„Wie sie das geschafft hat, ist unglaublich“

Die Berliner World-Games-Siegerin Johanna Schikora (m.) hat nach Kriegsausbruch ihre ukrainische Konkurrentin Anastasia Antoniak (re.) in ihre Wohnung aufgenommen und trainiert bis heute mit ihr zusammen.

Johanna Schikora (Gold) und Anastasia Antoniak (Bronze) stehen gemeinsam auf dem Siegerpodest bei den World Games in Birmingham / USA. Foto: Team Deutschland
Johanna Schikora (Gold) und Anastasia Antoniak (Bronze) stehen gemeinsam auf dem Siegerpodest bei den World Games in Birmingham / USA. Foto: Team Deutschland

„Der schönste Moment war, als wir beide angeschlagen haben“, sagt die Berliner Flossenschwimmerin Johanna Schikora über das unbeschreibliche Erlebnis bei den World Games im vergangenen Juli in Birmingham/USA, als sie die Goldmedaille und Anastasia Antoniak Bronze gewonnen hatte. „Da lagen wir uns so in den Armen, wir konnten uns gar nicht mehr loslassen.“ Hinter dieser berührenden Szene, festgehalten auf vielen Bildern, steckt eine lange Geschichte, die viel größer ist als die gemeinsame Freude über sportlichen Erfolg.

Johanna Schikora und ihre ukrainische Konkurrentin Anastasia Antoniak kannten sich von vielen internationalen Wettbewerben im Flossenschwimmen, wie man sich im Sport eben so kennt. Aber nachdem vor einem Jahr der Krieg begonnen hatte, hat Johanna Schikora mitbekommen, dass sich Anastasia Antoniak in Berlin aufhält. Die Berlinerin nahm via Instagram Kontakt zur Ukrainerin auf, und die schickte ihr ein Foto von ihrem damaligen Aufenthaltsort. „Das war gerade mal 15 Minuten mit dem Auto von hier“, erinnert sich Johanna Schikora. Da Anastasia in ihrem damaligen Quartier nicht dauerhaft bleiben konnte, bot Johanna ihr an, zu ihr in ihre Eineinhalb-Zimmer-Wohnung zu ziehen.

Eine große Geste der zweimaligen Weltmeisterin und Studentin der Psychologie, dreieinhalb Monate vor ihrem absolut sportlichen Höhepunkt des Jahres 2022, der World Games. Denn die World Games haben für die nicht-olympischen Sportarten den Stellenwert, den Olympische Spiele für die olympischen Sportarten haben. Aber gesagt, getan. Knapp zwei Monate lebten die beiden auf engstem Raum zusammen, ehe sich für Anastasia Antoniak die Möglichkeit ergab, ins Internat des Olympiastützpunktes Berlin zu ziehen, wo sie bis heute lebt und trainiert. Gerne erinnert sich Johanna Schikora an die kleinen Rituale, das Tee trinken am Abend und ab und an zusammen eine Serie zu schauen: „Das war wirklich schön.“

Aber natürlich ging es vor allem auch darum, der mehrfachen Medaillengewinnerin bei World Games sowie Welt- und Europameisterschaften aus der Ukraine in Berlin eine Trainingsmöglichkeit zu bieten. Schließlich stand auch für sie das Großereignis World Games an. Zunächst stand die Frage im Raum, ob Anastasia Antoniak ihr geplantes Trainingsprogramm aus ihrer Heimat in Deutschland fortführen oder sich komplett auf den Plan der Trainingsgruppe von Johanna Schikora mit Trainer Volko Kucher einlassen sollte. „Wenn sie ihr Programm weitergemacht hätte, hätte sie alleine trainieren müssen“, sagt Johanna Schikora. Die Entscheidung war deshalb schnell gefallen. Anastasia Antoniak nahm das Angebot dankbar an und trainierte in der Gruppe nach den Plänen von Trainer Kucher mit. „Das fand ich auch von ihm sehr stark“, sagt Johanna Schikora. Denn selbst wenn es von Nutzen ist, dass sich zwei Athletinnen auf dem gleichen Niveau schon im Training messen können, bereitete Volko Kucher faktisch seine Top-Athletin Johanna Schikora gemeinsam mit ihrer härtesten Konkurrentin auf den Höhepunkt des Jahres vor. „Es ist toll, was der Sport da kann und macht“, sagt Schikora.

Das fand auch Anastasia Antoniak. Ihr habe das Training sehr geholfen, den Kopf freizubekommen, sagte sie. Sie freue sich immer sehr auf den täglichen Termin und sei glücklich, wieder regelmäßig ins Wasser gehen zu können. Denn ihre Gedanken waren natürlich oft woanders. Nicht nur, dass sie in Berlin viel Verantwortung für ihre Familie übernommen hatte, mit der sie kurz nach Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen war. Sie habe stets alles für ihre Eltern und ihre jüngere Schwester geregelt, sei von Amt zu Amt gelaufen und mache das bis heute, erzählt Johanna Schikora. Natürlich ist der Kopf aber vor allem bei der schrecklichen Situation in der Heimat. Umso mehr bewundert die Berlinerin ihre

Konkurrentin für das, was sie seit ihrer Ankunft in Berlin sportlich geleistet hat. „Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Respekt ich vor ihr habe, wie sie das geschafft hat, das ist unglaublich“, sagt Johanna Schikora, die sehr gerne an die World Games mit den beiden Medaillen für sie und die Ukrainerin zurückdenkt: „Es war einfach toll, auch für meinen Trainer und für diese ganz Arbeit.“

Die übrigens weitergeht. Nach wie vor trainieren Johanna Schikora und Anastasia Antoniak täglich gemeinsam bei Trainer Kucher, wenn auch das Jahr 2023 eher ein Jahr zum Luftholen ist im Vergleich zu 2022 mit der Europameisterschaft in Ungarn als Top-Wettbewerb. 2024 zieht es dann wieder an mit der WM in Serbien, gleichzeitig die Qualifikation für die World Games 2025. Wie es dann für die Athlet*innen aus der Ukraine sein wird, weiß heute niemand.

(Autorin: Ulrike Spitz)


  • Johanna Schikora (Gold) und Anastasia Antoniak (Bronze) stehen gemeinsam auf dem Siegerpodest bei den World Games in Birmingham / USA. Foto: Team Deutschland
    Johanna Schikora (Gold) und Anastasia Antoniak (Bronze) stehen gemeinsam auf dem Siegerpodest bei den World Games in Birmingham / USA. Foto: Team Deutschland