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Projektentwicklung 2016 im Elmshorner Schachclub von 1896 e.V.

Schach nur für Frauen/Mädchen- und Frauenschachtraining insbesondere für Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund. Der Frauenanteil im organisierten Schach in Deutschland lag zu Beginn des Jahres 2016 leider bundesweit nur bei ca. 7%. Im Stützpunktverein Elmshorner Schachclub waren am 31.12.2016 von 77 Mitgliedern 18 weiblich. Damit hat der ESC seinen Frauenanteil auf über 23% erhöht! Der Bundesdurchschnitt wird weit übertroffen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

24.02.2017

Unsere Spielräume liegen in einem Teil von der Stadt Elmshorn, in dem ein sehr hoher Ausländeranteil, insbesondere von u.a. russischen bzw. Mitbürgern aus den östlichen/südöstlichen Europa, vorhanden ist. Gerade mit Schach, was in den östlichen Staaten sehr häufig generationsübergreifend gespielt wird, kann hierfür eine integrative Verbindung geschaffen werden. Durch die vielfältigen Veranstaltungen, die wir insbesondere im Rahmen des Projektes im Jahre 2016 durchgeführt haben, wird das Haus der Begegnung auch als schachliche Anlaufstelle immer mehr bekannt und wir haben immer mehr Besuch von Gästen, die bei unseren Events zuschauen und ggf. beim nächsten Schachtraining einfach mal mitmachen.

Die Sprachbarriere ist praktisch nicht vorhanden, da die Trainerin die neuen Spielerinnen gleich auf ihrer Sprache anspricht, sei es auf russisch, deutsch, englisch oder in den Sprachen des ehemaliges Jugoslawiens. Der bisherige Erfolg ist daher auch insbesondere auf unsere Trainerin, einer ehemaligen Schachweltmeisterin zurückzuführen. Ohne ihre Mehrsprachigkeit (dadurch ist die sofortige Übersetzung von Schach-Fachausdrücken gewährleistet und wurde auch vielfach in Anspruch genommen) und die Art ihres Trainings würden die Teilnehmerinnen nicht jeden Freitag mit so viel Freude – auch bei der größten Hitze im Sommer – zum Training kommen.

Derzeit sind die Teilnehmerinnen in der Projektgruppe aus Syrien, Türkei, Iran, Ukraine, Russland, Polen, Dänemark, Italien, Madagaskar, Vietnam, Österreich, Schweiz und Deutschland. Anwendung des Erlernten in der Praxis: Schachturniere/Meisterschaften Teilnahme an Mädchen- und Frauenmannschaftskämpfen und –turnieren mit gemischten Mannschaften aus Nicht-Migrantinnen und Migrantinnen. Im Jahr 2016 haben wir drei eigene Mädchen-/Frauenturniere nur für die Projektteilnehmerinnen durchgeführt. Die Mädchen und Frauen waren unter sich, keine langjährigen Vereinsspielerinnen kamen von außerhalb, „Frau“ hatte die Chance auch mal Pokale zu gewinnen.

Nachdem durch die Aktivitäten für Mädchen und Frauen innerhalb des Schachclubs für die Frauen, die bereits Mitglied im Elmshorner Schachclub sind, die Motivation und damit die Teilnahmebereitschaft an Frauenturnieren gestiegen ist, hat der Elmshorner Schachclub für die Saison 2015/2016 und auch für die neue Saison 2016/2017 eine Frauenmannschaft für die Frauenlandesliga Schleswig-Holstein/Hamburg/MVP gemeldet. Das ist die unterste Frauenteamliga, da es nicht so viele Frauenteams im Schach gibt. Die Spielerinnen aus den Trainingsgruppen werden dann, je nachdem ob sie Mitglied im ESC werden wollen, für diese Mannschaft nachgemeldet.

Ebenso werden Turniere speziell für Mädchen und Frauen besucht, wo diese nicht unbedingt Vereinsmitglied sein müssen. Hier werden auch unsere weiblichen Projektteilnehmerinnen mit Migrationshintergrund teilnehmen können. Intensive Pressearbeit und fototechnische Dokumentation begleiten die Maßnahme. Auch wurden 2016 erneut mehrsprachige DIN-A5-Zettel in den angrenzenden Straßenzügen, die im Vorjahr noch nicht berücksichtigt werden konnten, verteilt. Durch die Mehrsprachigkeit: Russisch, Türkisch, die Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens und Deutsch wurden viele Interessenten auf ihrer Sprache angesprochen und wir konnten durch viele neue Besucher das steigende Interesse feststellen.Nicht nur bei der weiblichen sondern auch bei der männlichen Bevölkerung aus dem Stadtteil.

Die Zusammenarbeit mit den Schulen wurde intensiviert. Jede Schule hat postalisch und mailtechnisch die Informationen zum Projekt und zu den einzelnen Turnieren/Meisterschaften erhalten. Weitere Infozettel wurden an die Stadtbücherei Elmshorn für die Auslage gesendet.

Eine intensive Pressearbeit und eine fototechnische Dokumentation begleiteten auch 2016 das Projekt. Neben dem Pinneberger Teil des Hamburger Abendblattes, der Holsteiner Allgemeinen/Holsteiner am Wochenende kann man die Schachartikel insbesondere in den Elmshorner Nachrichten finden. Durch die steigende Anzahl der veröffentlichten Presseberichte, die nur daraus resultiert, dass auch mehr Aktivität vorhanden war und die Presse entsprechend informiert wurde, wurden wiederum neue weibliche und männliche Interessenten auf den Schachclub aufmerksam und besuchten die eine oder andere Veranstaltung.

Das friedliche Miteinander beim Schach zwischen den unterschiedlichen Teilnehmerinnen und durch die steigende Anzahl von Teilnehmerinnen ist Motivation für alle beteiligten Seiten. Durch die positiven Einflüsse engagieren sich jetzt aber auch zusätzlich Schachfreunde und so können wiederum zusätzliche Aktivitäten angestrebt werden. Durch eine Kooperation mit einer frisch gegründeten Firma eines neuen Mitglieds können im Jahre 2017 neue Stadtteile mit Werbeflyern versorgt werden, so dass wieder ein neuer Teil der 50.000 Einwohner Elmshorns direkt Kenntnis unseres Projektes erhält. In den Schulen konnten wir inzwischen mehrere Schulleitungen und Lehrer für die Unterstützung des Projektes gewinnen. Hier werden wir intensiv die Mädchen bei/in Schulschachturnieren informieren und für das Projekt begeistern.

Im Laufe des letzten Projektjahres konnten wir neben dem schachlichen Aspekt, d.h. Erlernen der Grundregeln, Verbesserung des Gelernten und Erprobung durch Teilnahme an Trainings- und ersten „echten“ Schachturnieren, insbesondere eine ganze Reihe von persönlichen Entwicklungen der Teilnehmerinnen feststellen. Einige der besonders auffälligen Aspekte waren/sind dabei beispielhaft für weitere:

Beispiel 1: Entwicklung eines Mädchens mit Migrationshintergrund

Ein Mädchen mit Migrationshintergrund kam durch die Werbung (Tag der offenen Tür, Werbeflyer, Unterstützung der Mitarbeiter/Betreuer) zum Schachprojekt ins Haus der Begegnung, Zum Zeitpunkt als sie in das Projekt gekommen war, war sie laut und undiszipliniert. Ihr Selbstbewusstsein war sehr gering, sie respektierte keine Autoritäten und zeigte schlechte Leistungen in der Schule. Nach ihrer eigenen Aussage gab es „keine Zukunftsperspektiven“. Damals war ihre Zusammenarbeit und ihr Gefühl in der Gruppe schlecht ausgeprägt – sie zeigte keine Hilfsbereitschaft. Ein halbes Jahr später hat sich das Mädchen komplett verändert. Sie hat in der Zeit jede Woche regelmäßig am Training teilgenommen. Sie hat dabei viel gelernt und sich äußerst positiv gewandelt. Jetzt übernimmt sie Verantwortung u.a. als „Hilfsschachlehrerin“ und zeigt ganz neuen Teilnehmerinnen die Grundregeln und die ersten Züge. Sie projektiert dieses Verhalten auch gegenüber anderen.

Sie hat jetzt ein ruhigeres und „überlegteres“ Benehmen. Insbesondere durch Schach lernt man vorausschauender zu denken: „Was passiert wenn“… Sie zeigt auch viel bessere Leistungen in der Schule und dadurch schafft sie sich die Möglichkeit einer besseren Perspektive – vielleicht eine Ausbildung oder sogar Studium. Ihr Selbstbewusstsein ist stark gestiegen – auch eine Veränderung durch den Gewinn von Schachpokalen, Medaillien und positive Presseberichten. Die dadurch resultierende Anerkennung in der Gesellschaft (wer im Schach gut ist, muss etwas können) bringt den „a-ha- ich kann doch etwas“ Effekt und die Eltern sind nebenbei auch noch Stolz und unterstützen ihr Kind bei ihrem Handeln (Erlaubnis Turniere zu spielen z.B.).

Bei dem Mädchen ist aber auch die Akzeptanz, zuzuhören und aktiv zu agieren gestiegen. Ein Gefühl für die Gruppe existiert. Die soziale Kompetenz wurde stark verbessert - „Gegner respektieren“. Die Hilfsbereitschaft, anderen zu zeigen was sie nicht „können“, ist gewachsen – vorher war eher ihre Meinung : „darüber mache ich mir keine Gedanken, interessiert mich nicht“. Aber auch Konsequenzen zu tragen wenn man mal Fehler gemacht hat, und zu verlieren zu können, wurde gelernt und als Folge daraus die Einsicht: „wenn ich mich mehr bemühe, schaffe ich doch etwas“. Die Selbstbetrachtung hat sich stark verändert durch das Projekt: „auch wenn ich verliere, bleibe ich dabei“.

Beispiel 2: Ablenkung und Verbesserung bei vorhandenen persönlichen Problemen

Unter den Teilnehmerinnen gibt es einige, die mit persönlichen Schicksalen zu kämpfen haben und die evtl. auch aufgrund dessen sehr schüchtern waren. Durch die Freude beim wöchentlichen Training oder auch das gemeinsame Erlebnis bei Trainingsspielen innerhalb des Projektes hat sich das Selbstbewusstsein stark verbessert und der Umgang mit den unterschiedlichen Lebensproblemen fällt den Teilnehmerinnen leichter. Teilweise wird die Situation auch einfach mal „vergessen“. Man wird durch den Spaß in der Gruppe abgelenkt von seinen seelischen Sorgen. Eine Teilnehmerin hatte nach dem Training mal gesagt: „Schach macht Spaß, man kommt auf andere Gedanken“.

Beispiel 3: Integration von Flüchtlingen

Durch die Werbung mit Flyern und intensive Pressearbeit wurden viele spätere Projektteilnehmerinnen auf das Projekt aufmerksam. U.a. auch Helfer, die den späteren Teilnehmerinnen den Teilnahme-Tipp gegeben haben. In diesem Beispiel wird über die Entwicklung und Integration von Flüchtlingen insbesondere auch aus Syrien und dem Iran berichtet. Dadurch, dass nur Mädchen/Frauen in den Projektraum dürfen, bekommen wir Rückmeldungen der Teilnehmerinnen, dass sie dadurch ein schönes, sicheres Gefühl haben. Hier sind Frauen unter sich und verstehen sich. Auch wenn man die Sprache noch nicht gut kennt, versucht man sich gemeinsam im Training z.B. über eine bestimmte Schachstellung sprachlich auszutauschen und lernt dadurch Stück für Stück auch durch das Schachtraining die deutsche Sprache. Vielfach wird durch die Trainerin aber auch u.a. auf Englisch oder Russisch der Kontakt mit neuen Teilnehmerinnen gefunden, die sich dann auch verstanden fühlen und auch insbesondere hierdurch eine Integration in die Gruppe beginnt.

In unserem Training findet man viele Kulturen auf einen Fleck, ein reger Austausch findet statt und man lernt gegenseitig viel über die „Fremden“ und aus Fremde werden Freunde. Wenn man im Gespräch mit den Flüchtlingen ein paar Dinge herausstellen kann, dann einige Aussagen, die bisher im Laufe des Projektes auffielen: Für die Flüchtlinge macht das Leben „einen anderen Sinn“. Durch Turniere, Reisen, Kontakte mit den anderen Teilnehmerinnen existiert ein Gefühl der Zugehörigkeit; die Lebensqualität ist gestiegen: „ich habe ein Hobby“. Die soziale Kompetenzen auch von erwachsenen Frauen steigen und traumatisierende Erlebnisse wurden/werden besser verarbeitet.

Beispiel 4: Positiver Einfluss auf die Familie

Dadurch das das Projekt nur für weibliche Teilnehmerinnen konzeptioniert ist, blieben auch einige Mütter, die ihre Töchter zum Training brachten, einfach mal vor Ort im Raum und haben am Training teilgenommen. Ihnen hat das Training dann so viel Spaß gemacht, dass die Mütter sogar gerne länger bleiben und auch an Trainingsturnieren schon teilnehmen. Einige Mütter nehmen mit ihren Töchtern dafür dann auch mal längere Auto- oder Zugfahrten gerne in Kauf. Das wöchentliche reine Mädchen- und Frauenschachtraining wird zum Familienereignis. Man freut sich die ganze Woche darauf.

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