Klettern, Schwimmen, Fahrradfahren – Sport hält nicht nur fit, sondern kann auch Menschen aus verschiedenen Kulturen verbinden. Wie das konkret geht, zeigt der Sozialdienst muslimischer Frauen Kempten e.V. (SmF Kempten). 2023 erhielt das Projekt „Mia san Fit!“ des Vereins den Bayerischen Integrationspreis. Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördern dieses und viele weitere sportliche Projekte im Rahmen des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ (IdS). Das seit 1989 vom Deutschen Olympischen Sportbund getragene Bundesprogramm bietet Sportvereinen und -verbänden die Grundlage für eine erfolgreiche Integrationsarbeit: Finanzierung, Qualifizierung, Vernetzung.
Was das für den SmF Kempten bedeutet und wie sie ihr Motto „Sport überwindet Hürden, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und fördert eine gesunde Lebensweise“ in die Tat umsetzen, haben uns zwei Vertreterinnen des Vereins erklärt. Die Vorstandsvorsitzende, Ayla Inan, und die Sozial- und Erlebnispädagogin des SmF Kempten, Jana Autor, stellen im Interview das Engagement ihres Vereins vor.
Der SmF Kempten ist seit 2021 auch im Sport aktiv. Was macht die Integrationsarbeit im Sport aus?
Ayla Inan: Vereine prägen die deutsche Gesellschaft und sind unverzichtbar für den Erhalt des Gemeinwesens. Sie gestalten kulturelle, sportliche, sozialorientierte Angebote und sind Brückenbauer zwischen den Menschen. Sie können, neben den eigenen Vereinszielen, auch wichtige demokratische Werte wie Zusammenhalt, Verantwortung, Toleranz und Respekt vermitteln. Der Sport und gemeinschaftliches Tun haben eine große Integrationskraft, verbinden Menschen und geben ihnen eine gemeinsame Stimme.
Stichwort Diversitätssensibilität: Wie sieht das in Ihrer Projektpraxis aus?
Ayla Inan: Der SmF Kempten legt besonderen Wert darauf, dass die Angebote Menschen erreichen, die sich sonst eher weniger von (Sport-)Angeboten angesprochen fühlen. Aufgrund unseres migrantischen Profils erreichen wir Frauen und Männer, Kinder, Jugendliche und Familien, Geflüchtete und Zugewanderte. Aber auch Seniorinnen und Senioren, deren Angehörige sowie Menschen mit Behinderungen und Menschen in besonderen Lebenslagen sind bei uns willkommen - ungeachtet der religiösen, ethnischen, kulturellen und weltanschaulichen Zugehörigkeit.
Jana Autor: Konkret sieht das so aus: Beim Yoga und der Klangschalen-Entspannung können Frauen unterschiedlicher Herkunft in einem geschützten Raum Yoga machen und sich untereinander austauschen. Das Frauen-Sportprogramm wird abwechselnd bereichert durch zum Beispiel Zumba, Pilates oder Ballsport. Oder die Frauen treffen sich auch mal in der Kletterhalle zum Klettern. Die Anfängerfahrrad- und Schwimmkurse sind regelmäßig ausgebucht. Die Fußballgruppe wird von Vätern für Väter und ihre Kinder regelmäßig draußen auf den Bolzplätzen Kemptens veranstaltet. Das regelmäßig stattfindende Kletter- und Boulderangebot für Familien, Kinder und Jugendliche ist eines der Herzstücke der Sportangebote im Rahmen von IdS.
Wie hat sich die Förderung durch das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ auf die Vereinsarbeit ausgewirkt?
Jana Autor: Durch die Förderung konnten unsere Sportgruppen verstetigt werden und die Angebote regelmäßig stattfinden. Durch das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ können wir die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Es wird seitdem noch viel mehr gesportelt als vorher. Ganz neu in unserem bunten Angebot sind die Schwimm- und Fahrradkurse für Anfänger. Das Klinikum Kempten hat sofort großes Interesse an diesen Kursen gezeigt. Viele Mitarbeitende haben eine Migrationsgeschichte und einige würden gern besser Fahrradfahren lernen. Seit diesem Jahr arbeiten wir zusammen, um die Fahrradkurse für alle Mitarbeitenden anzubieten. Solch ein Angebot hat es zuvor in Kempten noch nicht gegeben. Das ist dank IdS möglich geworden. Die Fortbildung „Fit für die Vielfalt” für all unsere aktiven Übungsleitenden hat einen positiven Beitrag für mehr Verständnis und interkulturelles Know-how geleistet. Schulungen für Aktive und Ehrenamtliche sind in unseren Augen essenziell und geben ein Stück Wertschätzung der geleisteten Arbeit an die Aktiven zurück.
Welche Veränderungen stellen Sie durch das Engagement des Vereins für Integration in Ihrem Umfeld fest?
Ayla Inan: Wir bekommen sehr viel Rückmeldung von Frauen und Familien, die die Angebote als gewinnbringend und lebensverändernd wahrnehmen. Psychische und physische Gesundheit der Teilnehmenden verbessern sich. Die Kindergruppen werden als sozialwirksam und wertvoll erlebt. Wir können Hürden absenken und Teilhabe ermöglichen. Eine Teilnehmerin beim Klettern hat uns erzählt: „Ich habe die große Kletterhalle immer schon gesehen und mir gedacht, wow, das ist toll. Aber ich dachte, ich darf da nicht rein, ich gehör da nicht hin. Jetzt weiß ich: Doch, auch ich kann das, gehör da hin, zum Klettern und Bouldern. Auch mit Kopftuch. Wenn Frauen uns berichten, dass die Sportkurse ihnen ihren Kindheitstraum erfüllt haben oder dass sie jetzt ihre Kinder beim Fahrradfahren und beim Schwimmen begleiten können, ist das für uns ein großes Erfolgserlebnis.
So viel Engagement bleibt natürlich nicht unbemerkt. Wie wird der Verein regional und überregional wahrgenommen?
Jana Autor: Durch verschiedene Aktionstage, wie zum Beispiel dem „Klettern gegen Rassismus”, erleben wir zum einen großen Zuspruch. Andererseits schaffen wir auch eine größere Sichtbarkeit und Sensibilität in Bezug auf diversitätsrelevante Faktoren - nicht nur im Sport. Als wir den “Bayerischen Integrationspreis 2023” verliehen bekommen haben, wussten wir, jetzt kennt unseren Verein auch das Staatsministerium.
Unseren herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ayla Inan: Wir erhoffen uns eine noch größere Sensibilität und Selbstverständlichkeit von Vielfalt, nicht nur im Sport. Vereine als Säulen der Gesellschaft haben eine große integrative Wirkung und die Aufgabe, für alle Menschen gleichermaßen da zu sein. Um Angebote für alle Menschen machen zu können, benötigen sie Unterstützung und Know-how, um diese Aufgabe bewerkstelligen zu können. Das haben wir bei IdS gefunden. Für unsere einzelnen Teilnehmenden ist die Chance, in einem Verein gefördert zu werden, lebensverändernd- für uns als Verein bedeutet die Förderung, uns noch aktiver in die Gesellschaft von heute und morgen einbringen zu können. Für den Sport ist es die wahrhaftige Chance, ein Angebot für alle Menschen zu machen - für die Gesellschaft ein Grundbaustein für ein friedvolles Miteinander.
Das Interview führte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Interview wurde anläßlich des Internationalen Tag des Sports am 06. April 2024 veröffentlicht und kann auf der Webseite des BAMF ebenfalls aufgerufen werden.
(Quelle: BAMF)