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„Aus meiner Sicht braucht es keine Wunder mehr“

100 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Italien (6. bis 22. Februar 2026) spricht Olaf Tabor (54), Vorstand Leistungssport im DOSB, als Chef de Mission über hohe Preise, herausfordernde Logistik, politische Unterstützung und seine Wünsche für das Team D.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

28.10.2025

Baustelle Eiskanal
Der Eiskanal in Cortina d'Ampezzo war vor einem Jahr noch eine Baustelle. Heute genügt er olympischen Ansprüchen.

DOSB: Olaf, als wir ein Jahr vor den Spielen Anfang Februar zuletzt über deine Einschätzungen als Chef de Mission sprachen, gab es im Hinblick auf die Spiele in Italien viele offene Baustellen. Was hat sich jetzt, 100 Tage vor dem Start, signifikant verändert?

Olaf Tabor: In zwei Bereichen sind wir entscheidend weitergekommen. Zum einen können wir mittlerweile die Größe unseres Teams gut taxieren. Auch wenn die Qualifikationen jetzt erst richtig anlaufen und die namentliche Nominierung deshalb natürlich nicht abgeschlossen ist, werden wir rund 185 Athlet*innen für die Wettkämpfe nominieren. Das gibt uns Planungssicherheit für die Verteilung der Mannschaftsteile und alle weiteren nötigen organisatorischen Themen. Zum anderen können wir konstatieren, dass die italienischen Organisatoren ein kleines Wunder vollbracht haben, mit dem außer ihnen kaum jemand in der Form gerechnet hat: Die Tatsache, dass der Eiskanal in Cortina nicht nur steht, sondern all jenen, die ihn zu Testzwecken schon ausprobieren durften, ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat, ist großartig. Es ist eine schöne, fahrerisch durchaus anspruchsvolle Strecke geworden, deshalb blicken wir alle erleichtert und zuversichtlich auf die weiteren Tests, die dort noch anberaumt sind.

Wie viele dieser kleinen Wunder werden noch notwendig sein, um alle Baustellen bis zum Start der Wettkämpfe zu schließen?

Aus meiner Sicht braucht es keine Wunder mehr, nur ein konsequentes Abarbeiten der Aufgaben. Berichte über einen nicht optimalen Baufortschritt gibt es doch vor fast allen Olympischen Spielen, aber im Rahmen dessen, was ich von außen beurteilen kann, haben wir keinen Anlass zu besonderer Besorgnis.

Das sehen in Italien einige anders, Berichte über Klagen von Anwohnern in Cortina wegen durch die Baustellen ausgelösten Erdrutschen haben zuletzt aufgeschreckt.

Natürlich muss man diese Themen ernst nehmen. Ohne die mir fehlenden fachlichen Kenntnisse kann ich den genauen Umfang der Probleme allerdings nicht einschätzen. Aber was ich sagen kann: Die Fachleute an den Baustellen kennen diese Probleme. Zudem sind alle Wettkampforte erfahrene Ausrichter. Sie werden Lösungen finden, um die Wettbewerbe sicher durchzuführen.

Wie schätzt du die Gefahr ein, dass es, wie zuletzt bei der Vuelta in Spanien, zu so starken politischen Protesten kommen wird, dass die Spiele davon massiv beeinträchtigt werden könnten?

Ich möchte meiner großen Hoffnung Ausdruck verleihen, dass angesichts des Waffenstillstands in Gaza die Chance groß ist, dass der Konflikt eingedämmt werden kann. Das wäre für uns alle, in erster Linie aber natürlich für die direkt Betroffenen wünschenswert. Leider ist die Situation in der Ukraine unverändert. Unabhängig von den jüngsten Entwicklungen muss man aber bei Sportgroßveranstaltungen grundsätzlich einkalkulieren, dass solche Proteste zumindest möglich sind und die Spiele für politische Zwecke missbraucht werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das in den Bergdörfern passiert, wo Proteste schwieriger zu organisieren wären, ist in jedem Fall geringer als in einer Großstadt wie Mailand. Die Organisatoren sind sich dieser Herausforderung aber bewusst.

Die wichtigsten Problemfelder aus Sicht des deutschen Teams und der Fans sind die Transport- und die Unterbringungssituation. Schauen wir zunächst auf die Verkehrslogistik. Wie wird der Transport zu und von den Wettkampfstätten, aber auch zwischen den Standorten geregelt?

Am jeweiligen Standort wird der Transport der Athlet*innen durch spezielle Shuttles zum Training und zu den Wettkämpfen gewährleistet. Das ist eine bewährte Praxis und wird gut funktionieren. Schwieriger ist es mit dem Transfer zwischen den Standorten. Auch dort soll es Busse geben, aber die Entfernungen sind sehr groß. Die Organisatoren setzen deshalb bei den ganz langen Wegen auf den Schienenverkehr insbesondere von und nach Mailand. Wenn es Probleme geben sollte, werden wir spontan reagieren und mit unseren eigenen Fahrzeugen einspringen müssen - so gut das eben geht. Wir haben da ein gutes Puzzle gelegt, um die Teilmannschaften bestmöglich zu unterstützen. Schwieriger wird es für die Fans. Insbesondere in den Bergdörfern wird die Verkehrslage angespannt sein, die Anreise mit dem Privatwagen dürfte mit Hindernissen verbunden sein. Und wenn wir eine extreme Wetterlage bekommen, wird es für alle sehr schwierig werden. Dann wird die Herausforderung noch deutlich größer, als sie es schon ist.

Wie sieht es mit den Hotelkapazitäten aus? Ist die deutsche Delegation versorgt?

Da haben wir zum Glück mittlerweile Klarheit. Die benötigten Unterkünfte stehen in allen sechs Clustern in ausreichender Zahl zur Verfügung.

Die Preise für Unterkünfte sind, insbesondere in den Bergen, extrem, außerdem sind die Zimmerkontingente sehr knapp. Gibt es für Fans Anlass zur Hoffnung, dass sich daran in den Wochen vor den Spielen etwas ändert, so wie es in Paris der Fall war?

In den Schnee-Clustern ist die Angebotslage derart begrenzt, dass ich mir einen Preisverfall vor den Spielen nicht vorstellen kann. In Mailand könnte das etwas anders aussehen, da kann durchaus ein Nivellierungseffekt eintreten, wenn die Anbieter merken, dass sie ihre Kontingente zum geforderten Preis nicht loswerden.

Die Kosten sind immer ein wichtiges Thema. Ist die Finanzierung der Entsendung unseres Teams gesichert?

Ja. Wir hatten frühzeitig mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskanzleramt abgestimmt, dass im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung die Finanzierung der für die Spiele notwendigen Maßnahmen nicht beeinträchtigt würde und in sehr umfangreicher Weise sichergestellt wäre. Nun, da es einen verabschiedeten Haushalt gibt, ist alles auf dem Weg.

  • Olaf Tabor

    Ich freue mich vor allem darauf, dass ich wegen der geringeren Teamgröße hoffentlich mehr Gelegenheiten haben werde, alle Athletinnen und Athleten vor Ort zu besuchen. Und ich freue mich darüber, dass es wieder Spiele bei unseren Nachbarn sind, die in unserer Zeitzone und ohne eine weite Anreise stattfinden.

    Olaf Tabor
    Vorstand Leistungssport und Chef de Mission
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Ist schon klar, mit welcher politischen Begleitung das deutsche Team rechnen kann?

    Wir erwarten angesichts der räumlichen Nähe zu Deutschland ein ähnlich hohes Interesse wie bei den Spielen in Paris, eine breit aufgestellte politische Delegation. Namen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine nennen. Aktuell sind wir in der Vorplanung, um zu schauen, wie wir den unterschiedlichen Ansprüchen bestmöglich gerecht werden können. Insbesondere die Sicherstellung des Transports ist herausfordernd, aber organisatorisch im grünen Bereich, so dass ich sicher bin, dass wir all unseren Gästen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein attraktives Erlebnis werden bieten können.

    Das Erlebnis einer gemeinsamen Eröffnungsfeier wird es nicht geben, zwei zentrale Veranstaltungen sind in Mailand und Cortina geplant, aber auch an den anderen Standorten soll es ein Gemeinschaftserlebnis geben. Was ist genau vorgesehen?

    Erst einmal finde ich es positiv für die Athletinnen und Athleten, dass der weiträumigen Verteilung der Wettkampforte mit individuellen Events Rechnung getragen wird. So  können alle in den Genuss einer Eröffnungsfeier kommen, ohne dabei zeitaufwändigen Reisestress in Kauf zu nehmen. Es ist ein annehmbarer Kompromiss und wird medial sicherlich gut in Szene gesetzt werden. Neu ist, dass es in Mailand und in Cortina je ein Fahnenträgerduo pro Nation geben wird. Weitere Einzelheiten sind noch in der Planung und sollen die Spannung auf die Eröffnungsfeier hoch halten.

    Medaillenfeiern im Deutschen Haus wird es nur für diejenigen geben, die ihre Wettkämpfe in Cortina bestreiten?

    Wir werden im Einzelfall schauen, was realisierbar ist. Aus Antholz und Val di Fiemme scheint eine Anreise am selben Abend zumindest machbar, aus allen anderen Orten ist es eher nicht möglich. Da werden wir uns zunächst mit Videozuschaltungen begnügen müssen. Wir bemühen uns aber, die Medaillengewinner zumindest nach Abschluss ihrer Wettkämpfe ins Deutsche Haus zu bringen und dort gebührend zu feiern.

    Zum Deutschen Haus, das in einem Golfclub in Cortina untergebracht sein wird, ist schon vieles bekannt. In welcher Form können Fans daran teilhaben?

    Wir werden wieder eine Fanzone einrichten, die zwar nicht die Größe von der in Paris erreicht, aber im Gesamtrahmen hoffentlich den Erwartungen entspricht und ein großartiges Erlebnis bietet. Es ist sichergestellt, dass auf Großbildleinwänden die Wettkämpfe verfolgt werden können. Insgesamt sind die Bedingungen im Golfclub erstklassig, wir haben ein intensiv bespielbares Haus, das das besondere Flair des „Home of Team D“ ausstrahlen wird.

    Nicht nur für dich sind es die ersten Winterspiele in deiner Funktion als Chef de Mission. Die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry erlebt die ersten Olympischen Spiele unter ihrer Ägide. Was hat sich seit ihrer Amtsübernahme verändert?

    Da muss man ehrlich sagen, dass so kurz vor dem Start der Spiele die organisatorischen Planungen schon so weit gediehen waren, dass große Anpassungen selbst dann nicht möglich gewesen wären, wenn Kirsty Coventry diese in Erwägung gezogen hätte. Probleme in der Organisation sind zudem grundsätzlich nicht durch die Präsidentin zu lösen. Der Zug rollt sehr professionell. Nichtsdestotrotz werden es für sie mit Sicherheit sehr besondere Spiele. Es ist ihr erster Auftritt auf der ganz großen olympischen Bühne, alle Augen werden auf sie gerichtet sein. Ich bin sehr gespannt, wie sie mit dieser Rolle umgehen wird, erwarte aber keine Überraschungen.

    Welche Lehren aus den Spielen von Paris nimmst du mit nach Italien?

    Auch wenn Sommer- und Winterspiele wegen ihrer unterschiedlichen Teilnehmerzahl, Sportartenauswahl und Organisation sehr verschieden sind, gilt für mich als Chef de Mission, dass man bestens vorbereitet sein kann, aber trotzdem unvorhersehbare Dinge passieren. In solchen Situationen schnell, flexibel und kreativ zu reagieren, wird trotz akribischer Vorbereitung notwendig sein. Herausforderungen erwarte ich zum Beispiel durch winterliche Beeinträchtigungen, Verschiebungen im Wettkampfplan, Transportschwierigkeiten oder - was wir möglichst nicht erleben wollen - bei Verletzungen. Grundsätzlich habe ich die Winterspiele, bei denen ich in anderen Funktionen vor Ort war, als noch stimmungsvoller in Erinnerung als Sommerspiele - mit der deutlichen Ausnahme Paris. Das zu toppen, wird kaum möglich sein. Dennoch werden sich meine ersten Winterspiele als Chef de Mission sicherlich besonders in meinem Gedächtnis verankern. Ich freue mich vor allem darauf, dass ich wegen der geringeren Teamgröße hoffentlich mehr Gelegenheiten haben werde, alle Athletinnen und Athleten vor Ort zu besuchen. Und ich freue mich darüber, dass es wieder Spiele bei unseren Nachbarn sind, die in unserer Zeitzone und ohne eine weite Anreise stattfinden.

    Eine Frage darf nicht fehlen: Was ist die sportliche Zielsetzung für das Team D? Ist Rang zwei in der Medaillenwertung wie 2022 in Peking realistisch?

    Noch ist es für eine solche Einschätzung zu früh, wir sind mitten in der Qualifikation, das Team ist namentlich noch nicht bekannt. Im Wintersport gibt es ein höheres Verletzungsrisiko, deshalb hoffen wir zunächst, dass alle unsere Athletinnen und Athleten gesund bleiben und in Bestform in die Wettkämpfe starten können. Dazu kommt im Winter eine noch höhere Wetterabhängigkeit als im Sommer, was Prognosen noch einmal erschwert. Aber keine Sorge: Wir werden kurz vor Beginn der Spiele die Zielstellung bekannt geben.

    Was du heute schon bekannt geben kannst: Was wünschst du dir und dem Team?

    Reibungslose, erfolgreiche Spiele. Und dass wir die ersten herausragenden Erfolge möglichst schon sehr früh feiern können. Am besten gleich am ersten Tag, weil das auf das gesamte Team positiv ausstrahlt. Wenn der Knoten einmal geplatzt ist, ist es für alle einfacher.

    Dann wünschen wir dir und dem Team, dass es so kommt, und danken für das Gespräch!

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