Wir-Gefühl contra Ich-AG

 

 

Wie altmodisch ist es eigentlich, Gemeinsinn zu beschwören und gesellschaftliches Engagement anzumahnen? Ist es nicht viel zeitgemäßer, dem allseits zu

verzeichnenden Egoismus das Wort zu reden? Gilt es nicht mindestens als clever, sich auf den eigenen Vorteil zu fokussieren und die sich in diesem Sinne reichlich bietenden Möglichkeiten, die berühmten Schlupflöcher und Nischen zu nutzen? Und: Ist es überhaupt nützlich, Klage zu führen, wenn der „Geist“ der Zeit in Rede steht, und wir uns selbigem letztlich ohnehin nicht zu entziehen vermögen?

Auf rhetorische Fragen ist die Antwort bereits impliziert: Natürlich, man darf das vielzitierte Wort der „Bürgerpflicht“ bemühen, lohnt es sich immer, Missstände anzuprangern und sich auf die Suche nach einer Alternative zu begeben. Ohne Zweifel: Diesbezüglich sind wir alle, und nicht nur professionelle Weltverbesserer, namentlich die Politiker gefordert. Schließlich stehen unsere ureigenen Interessen, Bedürfnisse und Rechte auf dem Spiel. Allein: Wer oder was vermag den Weg zu weisen? Lässt sich aus dem Vollen politischer und ökonomischer Lehren schöpfen? Können wir uns auf moralische Instanzen, zum Beispiel religiöser oder philosophischer Provenienz, berufen? Oder kann etwa auch der Sport den einen oder anderen Fingerzeig zu geben? Genug der (rhetorischen) Fragen!

Schenkt man seinen Verfechtern, ihren Sonntagsreden und Absichtserklärungen Glauben, ist dem Sport zumindest ein gewisser Modellcharakter zuzuschreiben. Nicht weniger – so als „Grundlegendes Prinzip“ explizit in der Olympischen Charta ausgewiesen – als „einen Beitrag zum Aufbau einer friedlichen und besseren Welt“ will man leisten. Nun denn! Propagiert werden der gute Geist, die hohe Schule des Fair play, Chancengleichheit und die Achtung der Rechte des anderen. Das Gegen- wird durch ein Miteinander aufgefangen, der Konkurrent als unverzichtbarer Partner angesehen. Dies liegt auf der Hand: Würde man alleine, gleichsam konkurrenzlos siegen, wäre dies langweilig, ja geradezu absurd. Kurz: Wir-Gefühl contra Ich-AG!

Der Sport also als ein Lehrstück gesellschaftlicher Ethik und Moral? Im Prinzip ja, könnte man sagen, wenn da nicht die Hauptdarsteller wären, die Sportlerinnen und Sportler, die durch ihr Verhalten das Ideal allzu oft als Utopie entlarven. Sie geben nicht immer nur ein gutes Beispiel ab, wenn sie, ganz auf den Erfolg fixiert, ohne Rücksicht auf Verluste ihren Vorteil suchen oder gar zu unerlaubten Mitteln und Methoden greifen. Dies mag man verurteilen, doch andererseits handelt es sich eben auch nur um Menschen. Und warum sollten sie besser sein, als die Gesellschaft, in der sie leben? So schließt sich der Kreis – und wir sehen betroffen: Viele Fragen offen.