DOSB trauert um Annemarie Renger
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) trauert um Annemarie Renger, die im Alter von 88 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben ist.

03.03.2008

Die Bundestagspräsidentin a.D., Tochter des Arbeitersportführers Fritz Wildung, war jahrelang engagiertes Kuratoriumsmitglied zur Verleihung der Fritz Wildung-Plakette und der Ludwig Wolker-Plakette. Mit der Fritz Wildung-Plakette zeichnete der Deutsche Sportbund Vereine aus, die vorbildliche Projekte zur Vereinsentwicklung initiierten. Mit der Ludwig Wolker-Plakette wurden Persönlichkeiten geehrt, die sich in hohem Maße um die sozialen und ethischen Belangen im Sport verdient gemacht hatten. Heute werden derartige Verdienste mit dem Ethik-Preis des Deutschen Olympischen Sportbundes gewürdigt. DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen, jahrelang Wegbegleiter der Verstorbenen, würdigt Annemarie Renger als eine "große Dame der Politik und des Sports, die wichtige gesellschaftspolitische Anstöße in verschiedenen Ämtern und Funktionen gegeben hat".
Abschied von einer Freundin des Sports
Trotz körperlicher Gebrechlichkeit - diesen 20. Mai 2006 wollte sie vor Ort miterleben. Schließlich hatte sie jahrzehntelang kritisch und engagiert den deutschen Sport begleitet. Und nun stand in der Frankfurter Paulskirche für sie ein weiterer historischer Moment an: Der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee von Deutschland schlossen sich zum Deutschen Olympischen Sportbund zusammen. Die damals 86-Jährige Annemarie Renger ließ es sich nicht nehmen, bei diesem Ereignis dabei zu sein, wenngleich sie die in verschiedenen Redebeiträgen aufgezeigte neue Entwicklung auch mit einer gewissen Skepsis zur Kenntnis nahm. Viele, besonders auch junge Frauen, bewunderten besonders in den 50er und 60er Jahren die blonde, adrette Frau, die der Bonner Herrenrunde auch ab und an kräftig auf die Finger klopfte. Annemarie Renger – da drängen sich Bilder auf: Das war die Frau, auf die sich der schwer kriegsversehrte SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher stützte. Und das war die Frau, die 1972 in der Bonner Republik als erste auf dem Sessel des Bundestagspräsidenten Platz nehmen durfte. Dabei wollte die am 7.Oktober 1919 in Leipzig geborene Annemarie Wildung „nur“ Parteisekretärin werden. Das schien ihr, die in ihrer sozialdemokratischen Familie in Berlin aufwuchs, ein erstrebenswerter Beruf, als sie ins Augusta-Lyzeum eintrat. Ihre Lehrer fanden das „lächerlich“, wie sie sich erinnerte. Was hätten sie wohl gesagt, wenn sie erlebt hätten, was aus der kleinen Annemarie wurde? Ziele, die sie sich gesteckt hatte, verfolgte sie mit Disziplin und harter Arbeit – und erreichte sie. Die Aussöhnung mit den Nachbarn im Osten und mit Israel waren ihre wichtigsten politischen Anliegen. Versöhnen - ihr Credo. Glücklich war die Sozialdemokratin, dass sie, die Leipzigerin, als Abgeordnete des Deutschen Bundestages am 3.Oktober 1990 den Staatsakt zur deutschen Einheit miterleben durfte.
Durch ihren Vater Fritz Wildung wurde ihre Leidenschaft für Politik und Sport geweckt: Er war in Leipzig nicht nur Stadtrat, sondern auch Chefredakteur der „Arbeiter-Turnzeitung“. Sport, so erkannte sie schnell, ist nicht nur ein Mittel zur Gesunderhaltung, sondern auch der Befreiung. Vor allem der Frauen, die sich nicht nur steifer Korsette, sondern auch gesellschaftlicher Zwänge entledigen wollten. Und die Anteil an Bildung haben wollten. Sport für und mit Frauen: Da ließ sich die vielbeschäftigte Politikerin nicht lange bitten, Veranstaltungen oder Aktionen zu unterstützen. Sie war eine Freundin des Sports für alle. Bei DSB–Bundestagen war sie gern gesehener Gast, der auch schon mal Kritik übte. Jahre lang war sie im Kuratorium, das die nach ihrem Vater benannte Fritz-Wildung-Plakette für vorbildliche Vereinsprojekte verlieh. Und sie saß auch in der Jury für die Ludwig-Wolker-Plakette. Damit wurden Persönlichkeiten geehrt, die sich um soziale und ethische Belange im Sport verdient gemacht hatten.
Aber nicht nur das. DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen schätzte die SPD-Politikerin besonders „weil sie wichtige gesellschaftspolitische Anstöße in verschiedenen Ämtern und Funktionen gegeben hat“. Und natürlich blieb sie dem Arbeitersport verbunden. Bei der Tagung im April 1993 in Leipzig anläßlich 100 Jahre Arbeitersport wurde ihr Beitrag bei einer Podiumsdiskussion zu einem flammenden Bekenntnis zu Arbeiterbewegung und Arbeiter-Kultur. „Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann“, sagte Annemarie Renger, nachdem sie 1976 den Stuhl des Bundestagspräsidenten für Karl Carstens räumen musste. Sie war schnell zur populärsten deutschen Politikerin geworden, beliebt nicht nur beim Volk, sondern auch geschätzt bei Kollegen und politischem Gegner. Nun starb die große alte Dame und Sozialdemokratin nach schwerer Krankheit in ihrem Haus in Oberwinter bei Bonn.