Unabhängiges Beratungsgremium in Stasi-Fragen konstituierte sich
Die ehemalige Stasi-Kommission des deutschen Sports unter der Leitung der einstigen CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien hat die Spur gelegt.

16.05.2007

Das betonte der Vorsitzende des Unabhängigen Beratungsgremiums in Stasi-Fragen des DOSB, Joachim Gauck, nach der konstituierenden Sitzung in Berlin und unterstrich, viel sollte sich an der gutachterlichen Arbeit des neuen Beratungsgremiums nicht ändern. Das heißt: Der DOSB wird die Offiziellen der Olympia-Teams bei der Stasi-Unterlagenbehörde überprüfen, genauso Verbände ihre leitenden Angestellten und Funktionäre. Werden Täterakten gefunden, wird das Gremium zu Einzelfallprüfungen zusammentreffen.
„Es wird darum gehen, die Fakten zu ermitteln“, erläuterte der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagenbehörde, der vom DOSB-Präsidium bereits am 24. Januar für diese Aufgabe berufen wurde. „Wir werden nach wie vor die belasteten Personen anhören und dann auch feststellen, wie sie zu den Belastungen von einst stehen. Wir werden dabei nicht die Frage der Schuld reflektieren, sondern die Eignung zu beurteilen haben. Aus alledem ergibt sich eine Empfehlung an den Sport, die wir dann aussprechen werden.“
Einsichtsfähigkeit der Täter soll sich in Beurteilung niederschlagen
Dabei sollte sich die Einsichtsfähigkeit der Täter von einst durchaus in der Beurteilung niederschlagen. Der Theologe Gauck, in jungen Jahren als Handballer in der Bezirksklasse aktiv, stellte heraus: „Unfehlbare Methode ist die Wahrheit. Eine entschuldigende Rhetorik bringt nichts. Wir müssen hören und mit dem Herzen beurteilen, ob jemand glaubhaft bereut oder nicht. Nicht vergessen dürfen wir, dass die Opfer noch unter uns leben.“
Thema auf einer Pressekonferenz nach der ersten Sitzung, bei der über die Herangehensweise der Arbeit gesprochen und eine 90-minütige Unterredung mit der Bundesbeauftragten Marianne Birthler geführt wurde, war auch der Stasi-Fall Ingo Steuer. Gauck hatte sich mit dem umstrittenen Eiskunstlauftrainer aus Chemnitz getroffen und will ihm jetzt eine Brücke für die Zukunft bauen. „Wenn mir Ingo Steuer im Januar 2006 so begegnet wäre, wie Frau Laurien und die anderen Mitglieder der Kommission ihn angetroffen haben, wäre ich möglicherweise zu einer ähnlichen Entscheidung gekommen oder zu derselben“, sagte der Vorsitzende. Vor 16 Monaten hatte die Kommission die Empfehlung ausgesprochen, Ingo Steuer, ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, nicht als Offiziellen zu den Olympischen Winterspielen nach Turin zu entsenden. Steuer erwirkte vor dem Landgericht Berlin eine Einstweilige Verfügung, die in einer Verhandlung bestätigt wurde, allerdings nur wegen formeller Fehler.
Joachim Gauck: „Ich bin jetzt einer anderen Person begegnet, einem Menschen, der in einer erwachsenen Weise einsichtig war. Er hat sich nicht herausgeredet und zudem auch konstruktiv mit überlegt, wie er seine Arbeit als Trainer für sein Eiskunstlauf-Paar erledigen kann, ohne dass er eine Aufgabe als Bundestrainer wahrnimmt. Man darf wohl davon ausgehen, dass sich im Leben von Ingo Steuer durch Nachdenken über diese Angelegenheit auch etwas bewegt und dass er seine Einstellung geändert hat.“ Der Chemnitzer sei sicherlich so belastet, dass er nicht staatlicher Repräsentant sein könne - gleichzeitig wäre es zu hart, ihn mit einem Berufsverbot zu belegen. Analog zu den Regelungen für den öffentlichen Dienst müsse man davon sprechen, dass Ingo Steuer eine „begrenzte Eignung für Führungsaufgaben“ habe. Für alle Zeit könnte man ihn allerdings nicht ausgrenzen, betonte Joachim Gauck: „Es darf nicht sein, dass ehemalige IMs das ganze Leben mit dem Stempel des Verrats herumlaufen.“
Berücksichtigen müsse man auch, das die Inoffiziellen Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes von Stasi-Obristen benutzt wurden, welche im Prinzip nicht zur Verantwortung gezogen wurden, es sei denn man, hatte sie im öffentlichen Dienst einer Regelüberprüfung unterzogen. Dr. Joachim Gauck: „Das eigentlich Fürchterliche sind die Hauptamtlichen, die damals junge Leute, die ängstlich und formbar waren, in diese Situation gebracht haben. Sie haben ihre Macht gegenüber 18-Jährigen, manchmal sogar 16-Jährigen ausgenutzt. Von daher ist es nun einmal auch so, dass sowohl im öffentlichen Dienst als auch im Sport nicht gilt: Einmal IM – immer draußen. Neben der Faktenebene muss auch die Ebene gewichtet werden, wie der Täter von einst heute zu seinem Fehlverhalten steht.“
Vesper: Balance zwischen Interessen der Opfer und dem Vergehen der Täter
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper unterstrich, aus ethisch-moralischen Kernprinzipien müsse der organisierte Sport nach wie vor Aufarbeitung über die Verstrickungen Einzelner mit dem allmächtigen DDR-Geheimdienst leisten – dabei müsste die Balance zwischen den Interessen der Opfer mit dem Vergehen der Täter in den Vordergrund gestellt werden: „Dem DOSB und dem deutschen Sport insgesamt ist es sehr wichtig zu wissen, ob leitende Mitarbeiter, Trainer, Präsidiumsmitglieder und wer auch immer für den deutschen Sport in der Öffentlichkeit steht, in die Stasi-Aktivitäten in irgendeiner Form verstrickt waren oder nicht. Wir müssen es auch schon deshalb wissen, weil gerade diese Persönlichkeiten eine große Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche haben; sie werden öffentlich ganz anders wahrgenommen, als es in anderen gesellschaftlichen Bereichen der Fall ist.“ Vesper erinnerte daran, der DOSB habe sich massiv dafür eingesetzt, dass das Stasi-Unterlagengesetz nicht ausläuft und dass es in seiner Fortgeltung ausdrücklich die Möglichkeit offen lässt, dass für Repräsentanten des deutschen Sports die Akten bei der Birthler-Behörde im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten herangezogen werden können.