Interview mit Clemens Basdorf und Dr. Christa Thiel

Die Geschäftsstelle des DOSB in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Foto: DOSB
Die Geschäftsstelle des DOSB in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Foto: DOSB

Frau Thiel, Herr Basdorf, wie erleichtert sind sie, dass der Bericht, der die Ereignisse im DOSB im vergangenen Jahr beleuchten sollte, nun vorliegt und veröffentlicht ist?

CB: Natürlich ist man froh, wenn ein derart arbeitsintensives Projekt dann zu einem Abschluss gebracht werden konnte, in einer wunderbaren Teamarbeit.

CT: Das kann ich nur bestätigen. Wir beide haben uns zu Beginn die Dimension an zeitlichem Aufwand und an Rechercheleistung in der Intensität nicht vorstellen können. 

Mit welchen Reaktionen rechnen Sie? Können Sie nachvollziehen, wenn der ein oder andere enttäuscht reagiert? Die Erwartungen waren sehr hoch…

CT: Es gibt ganz widerstreitende Interessen. Wir haben Beteiligte des ehemaligen Präsidiums, die für sich ein bestimmtes Ergebnis erwarten und den Bericht aus ihrem eigenen Duktus lesen werden. Dann gibt es den Vorstand, der involviert war und Ergebnisse erwartet. Die Mitarbeitenden sicherlich auch. Und es gibt die Mitgliedsorganisationen und auch die ganz persönlich Betroffenen, gegen die Verfahren geführt wurden.

CB: Es ist mit Sicherheit zu erwarten, dass bei vielen Enttäuschung in der einen oder anderen Richtung da sein wird, wahrscheinlich wird helle Freude nur bei wenigen aufkommen. Das ist dem Thema unserer Untersuchung geschuldet.

Wie kompliziert war es, die Informationen zusammenzutragen?

CB: Ausgangspunkt war die Chronologie, die von Herrn Hörmann und Frau Rücker vorlag. Wir haben dann ziemlich schnell zahlreiche Aktenbestandteile zu dieser Chronologie erhalten. Auch haben uns die Interviewten gelegentlich weiteres Material gegeben, manche mehr, manche weniger. Am Ende haben sich mehrere Aktenordner gefüllt. Mühselig und zeitaufwendig war es, Material zu bekommen, das Grundlage für den Beschluss der Ethikkommission gewesen ist. Letztlich haben wir nach langem Warten dieses Material nicht bekommen. Es sind datenschutzrechtliche Belange genannt worden, die uns nicht so recht einsichtig waren, insbesondere da es um ein anonymes Vorbringen ging und die Aufgabe der Ethikkommission unserer sehr ähnlich gewesen war.

CT: Wir haben zudem von uns aus noch Recherche betrieben. Beispielsweise haben wir uns alle Präsidiumsprotokolle des Untersuchungszeitraums angeschaut. Das war so zunächst nicht geplant, aus den Gesprächen hat sich aber ergeben, dass es Sinn machen würde. Wir wollten alles, was uns irgendwie zur Verfügung steht und für die Sache nützlich und hilfreich ist, sichten.

Das Zahlenmaterial bezüglich der Rechtsverfahren musste aufwendiger recherchiert werden, weil es keine Verfahrensakten gab. Das war sehr langwierig und kompliziert.

Was sind für Sie die zentralen Erkenntnisse kurz zusammengefasst?

CB: Ich möchte zwei Dinge vorausschicken: der ganze Ausgangspunkt für die Untersuchung war ein sehr dubioses Unterfangen, nämlich der anonyme Brief. Die Veröffentlichung über die Presse hat sicherlich hohe Bestürzung und Panik bei den Führungsgremien ausgelöst. Daher muss man erstmal eine gewisse Nachsicht walten lassen. Das Zweite ist, dass im Großen und Ganzen die Krise eigentlich nicht schlecht überwunden worden ist. Die Ethikkommission ist schnell eingeschaltet worden, hat die erforderlichen Feststellungen getroffen. Mit den Neuwahlen Ende des Jahres 2021 ist ein völliger Neubeginn initiiert worden: eine Mehrzahl von Präsidiumsmitgliedern hat sich nicht mehr zur Wahl gestellt, die Vorstandsvorsitzende ist ausgeschieden und die restlichen Präsidiumsmitglieder sind nicht mehr wiedergewählt worden.

Was nicht so gut gelungen ist, war die Detailbewältigung. Die Hektik und Bestürzung der Betroffenen hat zu sehr übereilten und unbesonnenen Reaktionen geführt. Es ist bedauerlicherweise viel zu wenig Anlass zur Selbstkritik gefunden worden. Und man hat zu wenig den Mitarbeitenden vermitteln können, dass man sich um ihre Angelegenheiten und Sorgen primär kümmern wolle.

Zudem haben sich insbesondere der Präsident und ihm folgend die Vorstandsvorsitzende sowie mehrere Präsidiumsmitglieder allzu sehr darauf fokussiert, dass dieser anonyme Brief eine Intrige von außen war. Dieses sichere Wissen verband man dann mit dem unbedingten Wollen, den Urheber zur Verantwortung zu ziehen. Dabei hat man leider im Laufe der Zeit nie hinterfragt, ob das wirklich so schrecklich war, was da in dem anonymen Brief behauptet wurde, ob das wirklich strafbar war. Das ist höchst zweifelhaft, wahrscheinlich klar zu verneinen. Man hat sich in einen Kampf festgebissen, wie ihn der Präsident ohnehin in der letzten Zeit gerade auch gegenüber Journalisten immer wieder geführt hatte. Das war eine falsche Konzentration der Kräfte. Und zur Hilfe hat man sich Beratungen allzu großer Art bedient.

Welche Vorgänge fanden Sie besonders bemerkenswert?

CB: Mehr als 700.000 Euro sind insgesamt für Beratungen aufgewendet worden. Und es wurden sehr viele Anwälte zu sehr stattlichen Gebühren beschäftigt. Bei jeder einzelnen Beratung kann man sagen, völlig unsinnig war es nicht.

Aber ein bisschen mehr Sparsamkeit, ein bisschen mehr Überlegung wäre gerade in der Situation eines Betriebes, der seinen Mitarbeitenden Kurzarbeit zumuten musste, dann doch besser gewesen.

Ein anderer Punkt, der besonders auffällt, ist das Sprachgutachten. Dieses stand auch in dem Zusammenhang mit diesem Fokussieren auf den unbedingten Wunsch, den Autor des anonymen Briefes zu ermitteln. Das war nicht glücklich, das war sehr teuer.

Mehr als 700.000 Euro für vielfältige Beratungsleistungen, manch einer könnte da an Veruntreuung denken. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

CB: Wir sind nicht im Bereich der Veruntreuung, weil ein Schädigungsvorsatz zum Nachteil des Verbandes nicht vorliegt. Freilich hat man in verblüffendem Maße viel Geld ausgegeben. Aber zu einer Untreue im strafrechtlichen Sinne gehört die Zufügung eines Vermögensnachteils, und das muss vorsätzlich passieren, das war mit Sicherheit nicht so.

Man wird bei allen Ausgaben sagen können, dass die dabei sehr eng denkenden Betroffenen schon zum Nutzen des DOSB handeln wollten. So haben sie es sich jedenfalls vorgestellt.

CT: Bei dem einen oder anderen war durchaus eine persönliche Betroffenheit da. Man kann sicherlich sagen, dass es immer auch das Interesse war, den Verband zu verteidigen und aus dieser Krise herauszuführen.

Heißt das, die Kosten waren gerechtfertigt? Hätte man nicht beispielsweise die hauseigenen Justiziare zu Rate ziehen können?

CT: Das eine ist, ob der objektive und subjektive Tatbestand der Untreue erfüllt ist. Das andere ist die Frage, ob ich in dem Drängen und dem Willen, das absolut Beste für den Verband zu tun, schaue, wer auf dem Markt ist, der aus dieser Krise helfen kann. Dann kann man zu dem Schluss kommen, dass man eben die Top-Beratungsfirmen nehmen muss. Man muss sich aber natürlich überlegen, welche Kosten auf den Verband zukommen. Dass das schon sehr, sehr viel Geld gewesen ist, ist unstreitig. Man muss das auch in Relation sehen: der DOSB ist ja kein DAX-Unternehmen, das hier angegriffen wurde, sondern eine gemeinnützige Organisation.

CB: Trotz der Gemeinnützigkeit hat man ganz sicher gemeint, weil man gehoben in der Hierarchie des Sports angesiedelt ist, sich da kostenträchtig bedienen zu können und zu sollen, um Optimales zu erreichen. Ich selbst war als Außenstehender durchaus erstaunt, wie wenig mit eigenem juristischen Personal an Problemlösungen gearbeitet wurde. Die Kombination von besonderer Kampfbereitschaft und Inanspruchnahme von Topanwälten führte dann zu hohen Kosten, die in Zukunft nicht mehr verursacht werden sollten.

Es gab mehrfach den Vorwurf, dass es dem Präsidenten primär um seine Person ging und nicht um den Verband.

CB: Das wird man subjektiv dem Präsidenten kaum vorwerfen können, denn er war sicher der Überzeugung, dass er der höchste Repräsentant des Verbandes ist und ein Angriff gegen ihn ein Angriff gegen den Verband ist. Das war seine subjektive Sicht.

Vor allem die Beauftragung eines Sprachgutachtens und die damit in Verbindung stehende Androhung von rechtlichen Schritten hat hohe Wellen geschlagen. War für Sie die Heranziehung eines Sprachgutachtens zielführend, um die Urheberschaft des anonymen Briefs zu ermitteln?

CB: Ich habe da meine erheblichen Zweifel. Es ist völlig sicher, dass die führenden Streitenden das für sehr nützlich hielten. Man kann nicht verkennen, dass der herangezogene Gutachter ein hohes Renommee hat und man kann nicht verkennen, dass die leider auch noch herangezogene Strafrechtskanzlei – der Ursprung war aus objektiver Sicht ein ganz überflüssiger – aus ihrer Sachkunde heraus diesen Gutachter ganz besonders empfohlen hatte.  

Ich wage nicht, das Renommee dieses Sprachgutachters zu bestreiten oder seine Sachkunde hier anzugreifen. Mir scheint es bloß angesichts des uns gezeigten Materials gänzlich unwahrscheinlich, dass man damit zu mehr als zu vielleicht hohen Wahrscheinlichkeiten kommen kann. Selbst die sind mir zweifelhaft.

Dazu der Hinweis: selbst wenn man mit einem Sprachgutachten den Urheber ermittelt, was ist denn damit gewonnen? Das hat eben auch leider kein Mensch hinterfragt. Man ist ständig von der Prämisse ausgegangen, die Herausgabe dieses anonymen Briefes an die Öffentlichkeit sei eine Beleidigung und üble Nachrede, gar eine Verleumdung. Das ist nach allem Tatsachenhintergrund sicher nicht der Fall gewesen. Das sehen die Beteiligten natürlich anders. Aber wenn sie auch da selbstkritischer nachgedacht hätten, wären sie in Zweifel gekommen.

CT: Es ist ja sicherlich einem intelligenten Menschen zuzutrauen, dass er einen Sprachduktus in ein Schreiben übernimmt, den er selbst gar nicht pflegt.

Irgendwann ist dann der Entschluss gefasst worden, nicht mehr weiter vorzugehen…

CT: Zunächst wurde noch ein weiterer Gutachter herangezogen. Und es ist, nachdem das Erstergebnis vorlag, noch weiter ermittelt worden durch den Erstgutachter. 

CB: Es gab dann einen Vorstandsbeschluss, nicht mehr gegen Frau Dr. Fehres vorzugehen, gegen den dann Frau Rücker wirklich krass zuwidergehandelt hat, indem sie sich von dem Rechtsanwalt überzeugen ließ, man könne nur in schärfster Form gegen Frau Dr. Fehres vorgehen. Erst als dann die Ethikkommission gesagt hatte, es ist nicht zielführend, mit Anwälten gegen Frau Dr. Fehres vorzugehen, hat man sich auf der Basis des Vorstandes entschlossen, nichts mehr zu machen, und hat Herrn Hörmann einbezogen.

Das ist dann leider nur sehr zögerlich an den Anwalt weitergegeben worden und von diesem Anwalt dann umso zögerlicher an die Adresse von Frau Dr. Fehres weitergelangt. So dass diese sich dann zwischenzeitlich zur Veröffentlichung des Skandals entschlossen hatte. Das warf man ihr dann vor, obwohl der eigene Anwalt an dieser Verzögerung ganz maßgeblich beteiligt war.

Wird man die Urheberschaft je ermitteln können?

CT: Nein, sicher nicht.

CB: Nein, wenn sich nicht einer dazu bekennt. Ich glaube nicht, dass man mit einem Sprachgutachten hier sichere Beweise finden kann.

Aus Ihrem Bericht ist zu lesen, dass das „Tandem Hörmann/Rücker“ maßgeblich die Vorgänge nach dem 6. Mai vorangetrieben hat. Welche Verantwortung sehen Sie bei den anderen Mitgliedern aus Präsidium und Vorstand im vergangenen Jahr? Beispielsweise bei der Beauftragung von Anwälten und anderen Beratungsleistungen? 

CT: Das ist auch eine schwierige Geschichte, weil so gut wie nichts dazu protokolliert ist. Es steht teilweise auch ausdrücklich in manchen Protokollen, dass zu aktuellen Themen gerade nicht protokolliert wird. Die beteiligten Präsidiums- und Vorstandsmitglieder erinnern sich da durchaus unterschiedlich. Herr Hörmann und Frau Rücker sagen, es ist informiert worden und andere sagen nein, oder nur zum Teil. Es ist sehr schwierig, da etwas zu verifizieren, weil wir eben keine Dokumentation haben und weil sich die Beteiligten unterschiedlich erinnern.  

CB: Zu den Anwaltsbeauftragungen: natürlich war vielfach zeichnend ein Vorstand daran beteiligt. Aber der war in der Situation, dass ihm im Vorstand von der Vorstandsvorsitzenden und vom Präsidenten – durchaus begleitet von mehreren anderen Präsidiumsmitgliedern – die Meinung suggeriert wurde, diese Anwaltsberatungen würden dringend gebraucht, um Schaden vom DOSB abzuwenden und sich gegen Angriffe wehren zu können.  

Am Ende des Berichts geben Sie – sehr allgemein gehaltene – Empfehlungen. Welche Maßnahme sollten die Verantwortlichen im DOSB aus Ihrer Sicht ganz konkret als Erstes angehen? 

CT: Es wurde ja schon damit begonnen. Zumindest ist der Eindruck nach außen, dass jetzt gemäß Satzung die entsprechenden Aufgaben in Präsidium und Vorstand wahrgenommen werden.  

CB: Sicher ist auch das, was wir zur Kommunikationsabteilung gesagt haben, gut umsetzbar, dass ein Umdenken im Verhältnis zu kritischen Journalisten gepflegt werden sollte. Und man sollte jetzt dazu übergehen, in der Vergangenheitsbewältigung keinen Schwerpunkt der Arbeit mehr zu sehen.

(Quelle: DOSB)


  • Die Geschäftsstelle des DOSB in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Foto: DOSB
    Außenfassade des DOSB mit Logo und Fahnen Foto: DOSB