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„Basketball ist wieder sexy in Deutschland“

Peter Radegast, Sportdirektor im Deutschen Basketball-Bund, spricht über die anstehende Heim-EM der Frauen, die Folgen der Goldmedaillen bei der Männer-WM und im olympischen Frauen-3x3, und blickt auf die kommenden Jahre voraus.

Team Deutschland

16.06.2025

Zwei Frauen spielen Basketball
WNBA-Spielerin Luisa Geiselsöder (r.), hier im olympischen Viertelfinale in Paris gegen Frankreich, verstärkt die deutschen Basketballerinnen bei der EM.

Die Inselpark-Arena im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ist in dieser Woche Schauplatz einer Vorrundengruppe der Frauen-EM. Die von Lisa Thomaidis trainierten deutschen Basketballerinnen, die 1997 mit Bronze ihr bestes EM-Ergebnis einfuhren, treffen am Donnerstag (20 Uhr) zum Auftakt auf Schweden, tags darauf geht es ebenfalls um 20 Uhr gegen Spanien, zum Abschluss wartet am Sonntag (18 Uhr) Großbritannien. Magenta TV überträgt alle Spiele live. Peter Radegast (54), der zwischen 2010 und 2015 erstmals Sportdirektor des DBB war und dieses Amt seit Mai 2024 erneut bekleidet, hofft darauf, dass der Heimvorteil die Mannschaft zumindest ins Viertelfinale trägt. 

DOSB: Peter, ein Heimturnier ist für Athlet*innen, aber auch für jeden Verband etwas Besonderes. Für den DBB ist die Frauen-EM „nur“ ein Viertel-Heimturnier, ihr richtet eure Vorrundengruppe D in Hamburg aus. Welchen Stellenwert hat das Event dennoch?

Peter Radegast: Einen sehr großen. Wir haben vor drei Jahren die Dekade des Frauen-Basketballs ausgerufen mit dem Ziel, den Sport nachhaltig zu fördern. Auf diesem Weg haben wir uns bewusst um die Ausrichtung der EM-Vorrunde in diesem Jahr und der WM im kommenden Jahr bemüht, weil die Möglichkeiten, die ein Heimturnier bietet, mit nichts zu vergleichen sind. Gerade im Frauensport fehlt oft die öffentliche Wahrnehmung großer Turniere, vor allem dann, wenn sie in anderen Zeitzonen stattfinden. Mit einem Turnier im eigenen Land erhöhen wir die Aufmerksamkeit signifikant, weil es vielen Fans die Chance eröffnet, die Mannschaft live spielen zu sehen. Insofern ist die Bedeutung dieser EM-Vorrunde hoch für uns als Verband.

Tschechien, Griechenland und Italien sind die Mitgastgeber, die Finalrunden finden komplett in Piräus statt. Besteht nicht die Gefahr, dass trotz einer hoffentlich erfolgreichen Vorrunde in Hamburg das Interesse danach stark abnimmt?

Ich hoffe, das Gegenteil ist der Fall. Geteilte Turniere sind bei den Männern schon länger gelebte Praxis. Sie haben den Vorteil, dass die Gruppenspiele in den jeweiligen Gastgeberstädten meist besser besucht sind, als das der Fall wäre, wenn alle Partien an einem Ort stattfänden. Und unsere Hoffnung ist, dass wir mit der Vorrunde die Fans anfüttern und ihnen Appetit machen, danach auch den weiteren Turnierverlauf zu verfolgen. Dass die Inselpark-Arena für die drei Vorrundenspiele gegen Schweden, Spanien und Großbritannien ausverkauft ist, zeigt uns, dass das Interesse groß ist.

Ärgert ihr euch schon, nicht die große Barclays-Arena gebucht zu haben?

Nein, denn wir sind realistisch genug, dass 13.000 Plätze dann doch etwas zu viel gewesen wären. Wir denken schon, dass wir eine Arena mit 6.000 Plätzen gut gefüllt hätten, aber die ist in Hamburg nicht vorhanden. Und wir freuen uns sehr auf die Atmosphäre, die man von den Bundesligaspielen der Männer der Hamburg Towers kennt. Ich bin sicher, dass die Stimmung die Mannschaft beflügeln wird.

Das würde helfen, immerhin hat Bundestrainerin Lisa Thomaidis drei bittere Ausfälle zu verkraften. Die Sabally-Schwestern Satou und Nyara sind wegen ihrer Verpflichtungen in der WNBA ebenso nicht dabei wie Kapitänin Marie Gülich nach ihrem Kreuzbandriss. Was ist dennoch zu erwarten von der Mannschaft?

Wir müssen nicht drumherum reden, dass diese Ausfälle uns sehr weh tun. Die drei Genannten gehören zu dem Kreis, der schon im Nachwuchs eine sehr erfolgreiche Generation geprägt hat und nun das A-Team bildet, sie sind absolute Führungsspielerinnen. Aber wir haben eine Reihe an jungen Spielerinnen, die nachrücken und sich nun etwas früher beweisen können, als es vielleicht geplant war. Ich nenne bewusst keine Namen, um keinen zusätzlichen Druck aufzubauen, aber wir haben einige Talente, von denen wir uns eine Menge erhoffen. Und wenn das Team als ein solches auftritt und zusammenhält, dann kann es sich in einen Flow spielen, der vieles möglich machen kann.

Die ersten beiden Teams aus den vier Vorrundengruppen erreichen das Viertelfinale. Wie ordnen Sie die Chancen ein, das zu schaffen?

Ich halte unsere Gruppe für sehr ausgeglichen, da kann wirklich alles passieren. Spanien dürfte voraussichtlich die Nase ein Stück weit vorn haben, wir werden uns mit Schweden und Großbritannien um Rang zwei duellieren, insofern ist das Auftaktspiel sicherlich schon ein wichtiger Gradmesser. Die Frauen haben sich eine gewisse Stellung erarbeitet, sind in der FIBA-Rangliste auf Rang 13 vorgerückt. Bei der EM 2023, wo wir Sechster waren und uns den Platz im Olympia-Qualifikationsturnier erarbeitet haben, sind sie ebenso über sich hinausgewachsen wie im Qualiturnier und dann bei den Spielen in Paris. Möglicherweise wird uns die Konkurrenz angesichts der prominenten Ausfälle ein wenig unterschätzen, das könnte, ebenso wie der Heimvorteil in der Vorrunde, den Ausschlag für ein weiteres starkes Turnier geben. Das Viertelfinale ist das Ziel, und in einer K.-o.-Runde ist sowieso alles möglich.

Der Hype um den deutschen Basketball ist groß, der WM-Titel der Männer 2023 und das Olympiagold 2024 der Frauen im 3x3 haben für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. Wie nimmst du die aktuelle Stimmung wahr?

Wir surfen weiterhin auf einer Erfolgswelle. Was wir 2023 mit dem WM-Titel der Männer erlebt haben, war ein Gamechanger. Noch krasser war es im vergangenen Jahr. Dass das ZDF im Halbfinale der 3x3-Frauen kurz vor Spielende die Übertragung abbrach, war im Nachhinein ein Segen. Der riesige Shitstorm hat mit dazu geführt, dass das Finale eine kaum für möglich gehaltene Aufmerksamkeit bekam, und das hat das Team herausragend für sich genutzt. Der Hype danach war wirklich unglaublich. Bei aller verdienten Euphorie um die 3x3-Frauen wurde aber bisweilen übersehen, dass auch in der Fünfervariante die Frauen bei den Spielen in Paris durchaus erfolgreich waren. Bei der Olympiapremiere das Viertelfinale zu erreichen, darauf hatten wir zwar gehofft, aber erwartet hatte das niemand. Und wie verrückt ist es bitte, dass der vierte Platz der Männer, die vorher noch nie in einem olympischen Halbfinale standen, als große Enttäuschung wahrgenommen wird? Natürlich wollten die Jungs nach dem WM-Titel unbedingt auch in Paris eine Medaille. Aber der Halbfinaleinzug war eine großartige Leistung, das müssen wir immer wieder einordnen, um nicht die Relationen aus dem Blick zu verlieren.

  • Peter Radegast lächelt

    International wurde der deutsche Basketball in den vergangenen Jahren oft als „schlafender Riese“ betrachtet. Diesen Riesen haben wir nun aufgeweckt, aber der Prozess hat immerhin 15 Jahre in Anspruch genommen.

    Peter Radegast
    Sportdirektor
    Deutscher Basketball-Bund

    Vergessen dürfen wir auch nicht, dass Basketball vor einigen Jahren in der Potenzialanalyse auf dem letzten Rang der Sommersportarten eingestuft wurde. Was hat aus deiner Sicht dazu geführt, dass es so vollkommen anders kam?

    Unser Präsident Ingo Weiss hat nach dem WM-Triumph gesagt, dass wir endlich für all unsere Bemühungen belohnt worden sind und sich der Aufwand gelohnt hat, und genauso fühlte es sich an. Für uns ist diese Entwicklung die logische Konsequenz aus der Arbeit der vergangenen Jahre. Wir haben sie vor 15 Jahren angestoßen mit einer Reihe an Reformen. Wir haben stark in den Nachwuchs investiert, die Bundesligen haben einen tollen Job gemacht, um mehr deutsche Spieler aufs Feld zu bringen. Wir sind im männlichen Bereich amtierender U-18-Europameister und haben im männlichen 3x3 ein Team, dem wir 2028 in Los Angeles und 2032 in Brisbane eine Olympiamedaille zutrauen. Wir haben wirklich in allen Altersstufen wahnsinnig viele Talente, die nachrücken, bei den Männern noch mehr als bei den Frauen, aber auch dort geht die Entwicklung deutlich nach oben. Wir müssen nun daran arbeiten, die Tiefe in den Kadern zu verbreitern. Aber man muss auch zugeben, dass für einen Titelgewinn wirklich alles passen muss. Das war 2023 bei den Männern so, das war im vergangenen Jahr bei den 3x3-Frauen so. Ohne Spielglück geht es nicht.

    Könnt ihr an Zahlen festmachen, was die Erfolge der vergangenen Jahre eurem Sport gebracht haben?

    Auf jeden Fall! Wir merken es einerseits an den Entwicklungen im Sponsoring, wir bekommen viele Anfragen und sind nahezu ausvermarktet. Wir sehen es aber auch an den Mitgliederzahlen. 2024 haben wir mit etwas mehr als 274.000 Mitgliedern einen Rekord verzeichnen können, die Zuwachsrate von 2023 auf 2024, die bei mehr als 13 Prozent lag, ist im deutschen Sport ein Top-drei-Ergebnis. Darüber freuen wir uns sehr. Basketball ist wieder sexy in Deutschland!

    Wächst mit zunehmendem Erfolg das Selbstvertrauen oder der Erwartungsdruck?

    Beides. Natürlich merken wir, dass die Erwartungen gestiegen sind, was man zum Beispiel daran sieht, dass Platz vier der Männer in Paris für viele zunächst wie eine Enttäuschung wirkte. Aber auch das Selbstbewusstsein wächst mit den Erfolgen. Wir spüren, dass unsere Teams sich mehr zutrauen, sie aber auch von der Konkurrenz anders wahrgenommen werden. International wurde der deutsche Basketball in den vergangenen Jahren oft als „schlafender Riese“ betrachtet. Diesen Riesen haben wir nun aufgeweckt, aber der Prozess hat immerhin 15 Jahre in Anspruch genommen.

    Das nächste Highlight wartet bereits mit der Frauen-WM 2026, die komplett in Berlin ausgetragen wird. Welchen Lerneffekt erwartest du dir dafür aus der anstehenden EM, und inwieweit sind die beiden Events vergleichbar?

    Ehrlich gesagt spielt die WM für uns noch keine große Rolle, die EM steht total im Fokus. Aber wir werden sicherlich eine Menge aus den Erfahrungen mitnehmen, die wir in dieser Woche sammeln, auch in der Zusammenarbeit mit der FIBA. Sportlich ist eine WM sogar weniger intensiv als eine EM, weil die Leistungsdichte weltweit nicht so hoch ist wie in Europa. Aber die WNBA legt für die WM, wie auch für Olympia, eine Spielpause ein, so dass alle Topspielerinnen dabei sein können, die gesund sind. Und natürlich ist es noch einmal etwas anderes, ein gesamtes Turnier in einer Stadt auszurichten. Wir freuen uns sehr darauf, aber denken noch nicht viel daran.

    Heimturniere, egal in welcher Sportart, sind für den deutschen Sport auch wichtig, um die Ambitionen zu unterstreichen, wieder Gastgeber der Olympischen und Paralympischen Spiele werden zu wollen. Spielt das für euch eine Rolle?

    Selbstverständlich! Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um unseren Beitrag zu leisten, die Spiele wieder nach Deutschland zu holen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein solches Ereignis das ganze Land voranbringen würde, aber natürlich in erster Linie den Sport, der in der deutschen Gesellschaft leider einen schweren Stand hat. Wir sollen erfolgreich sein, aber die Gelder gehen oft in andere Bereiche. Mit Olympischen und Paralympischen Spielen hätten wir ein Leuchtturmprojekt, das dem gesamten Land auf vielen Ebenen einen Schub verleihen würde. Wir unterstützen das, wo wir können.

    Zunächst stehen aber in drei Jahren die Sommerspiele in Los Angeles an. Im Mutterland des Basketballs Olympiamedaillen zu holen, das dürfte auch ein extremer Ansporn sein.

    Das stimmt zweifellos. Wir werden nichts versprechen, aber alles dafür geben. Ich glaube, wir haben noch einiges im Köcher. Unser Weg ist noch nicht zu Ende, aber wir gehen ihn Schritt für Schritt, und die nächste Etappe ist Hamburg.

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