Zwiegespräch über die Zukunft des Deutschen Sportabzeichens

(23. Dezember 2003) - Zwiegespräch zwischen Frank Wittchen, Abteilungsleiter Breitensport beim Landessportverband für das Saarland, und Kurt Plessner, ehrenamtlicher Sportabzeichenbeauftragter beim Hamburger Sportbund. Beide sind Mitglied der neuen Kommission "Deutsches Sportabzeichen".

Über die Zukunft des Sportabzeichens gibt es ganz verschiedene Vorstellungen!
Über die Zukunft des Sportabzeichens gibt es ganz verschiedene Vorstellungen!

Frage: Das Deutsche Sportabzeichen gibt es nun seit 90 Jahren. Es wird jedes Jahr von über 800.000 Menschen abgelegt und ist seit vielen, vielen Jahren erfolgreich. Ist es notwendig, an diesem System etwas zu verändern?

Wittchen: Ich denke das Sportabzeichen hatte noch nie eine größere Chance als jetzt, neue Dimensionen von "Kunden" zu erschließen. Denn dieses im Kern gute Produkt wird seine Attraktivität nicht verlieren. Gleichwohl empfinde ich es als sehr dringend gewisse Veränderungen vorzunehmen, gerade weil sich eine stärkere Zusammenarbeit mit den Krankenkassen durch die von ihnen geplanten Bonusmodelle anbahnt. Es gibt vor allem Defizite im Bereich der Qualitätssicherung und im Bereich der Kinder und Jugendlichen. Bei den Kindern besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der immer schlechter werdenden Fitness und den von uns geforderten Leistungen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, sehe ich, dass das Sportabzeichen immer elitärer wird. Qualitätssicherung heißt, es mangelt oftmals an gut ausgebildeten Leitern von Sportabzeichen-Treffs. Wir müssen eine gute Fortbildungsgrundlage schaffen.


Kurt Plessner: Ich bin dem Sportabzeichen seit 1954 verbunden, als ich damals Prüfer wurde. Die lange Zeit bedeutet, ich bin mit ihm groß und auch "alt" geworden, und sie prägt natürlich auch meine Einstellung. Ich sehe derzeit nicht den Bedarf, grundlegend etwas zu verändern. Das Sportabzeichen ist eine Auszeichnung, die sich über 90 Jahre hin bewährt hat, und ein Sportorden, der ein Sportorden bleiben soll. Er hat eine hohe Qualität, und das individuelle Tun und die einzelne Leistung sollten im Vordergrund stehen bleiben. Daher spreche ich mich gegen gemeinschaftliche Angebote wie beispielsweise die Teilnahme an einem Fußballspiel aus. Aber sicherlich gibt es gewisse Brüche im Detail, die nachgebessert werden können.

Was heißt das konkret?

Plessner: Die Kernsportarten wie Schwimmen, Radfahren, Turnen und die Leichtathletik müssen unverzichtbarer Bestandteil des Sportabzeichens bleiben. Ganz wesentlich bei dem Gedanken des Sportabzeichens ist es ja auch, die Grundfähigkeiten wie Sprungkraft, Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer in den fünf Gruppen abzuprüfen. Dabei müssen wir leistungsmäßig altersgemäße Abstufungen vornehmen, wenn die leistungsmäßigen Anforderungen nicht mehr "passen". Worüber man nachdenken kann, ist die Möglichkeit der Erweiterung um zusätzliche Angebote, aber das Angebot muss überschaubar bleiben. Jeder Trendsport muss zunächst einmal über längere Zeit im Auge behalten werden. Überdenkenswert sind beispielweise auch einzelne Übungen wie beim Turnen bei den Älteren die Hockwende am Barren oder auf den Kasten, die mehr etwas ist für einen Spezialisten und nicht für jedermann.

Wittchen: Wir sollten beispielsweise einige Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen dem reellen Zustand der Kinder anpassen. Die Frage ist ja auch, warum Schwimmen bei jedem Sportabzeichen dabei sein muss. Schwimmen sollte auf jeden Fall bleiben, aber es gibt immer weniger Gelegenheiten zum Schwimmen, und warum sollte es nicht mit einer anderen Sportart auszugleichen sein? Wir haben darüber hinaus bei einzelnen Übungen, wie beim Kugelstoßen ein paar Anachronismen dabei.

Was muss die Kommission im Auge behalten, wenn sie etwas verändern will? Gibt es dabei Schwierigkeiten?

Wittchen: Der Zyklus, in dem etwas passieren kann, ist mit vier oder fünf Jahren viel zu lang, und das in einer Zeit wie der unsrigen mit dem schnellen Informationsfluss.

Die jetzt gerade gebildete Kommission für das Sportabzeichen hat zu wenig Einfluss. Alles von ihr muss noch abgesegnet werden. Das gilt es zu verändern, damit wir schneller agieren können.

Plessner: Alle Veränderungen brauchen einen längeren Zeitraum, bis sie beim letzten Bewerber und beim letzten Prüfer angelangt sind. Wenn wir zu Veränderungen kommen, bedarf es einer langfristigen Vorbereitung und Umsetzung. Wir sollten sie auch nur alle fünf Jahre vornehmen, denn wir müssen diese intensiv mit den Landessportbünden und den jeweiligen Fachverbänden sowie unter Umständen mit den Kultusministerien diskutieren.

Welche Gefahren oder Chancen sehen Sie denn durch die Anerkennung durch die Krankenkassen?

Plessner: Natürlich wollen wir mehr Menschen für das Sportabzeichen interessieren, aber wenn das Sportabzeichen in die Bonusmodelle der Krankenkassen aufgenommen wird, dann bitte nicht entsprechend zur reinen Mitgliedschaft in einem Verein. Diese muss unbedingt geringer bewertet werden, der Wert des Sportabzeichens muss auf jeden Fall herausgestellt bleiben. Er rechtfertigt einen höheren Bonus. Meines Erachtens wären die Krankenkassen gut beraten, wenn sie die Verleihung des Sportabzeichens in ihr Bonussystem integrieren würden. Denn dadurch wird für die Kassen ohne großen eigenen Verwaltungsaufwand immer wieder der Nachweis der körperlichen Aktivität und Fitness ihres Mitgliedes dokumentiert.


Wittchen: Wenn das Sportabzeichen in die Bonusmodelle der Krankenkassen aufgenommen wird, wie es sich jetzt abzeichnet, werden im nächsten Jahr viele Neuerwerber kommen und das Sportabzeichen machen wollen, weil sie sehen, es lohnt sich. Darunter werden auch viele Untrainierte sein. Es darf aber nicht passieren, dass es dann heißt, ich habe mich beim Sportabzeichentraining aber verletzt. Auf diese "Gefahr" des möglichen Ansturms müsste zum Beispiel der Deutsche Sportbund in einem Rundbrief aufmerksam machen. Darüber hinaus zielt das Training immer Regelmäßigkeit ab. Ein untrainierter Neuerwerber sollte nicht sofort mit den Prüfleistungen konfrontiert werden.

Wie sehen Sie die Zukunft des Sportabzeichens? Falls nicht reagiert wird, was kann dann mit dem Sportabzeichen passieren?

Wittchen: Das Sportabzeichen zehrt immer noch von seiner Marke. Die hohen Zahlen von Prüfungen kommen daher, weil der DSB und die Landessportbünde sich immer noch vehement dafür einsetzen. Aber diese Zahl ist oftmals teuer erkauft. Ob nicht zu teuer, diese Frage wird bei uns gerade ganz konkret gestellt. Aber im Augenblick ist die Chance, etwas zu verändern, sehr groß, wenn die Bevölkerung mit einbezogen wird. Alle müssen gefragt werden, ob Kinder, ob Erwachsene, ob Senioren, ob Krankenkassen oder Mediziner. Wie kann das Sportabzeichen interessant, überschaubar, und modern umgestaltet werden? Ohne jedem Trend hinterher zu laufen, sollte man jedoch auf relevante aktuelle Ereignisse schneller reagieren. Wenn jetzt jemand daher käme, würde einen eigenen, wissenschaftlich abgestimmten Fitnesstest entwickeln, sich die Zustimmung von 80 Prozent der Krankenkassen holen und an die Öffentlichkeit gehen, dann hätten wir vielleicht ein Problem.

 
Plessner: Das Sportabzeichen besitzt weiterhin eine starke Attraktivität, im In- und auch im Ausland, auch für junge Leute. Es kann gut in der Schule bei Schülern und Jugendlichen eingesetzt werden, weil es auf Grund seiner klaren Kategorien und Anforderungen ganz überschaubare und nachvollziehbare Grenzen setzt und damit bestens in die Schule passt. Das Sportabzeichen soll und kann Kinder in die einzelnen Sportarten einführen. Ich sehe derzeit keine Gefahr des Absinkens, aber natürlich stehen wir in starker Konkurrenz zu anderen Freizeitbeschäftigungen. Diejenigen, die im Sessel vor dem Fernseher hocken, bekommen wir nur, wenn wir ihnen eine große Summe Euro zahlen. Darüber hinaus: Ich kenne keine Veränderung, die die Leute sofort von den Hockern reißen würde und sie sagen läßt, jetzt will ich auf der Stelle das Sportabzeichen ablegen oder mich ehrenamtlich als Prüfer engagieren.

 


  • Über die Zukunft des Sportabzeichens gibt es ganz verschiedene Vorstellungen!
    Über die Zukunft des Sportabzeichens gibt es ganz verschiedene Vorstellungen!