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„Unvergessene Meisterin“: Gretel Bergmann wird 100 Jahre alt

Hochspringerin Gretel Bergmann durfte bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, trotz ihres Rekordsprungs über 1,60 Meter, nicht antreten. Am 12. April wird sie 100 Jahre alt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

09.04.2014

Prof. Lorenz Peiffer, Sporthistoriker am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Hannover und Mitherausgeber der Fachzeitschrift „SportZeiten“, erzählt im folgenden Beitrag ihre Geschichte.

Wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1936 in Berlin hatte Gretel Bergmann bei einem regionalen Sportfest im Juni 1936 in Stuttgart mit 1,60 Metern den deutschen Rekord im Hochsprung eingestellt. Es war ein Provinzsportfest, bei dem sie ohne echte Konkurrentinnen angetreten war.

Die letzte im Wettbewerb verbliebene Konkurrentin war schon bei 1,40 Metern ausgeschieden. Gretel Bergmann sprang aber nicht nur gegen sich selbst, ihre Motivation bezog sie aus der absurden Rassentheorie der Nazis, wonach Juden degeneriert, körperlich schwächlich, zu keiner sportlichen Leistung fähig, den Ariern in allen sportlichen Belangen unterlegen seien.

Die Chance der Olympiateilnahme wird genommen

Unter den Augen der versammelten Naziführung und 100.000 Zuschauern hätte Gretel Bergmann die NS-Rassentheorie ab adsurdum führen können, wenn sie die Chance gehabt hätte, bei den Olympischen Spielen in Berlin anzutreten. Aber diese Chance wurde ihr durch den Reichssportführer von Tschammer und Osten genommen.

Es hätte nicht in das nationalsozialistische Weltbild gepasst, dass eine deutsche Jüdin für Deutschland auf dem Siegertreppchen gestanden hätte. An den Vorbereitungslehrgängen für Berlin hatte Gretel Bergmann – wie auch andere jüdische Sportlerinnen und Sportler – teilnehmen dürfen. Dieses Zugeständnis hatte die NS-Sportführung gemacht, um das Ausland zu beschwichtigen und das Bild eines toleranten Nazi-Deutschland vorzutäuschen.

Die Mitgliedschaft im Verein war nicht mehr erwünscht

Aus deutschen Turn- und Sportvereinen waren die jüdischen Mitglieder – bis auf wenige Ausnahmen – bereits unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in einem Akt vorauseilendem Gehorsams hinausgeworfen worden und hatten sich in eigenen jüdischen Sportvereinen selbst organisiert. Gretel Bergmann erhielt an ihrem 19. Geburtstag einen Brief ihres Vereins FV Ulm, dass ihre Mitgliedschaft im Verein nicht mehr erwünscht sei.

Für die Weltöffentlichkeit wurde im Vorfeld der Olympischen Spiele ein Potemkinsches Dorf errichtet, das die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der jüdischen Sportlerinnen und Sportler völlig konterkarierte. Unmittelbar vor den Berliner Spielen ließ die NS-Sportführung jedoch die Maske fallen. Eingeladen wurde die in den USA wohnende Halbjüdin Helene Mayer, die bereits 1932 in Los Angeles für Deutschland gestartet war. Helene Mayer folgte dem Ruf der Nazis und nahm bei der Siegerehrung ihre Silbermedaille mit dem ‚Hitler-Gruß’ entgegen.

Die Mitteilung über Nicht-Nominierung bis heute aufbewahrt

Gretel Bergmann erhielt am 16. Juli 1936 ein Schreiben des Reichssportführers – am 1. August wurden die Spiele in Berlin eröffnet –, mit der Mitteilung, dass sie nicht beständig genug gewesen sei in ihren Leistungen und dass sie wohl selbst nicht mit ihrer Aufstellung gerechnet hat. Diesen Brief hat Gretel Bergmann bis heute aufbewahrt. Olympiasiegerin im Hochsprungwettbewerb der Damen wurde die Ungarin Ibolya Csak – mit einer Höhe von 1,60 Metern.

Eine ihrer deutschen Konkurrentinnen, Dora Ratjen, entpuppte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Hermann Ratjen. Gretel Bergmann hatte also im Vorfeld der Berliner Spiele nicht nur gegen ihre weibliche Konkurrenz wie Elfriede Kaun, gegen die Auswüchse der nationalsozialistischen Rassentheorie gekämpft, sondern auch noch gegen männliche Konkurrenz – ein Kampf, den Gretel Bergmann angesichts der politischen Rahmenbedingungen und des Totalitätsanspruchs der Nazis nicht hatte gewinnen können. Bei den Vorbereitungslehrgängen musste Gretel Bergmann mit ‚Dora’ Ratjen ein Zimmer teilen. Aber wer hätte schon einer Jüdin geglaubt, wenn sie das ‚Geheimnis’ der ‚Dora’ Ratjen gelüftet hätte.

Die Teilnahme an Olympischen Spielen blieb ihr verwehrt

Am 8. Mai 1937 kehrte Gretel Bergmann Nazideutschland den Rücken und emigrierte in die USA. Kurze Zeit später folgte ihr Bruno Lambert, den sie bei einem Sportfest kennengelernt hatte und mit dem sie in den USA den Bund der Ehe schloss. Lambert, dessen Eltern im KZ ermordet wurden, starb vor wenigen Monaten.

Gretel Lambert wurde 1937 und 1938 amerikanische Meisterin im Hochsprung. Ihr Traum, an den Olympischen Spielen 1940 als Sportlerin für die USA teil zu nehmen, blieb ihr jedoch verwehrt. Mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939 war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Die Jugend der Welt traf sich auf den Schlachtfeldern und nicht in den olympischen Sportstätten.

Die Heimatstadt Laupheim benennt Stadion nach Gretel Bergmann um

Erst spät versöhnte sich Margret Lambert, wie sie sich seit ihrer Heirat nennt, mit ihrem Heimatland. Auf Einladung des damaligen NOK-Präsidenten Walther Tröger nahm sie 1996 als Ehrengast an den Olympischen Spielen in Atlanta teil.

Anlässlich der Verleihung des Georg von Opel-Preises für „Unvergessene Meister“ kehrte Margret Lambert 1999 erstmals wieder nach Deutschland zurück. In ihrer Heimatstadt Laupheim wurde die städtische Sportanlage in Gretel-Bergmann-Stadion umbenannt.

In ihrer eindrucksvollen Autobiografie „Ich war die große jüdische Hoffnung“ schreibt Margret Lambert: „Als wir gemeinsam das Schild ‚Gretel-Bergmann-Stadion’ enthüllten, bekam ich eine Gänsehaut. Es war so ironisch: 1933 hatten mich die Nazis von allen öffentlichen Orten verbannt, und jetzt trug einer dieser öffentlichen Orte für immer meinen Namen“.

Vor zwei Jahren wurde sie in die Opens external link in new window"Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen, die von der Stiftung Deutsche Sporthilfe 2006 eingerichtet worden ist.

Gretel Lambert lebt seit Jahren in Queens/New York. Am 12. April wird sie 100 Jahre alt.

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