem gemeinsam gelernt, geübt, trainiert wird. Ihn dabei nicht zu treffen oder ihn gar zu verletzen setzt viel Selbstherrschung sowie große motorische Kontrolle der Technik und vor allem der eigenen Aggressionen voraus. Brünig bezeichnet es als „geradezu Kontrasterfahrung, dass ein Kampf ohne Aggressivität geführt werden kann“ und kommt im Resümee dessen zu der Schlüsselerkenntnis: „Wer aggressiv ist, verliert – wer nicht aggressiv ist, gewinnt.“ Eben wegen dieses „sozialen Lernens“ setzt sich der Deutsche Karate-Verband mit Vehemenz für die Akzeptanz der Sportart in ihrer Sound-Karate-Variante im Schulsport ein. In einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern hat man bereits erste vorsichtige „Feldversuche“ einer Integration unternommen, nun folgte Berlin mit einem Pilotprojekt namens „1. Kara-Games“.

Pilotprojekt "1. Kara-Games" erfolgreich

Die bundesweite Premiere Ende Juni war als Schulsportveranstaltung im Wettkampfkalender des zuständigen Senats für Bildung, Jugend und Sport aufgeführt und konnte in Resonanz und Annahme durch die Kids als Erfolg verbucht werden. Zumal der Berliner LSB ebenfalls in die Organisation einbezogen war. Wilson Sturm, Schulsport-Referent des Berliner Karate-Landesverbandes, nennt die Kara-Games „einen wichtigen Schritt, um in Schulen akzeptiert zu werden“. Entsprechende Arbeitsgemeinschaften gibt es bereits an mehreren Einrichtungen. Sturm, der zu den Ersten mit einer Übungsleiter-Lizenz für Sound-Karate in Deutschland gehörte, will nun mit Gleichgesinnten erreichen, dass es wie Boxen oder Judo zunächst einmal verbal einen Platz in den Rahmenlehrplänen findet. „Das mittelfristige Ziel wäre es dann, in die dritte Sportstunde einbezogen zu werden.“  Gerade in Berlin hat das auf 150 Seiten formulierte Konzept zudem auch soziologisch starke Pro-Argumente. Zwei Drittel der Kinder in den Schulsport-AG’s haben einen Migranten-Hintergrund, vor allem auf Jugendliche aus islamischen Familien hat Sound-Karate offenbar eine hohe Anziehungskraft. Wilson Sturm hält seinen Sport zudem auch deshalb für besonders geeignet, „weil er nicht sozial trennt, sondern eher verbindet“.

Karate-Landesverband vermittelt Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen

„Wir machen alles zusammen in der Gruppe, es gibt keine Unterscheidungen“, sagt er. „Karate verlangt keine Nike-Turnschuhe für 200 Euro, sondern braucht nur einen simplen weißen Anzug, den sich nahezu jeder leisten kann.“ Für die Schulen gelten in Sachen Finanzen übrigens ähnlich kostengünstige Einstiegsbedingungen. Beim Judo schlägt die Matte kräftig im Budget zu Buche, beim Boxen sind es Trainingsmittel wie Tatzen oder Sandsäcke. „Beim Sound-Karate braucht man vielleicht 100 Euro fürs Equipment und dazu einen leistungsfähigen CD-Player“, wirbt Wilson Sturm. Bei den Kara-Games konnten sich alle, die zuschauten, „davon überzeugen, dass das nichts mit dem Klischee vom Bretter und Steine zerschlagen zu tun hat“.

Der Karate-Landesverband ist derweil dabei, immer mehr Sportvereine zur Kooperation mit möglichst vielen Schulen zu bewegen und dafür dann Trainer abzustellen. „Am besten überzeugt noch immer das Beispiel“, sagt Wilson Sturm. Deshalb nennt er Projekttage oder Vorführungen für Eltern als geeignete Möglichkeiten für die Popularisierung von Sound-Karate. Schon vor acht Jahren übrigens kam laut DKV-Schulsportreferent Ralf Brünig eine Studie „zu dem Schluss, dass einerseits kein Grund besteht, Karate als Schulsport abzulehnen, dass es aber andererseits gute Gründe gibt, es einzuführen“. Was mit dem Berliner Kara-Games nun eindrucksvoll bestätigt wurde.


  • Teilnehmer der 1. Kara-Games beim KDB Brandenburg
    Teilnehmer der 1. Kara-Games beim KDB Brandenburg
  • Karate ohne Gegner Bilder: www.kdb-brandenburg.de/Bernd Wawrzyniak
    Karate ohne Gegner Bilder: www.kdb-brandenburg.de/Bernd Wawrzyniak