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Völlig losgelöst: Wie die Eishockeyfrauen die Qualifikation für die Winterspiele 2026 schafften

Unfassbar spannendes Finale gegen Ungarn bringt die Belohnung für drei Jahre harte Arbeit. Der Satz „Dabeisein ist alles“ steht schon jetzt auf dem Index.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

10.02.2025

Jubelnde Eishockeyspielerinnen auf dem Eis.

Die Arbeit von drei Jahren, sie hätte innerhalb weniger Sekunden ausgelöscht gewesen sein können. Als am Sonntagabend in Bremerhaven beide Mannschaften feierten - die deutschen Eishockeyfrauen, weil sie das Ticket für die Olympischen Winterspiele 2026 gelöst zu haben glaubten, die Gegnerinnen aus Ungarn, weil sie dachten, den Last-Second-Ausgleich erzielt und die Entscheidung aufgeschoben zu haben - da wurde wieder einmal deutlich, warum wir alle den Sport so sehr lieben, wie wir es tun: Weil er Emotionen freisetzt und Geschichten schreibt, die wir im „normalen“ Alltag selten erleben. 

Daria Gleißner stand, als die Spieluhr dem Ende der regulären 60 Minuten im letzten Spiel des Qualifikationsturniers entgegentickte, hinter der Bande. Nachdem sowohl Deutschland als auch Ungarn ihre Partien gegen Österreich und die Slowakei gewonnen hatten, wurde das direkte Duell zum Endspiel um das Olympiaticket, das nur der Sieger lösen würde. „Ich habe gesehen, wie die Uhr auf 0:00 sprang, dann habe ich die Schlusssirene gehört. Als ich gerade aufs Eis sprang, sah ich, wie die eine Schiedsrichterin ein Tor anzeigt. Aber ich war mir sicher, dass es nicht zählen würde, denn die Zeit war ja abgelaufen“, sagt die Verteidigerin, die in der DFEL für den ECDC Memmingen aufläuft, am Tag nach dem Nervenkrimi. Dennoch dauerte es einige Minuten, bis das Schiedsrichterinnen-Gespann den 2:1-Sieg der deutschen Auswahl als endgültig erklärte - und alle Dämme brechen durften. 

  • Um 4.30 Uhr ist die Letzte ins Bett gegangen. Natürlich sind wir müde, aber vor allem sind wir wahnsinnig glücklich. Wir haben uns diese Qualifikation so sehr verdient.

    Daria Gleißner
    Kapitänin Deutsche Eishockey Nationalmannschaft

    Gefeiert wurde zunächst in der Kabine, wo Bier, Sekt und Wein beim Mitgrölen des Tor-Songs „Völlig losgelöst“ wild umherspritzten. Anschließend ging es mit dem gesamten Team, dem Staff, Freunden und Familien ins Hotel. Den Partybefehl der starken Torfrau Sandra Abstreiter, die Nacht durchzufeiern („Der Zug hat keine Bremse, der fährt die ganze Nacht nur geradeaus“) hatten sie nicht vollumfänglich umsetzen können. „Um 4.30 Uhr ist die Letzte ins Bett gegangen“, erzählt Daria nach viereinhalb Stunden Schlaf, als sie am Montag auf der Rückfahrt in Richtung Bayern ist. Zu siebt in einem Sprinter sind sie unterwegs, das Fahren teilen sie sich auf. „Natürlich sind wir müde, aber vor allem sind wir wahnsinnig glücklich. Wir haben uns diese Qualifikation so sehr verdient“, sagt sie. 

    Tatsächlich, das haben sie. Dem Druck standzuhalten, der Favoritenrolle vor heimischem Publikum gerecht zu werden, war eine große Leistung. Die Siege gegen Österreich (2:0) und die Slowakei (6:1) „haben unser Selbstbewusstsein noch einmal deutlich gestärkt“, sagt Daria Gleißner, „aber ich wusste von Beginn an, dass wir optimal vorbereitet waren und nichts anbrennen würde, wenn wir alle unsere Leistung abrufen würden.“ Dennoch gab es gegen die konterstarken Ungarinnen mehrere kritische Momente zu überstehen. Insbesondere nach der schnellen Antwort von Mira Seregely, die nur 70 Sekunden nach dem deutschen Führungstor durch Lilli Welcke (28.) den Ausgleich schaffte, war Moral gefragt. „Aber das ist genau die Einstellung, die wir uns erarbeitet haben: Dass wir mehr Lust aufs Gewinnen haben als Angst vorm Verlieren“, sagt Daria Gleißner. 

    Dem kann Christian Künast nur beipflichten. „Wenn ich das Team mit einer Eigenschaft beschreiben sollte, dann ist es die, dass es sofort wieder aufsteht, wenn es einmal hingefallen ist“, sagt der Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Nach dem bitteren Verpassen der Qualifikation für die Spiele 2022 in Peking hatte beim Verband die Arbeit für den kommenden Zyklus begonnen. „Wir als Staff haben viel von den Mädels verlangt, aber sie haben uns noch viel mehr gegeben“, fasste Bundestrainer Jeff MacLeod zusammen. „Wir haben alles sehr kritisch, aber vor allem gemeinsam analysiert, wichtige Personal- und Strukturentscheidungen getroffen“, sagt Christian Künast, „aber das Wichtigste war, dass die Mannschaft so mitgezogen hat. Man kann von außen noch so viel verändern und vorbereiten, wenn das Team nicht funktioniert, dann hilft alles nichts. Aber die Spielerinnen haben in Bremerhaven gezeigt, dass sie den absoluten Willen hatten, sich für den Aufwand der vergangenen drei Jahre zu belohnen.“ 

    Dass diese Belohnung durch das Siegtor gelang, das Lilli Welckes Zwillingsschwester Luisa in der 44. Minute erzielte, freut Daria Gleißner besonders. „Wir haben eine junge Mannschaft mit sehr entwicklungsfähigen Spielerinnen, die in diesem Qualifikationsturnier viel gelernt haben und sich innerhalb des kommenden Jahres bis zu den Spielen weiter verbessern werden“, sagt die 31-Jährige mit Blick auf die neun Jahre jüngeren Torschützinnen des Ungarn-Spiels, die in den USA gemeinsam für die Boston University spielen und nach der Partie wirklich völlig losgelöst waren. „Olympia war immer der Traum, das Gefühl ist jetzt noch ein bisschen surreal“, sagte Lilli beim übertragenden Sender MagentaSport. 

    Tatsächlich hat aus dem aktuellen Kader keine Spielerin die bislang letzte Olympiateilnahme einer deutschen Eishockey-Frauenauswahl 2014 in Sotschi (Russland) erlebt. Daria stand zwar im Aufgebot, brach sich aber im letzten Vorbereitungsspiel gegen die USA den Querfortsatz eines Halswirbels und musste abreisen. „Umso mehr freue ich mich nun, dass es doch noch klappt mit einer Olympiateilnahme“, sagt sie. 

    • Olympische Spiele sind für alle Sportlerinnen und Sportler das Größte, was sie erreichen können, und diese Bühne nun mit beiden Mannschaften bespielen zu können, ist für uns eine tolle Chance.

      Christian Künast
      Sportdirektor Deutscher Eishockey-Bund (DEB)

      Für den Verband ist besonders wichtig, dass erstmals seit 20 Jahren wieder beide Teams die Qualifikation für die Winterspiele geschafft haben. „Natürlich bedeutet das viel Arbeit, die vor allem dadurch erschwert wird, dass das Turnier der Frauen deutlich früher beginnt und wir deshalb zweigleisig planen müssen. Aber wir haben ein tolles Organisationsteam und sind gut vorbereitet“, sagt Christian Künast. „Olympische Spiele sind für alle Sportlerinnen und Sportler das Größte, was sie erreichen können, und diese Bühne nun mit beiden Mannschaften bespielen zu können, ist für uns eine tolle Chance.“ Eishockey als Kernsport der Winterspiele werde nicht nur am Spielort Mailand, sondern weltweit die Aufmerksamkeit für beide DEB-Teams steigern. „Und wir werden uns sehr bemühen, die Sichtbarkeit der Frauen trotz der Erfolge unserer Männer, für die die Silbermedaille 2018 die Initialzündung für die erfolgreichen vergangenen Jahre war, zu garantieren.“ 

      Jubelnde Eishockeyspielerinnen machen die Raupe auf dem Eis.

      Daria Gleißner ist überzeugt davon, dass beide Teams vom gemeinsamen Auftritt profitieren werden. „Wir haben in puncto Vermarktung wichtige Schritte unternommen, zum Beispiel mit der gemeinsamen Ausrichtung des Deutschland-Cups. Wir freuen uns sehr darauf, mit den Männern zusammen für Furore zu sorgen“, sagt die Kapitänin, die bereits am Wochenende wieder aufs Eis muss, wenn der letzte Hauptrundenspieltag in der DFEL ansteht. „Wir wissen natürlich, dass nun viel Arbeit vor uns steht. Aber genau darum haben wir ja gekämpft: Dass wir diese Arbeit leisten und uns bei Olympia mit den Besten der Welt messen dürfen.“ 

      2002 in Salt Lake City waren die deutschen Eishockeyfrauen bei ihrer Premiere Sechste geworden, 2006 in Turin gelang mit Rang fünf die bislang beste Platzierung, 2014 reichte es nur zum siebten Platz. Die wichtigste Stellschraube, an der nun vor Mailand gedreht werden muss, hat Christian Künast bereits ins Visier genommen. „Es darf nicht passieren, dass wir jetzt zufrieden sind. Wir werden uns selbstbewusste Ziele stecken. Den Satz ‚Dabeisein ist alles‘ sollte niemand in den Mund nehmen“, sagt er. Daria Gleißner hat das verstanden. Schon bei der WM im April in Budweis (Tschechien) wolle das Team seinen sechsten Platz von der WM 2024 in den USA mindestens bestätigen. „Aber in den kommenden Tagen wollen wir alle ein bisschen regenerieren und genießen. Das haben wir uns verdient.“ Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen. 

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