DFB.de: Alexander, wie gehen Sie als blinder Mensch mit Corona um?
Alexander Fangmann: Grundsätzlich bin ich trotz allem relativ positiv gestimmt und entspannt. Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, dass wir diese Pandemie natürlich ernstnehmen. Aber wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Abstand halten ist das Gebot der Stunde. Auch für mich als blinder Mensch ist es kein Problem, mich an die Regeln zu halten. Und wenn es wirklich mal vorkommt, dass ich einer anderen Person unbewusst zu nahe komme, dann wird mir immer Verständnis entgegengebracht, und die andere Person achtet auf den nötigen Abstand.
DFB.de: Treffen Sie persönlich bestimmte Vorkehrungen?
Fangmann: Soweit es möglich ist, bleibe ich auch zu Hause. Ich arbeite derzeit wie ganz viele andere auch im Homeoffice. Das hat zur Folge, dass ich seit über vier Wochen nicht mehr die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt habe, was in der aktuellen Situation sicher nicht schlecht ist. Grundsätzlich ist es ja schon so, dass man als blinder Mensch häufiger die Hände an irgendwelchen Gegenständen hat als eine sehende Person. Ich brauche das manchmal, um mich zurechtzufinden.
DFB.de: Können Sie mal ein Beispiel nennen?
Fangmann: Wenn ich in den Bus komme und ins Leere hinein frage, ob ich mich hier hinsetzen kann. Wenn ich dann keine Antwort bekomme, gehe ich davon aus, dass der Platz frei ist und setze mich. Es kann dann natürlich trotzdem vorkommen, dass der Nachbarplatz belegt ist und wir dann doch zu nah beieinander sind. Vielleicht hat mein Sitznachbar meine Frage nicht gehört, weil er zum Beispiel Kopfhörer trägt und Musik hört oder am Telefonieren ist. Aber solche Situation kommen sehr selten vor und derzeit überhaupt nicht, weil mich meine Frau im Moment gut mit dem Auto bringen kann, wenn ich wirklich mal irgendwo hin muss.
DFB.de: Gehen Sie einkaufen?
Fangmann: Ja, aber im Moment nicht alleine, sondern auch mit meiner Frau zusammen. Ich habe Kollegen, die mit ihrer Einkaufshilfe in den Supermarkt gehen. Das ist eigentlich kein Problem. Ich habe derzeit das Gefühl, dass die Menschen seit Corona rücksichtsvoller miteinander umgehen.
DFB.de: Wie nehmen Sie im Umfeld die Corona-Pandemie wahr?
Fangmann: Minütlich prasseln ja neue Informationen auf uns ein. Ich versuche, das einigermaßen zu filtern und informiere mich zwei- oder dreimal am Tag. Auch hier beschränke ich mich auf das Notwendige, sonst wird man ja verrückt. Man muss auch im Umgang mit diesen News gesund bleiben. Meine Frau und meine Schwiegereltern führen ein italienisches Restaurant. Das ist gerade eine komplizierte Situation, weil da ja nichts geht im Moment. Themen wie Kurzarbeit und die Sorgen der Angestellten beschäftigen uns in diesem Bereich sehr. Hinzu kommt, dass meine Frau und meine Schwiegereltern Verwandtschaft in Italien haben. Jeder hat natürlich mitbekommen, wie dramatisch dort die Lage teilweise ist. Das bereitet uns Sorge.
DFB.de: Es geht um die Gastronomie auf der Anlage des MTV Stuttgart?
Fangmann: Dadurch, dass der Sportbetrieb dort derzeit komplett auf Eis liegt, ist das echt nicht einfach. Selbst wenn Gastronomiebetriebe unter Umständen bald wieder aufmachen dürfen, bleibt die Frage, wie es mit den Sportvereinen weitergeht. Wir haben dort jetzt auch den Abholungs- und Zustellungsbetrieb von Speisen eingestellt, weil sich das einfach nicht rechnet.
DFB.de: Also keinerlei Einnahmen, aber weiterhin Kosten?
Fangmann: Viele sind in dieser Zeit sehr kreativ, wir auch. Wir haben ziemlich den Betrieb umgestellt und produzieren Gesichtsmasken.
DFB.de: Wie das?
Fangmann: Mein Schwiegervater hat vor vielen Jahren eine Schneiderei in Italien betrieben. Und dann hat er kurzentschlossen die Nähmaschine ausgepackt und Gesichtsmasken entworfen. Ich glaube, dass wir inzwischen mehr als 1000 Exemplare produziert haben. Wir verschenken diese, um anderen Menschen zu helfen. So versuchen wir, das Bestmögliche aus der Situation zu machen. Aber wir hoffen natürlich alle, dass zeitnah wieder etwas Normalität zurückkehrt.
DFB.de: Besteht diese Hoffnung auch für den Blindenfußball?
Fangmann: Ich denke, dass wir da noch Geduld brauchen. Der Start der Blindenfußball-Bundesliga wurde kurzfristig auf Anfang September verschoben. Eigentlich wollten wir mit dem ersten Stadt-Spieltag am kommenden Samstag beginnen. Aber es war schon sehr früh abzusehen, dass das ausgeschlossen ist. Wir wollten agieren und nicht nur reagieren - soweit es möglich ist. Ich hoffe, dass wir am 12. September spielen können. In einem sehr kurzen Zeitfenster bis zum 24. Oktober wollen wir die Saison dann über die Bühne bringen. Ich bin selbst gespannt, ob das realistisch ist und klappen kann. Noch ist es für mich nicht vorstellbar, aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.
DFB.de: Wie sehr fehlt Ihnen der Fußball?
Fangmann: Sehr! Ich habe unter meinen Schreibtisch einen Ball gelegt, um ihn wenigstens während der Arbeit etwas am Fuß haben zu können. Fußball ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Mit meiner Mannschaft wäre ich gerade in der finalen Phase der Saisonvorbereitung. In wenigen Tagen hätte es losgehen sollen. Wir hatten vor Corona im Training schon die Grundlagen gelegt. Normalerweise haben wir drei Einheiten in der Woche auf dem Platz, mehr ist für uns zeitlich nicht möglich. All das ist logischerweise von heute auf morgen weggebrochen und fehlt uns jetzt allen. Damit mussten wir erst mal umgehen.
DFB.de: Was machen Sie stattdessen?
Fangmann: Zu den Zeiten, in denen wir Training hätten, treffen wir uns zum Videochat, um wenigstens in Kontakt zu bleiben. Derzeit wird dabei vor allem gequatscht, was ja auch wichtig ist. Aber mittelfristig wollen wir auf diesem Kanal gerne eine Art Workout durchführen. Bei uns blinden Fußballern ist das etwas komplizierter. Es ist nicht möglich, dass einer etwas vormacht und alle anderen machen es nach. Bei uns muss entweder viel erklärt werden oder wir machen Übungen, die wir bereits kennen. Zusätzlich haben wir vom Athletiktrainer der Blindenfußball-Nationalmannschaft Pläne bekommen, wie wir uns fit halten können. Das ist sehr hilfreich in dieser Zeit. Wir können uns nicht jedes YouTube-Video anschauen und die Übungen einfach nachmachen. Das geht halt nicht. Und die Erklärungen dort sind meist so schlecht, dass diese einem blinden Menschen nicht bei der Ausführung helfen. Wir brauchen konkrete Anleitungen, sonst bringt es uns nichts.
DFB.de: Seit gut einem halben Jahr gehören Sie zum Kuratorium der DFB-Stiftung Sepp Herberger. Was bedeutet Ihnen das?
Fangmann: Sehr viel, weil ich Themen wie Resozialisierung und Behindertenfußball als extrem wichtig empfinde. Ich war bis jetzt bei zwei Treffen dabei und habe plötzlich an einem Tisch mit Persönlichkeiten wie Uwe Seeler, Otto Rehhagel und Jens Nowotny gesessen. Da musste ich schon kurz schmunzeln und habe ich mich gefragt, ob ich gerade träume oder ob das Realität ist. Es ist sehr spannend, wie sich diese Menschen in Bereichen engagieren, von denen man zunächst gar nicht so viel mitbekommt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Themen der DFB-Stiftung Sepp Herberger nicht nur zu großen Events den Weg in die Öffentlichkeit finden sollten, sondern viel regelmäßiger. Oft engagieren sich ja auch kleinere Vereine, deren Verantwortliche den Umgang mit der Öffentlichkeit nicht so gewohnt sind.
(Quelle: Sven Winterschladen im Auftrag der Sepp-Herberger-Stiftung)