Morgen ist heute schon gestern. Auf diesen einfachen Nenner ließe sich das Prinzip der Vergänglichkeit bringen, eine unabänderliche Determinante unseres Daseins, die sich ebenso heilsam wie frustrierend ausnimmt. Die Zeit, so relativ sie, frei nach Einstein, auch sein mag, ist immun gegenüber menschlichen Gefühlen und dem bisweilen starken Bedürfnis, im Augenblick zu verweilen. So wird dieser schon im Moment des Erlebens der Erinnerung anheim gestellt, und war er in größerem Maße bedeutsam, ist ihm ein Platz im kollektiven Gedächtnis gewiss. Die Frage ist also: Was bleibt?
Eben diese Frage hat vor allem im Blick auf Zäsuren Konjunktur, da sie offenbar mit dem Impuls korrespondiert, das Gewesene Revue passieren zu lassen. Dass dabei gerade der Rückblick auf das Sport-Jahr regelmäßig Quote verspricht, versteht sich, sind doch Siege und Niederlagen in der Arena hierzulande stets von historischer Relevanz.
Als eindrucksvolle Bestätigung der These könnte etwa die Meldung der kürzlich erfolgten Ersteigerung eines eigentlich gewöhnlichen Fußballschuhs dienen, der für nicht weniger als zwei Millionen Euro den Besitzer wechselte, und dies „nur“, weil er am Fuße von Mario Götze ganz hautnah an einem Torschuss beteiligt war, der im vergangenen Sommer im fernen Rio de Janeiro nicht unwesentlich zum positiven Ausgang einer finalen Begegnung beigetragen hat. Da der exorbitante Erlös der Initiative „Ein Herz für Kinder“ zugedacht ist, erfüllte der Schuh einen gleichsam doppelt guten Zweck, womit er sich den ihm bestimmten Platz im Museum und den damit manifestierten Ritterschlag zum nationalen Kulturgut verdient haben mag.
Da passt es ins Bild, dass es der großartige Auftritt von Jogis Musterknaben beim diesjährigen Fußballgipfel unter dem treffenden Titel „Die Mannschaft“ auch ins Kino geschafft hat, wobei der Gedanke an Sönke Wortmanns cineastische Reminiszenz an „Die Helden von Bern“ die Frage aufwirft, ob auch der vierte – so wie der erste, 1954 gewonnene – weltmeisterliche „Stern“ fünfzig Jahre danach, also im Jahr 2064, einen nennenswerten Reflex des Erinnerns erfahren wird.
Macht man sich die Attitüde eines – typisch deutschen – Kulturpessimisten zu eigen, wird man mit der gebotenen Larmoyanz beklagen, dass auch auf dem Tisch des Sports im Durchlauferhitzer des Zeitgeistes durch permanente Reizüberflutung und Dauerkonsum jedes noch so exquisite Menü letztlich zum Fast Food verkommt.
Tatsächlich scheint die Halbwertszeit auch und gerade großen Sports stets geringer zu werden. Gerade zehn Monate sind vergangenen, seit in Sotschi das Feuer für die 22. Olympischen Winterspiele entzündet worden ist. Und wer kann heute noch aus dem Stehgreif, sagen wir, fünf Athletinnen oder Athleten benennen, die es aufs Treppchen geschafft haben und im Sinne Andy Warhols zumindest für Minuten weltberühmt waren. Der Telefon-Joker könnte es wissen: Maria Höfl-Riesch zum Beispiel oder Eric Frenzel, Carina Vogt oder Tina Maze oder Ole Einar Björndalen. Oder Anna Schaffelhuber, die alle fünf alpinen Wettbewerbe bei den Paralympics gewann und sehr zu Recht zur Behindertensportlerin des Jahres gekürt wurde.
Selbst wenn bisweilen eine gewisse Übersättigung Platz greifen sollte, scheint doch die Faszination des immer Gleichen und stets Anderen, des sportlichen Wettkampfs nämlich, ungebrochen. So war es im Sommer in Brasilien und so war es im Winter in Sotschi, auch wenn die beiden zentralen Amplituden der sportlichen Sinuskurve des Jahres mit durchaus unterschiedlichen Kon-notationen im Langzeitgedächtnis haften bleiben werden.
Während die Fußball-WM mit Glanz und Gloria assoziiert bleiben dürfte, wurden Putins Spiele, obwohl durchaus auch glänzend und glorreich, oder gerade deswegen, mit unguten Gefühlen abgespeichert. So spielten die – keineswegs unberechtigten – Diskussionen um Menschenrechte oder Umweltfragen jenen Skeptikern und Bedenkenträgern in die Karten, die hierzulande schon aus Prinzip dagegen sind, also auch nicht dafür waren, dass sich München und Umgebung ein weiteres Mal um den olympischen Großauftrag bemühte oder gar entsprechend profilierte.
Dabei wäre, wie man inzwischen weiß, eine Bewerbung so aussichtsreich wie lange nicht mehr gewesen, nachdem zuletzt auch Stockholm und Oslo einen Rückzieher machten und mit Peking und Almaty nur zwei Kandidaten für den Winter 2022 verblieben, die im Rennen um die exponierte Gastgeberrolle wahrlich nicht unschlagbar erscheinen.
Vor diesem Hintergrund ist es so mutig wie konsequent, wenn sich der Deutsche Olympische Sportbund einem neuen Anlauf verschreibt und sich diesbezüglich im März zwischen Berlin und Hamburg entscheiden möchte. Rückenwind soll eine soeben verabschiedete Agenda des Internationalen Olympischen Komitees liefern, die den Willen seines deutschen Präsidenten manifestiert, manchen Verschleißerscheinungen und berechtigter Kritik Rechnung zu tragen und den Spielen eine neue Basis und ein wieder besseres Image zu verleihen.
Mit diesem Gedanken aber richtet sich der Blick zurück nach vorn, auch wenn dies nicht bedeutet, dass man das, was war, nun schnöde abhaken muss. In diesem Sinne bleibt vielleicht Andre-as Bouranis (Fußball-)Hit des Jahres und seine rhetorische Frage im Ohr: „Wer friert uns diesen Moment ein?“ Niemand natürlich, möchte man meinen, außer wir selbst.
Nehmen wir sie also mit, unsere Momente des Jahres 2014, zum Beispiel auch unsere ureigenen Auftritte auf den vermeintlich kleinen Bühnen des Sports. Denn eben aus diesen lassen sich ganz wunderbare Vorsätze für das neue, das Sport-Jahr 2015 ableiten.
Also dann: „Ein Hoch auf das, was vor uns liegt!“
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.