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Das Feuer brennt, das Glück ist zurück - der Neustart der Sophie Alisch

Die Berlinerin galt lange als größte Hoffnung im deutschen Frauenboxen. Nun hat sie im Profiradsport ihre neue Leidenschaft gefunden und sich ein klares Ziel gesteckt: die Teilnahme an Olympischen Spielen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

03.11.2025

Eine Radsportlerin beim Training
Sophie Alisch beim Training auf Mallorca.

Manchmal gibt es diese Momente innerhalb eines Gesprächs, in denen die Körpersprache perfekt zu dem passt, was ein Mensch sagt. Woran sie spüre, dass ihre Entscheidung die richtige gewesen sein könnte, war die Frage gewesen. Und Sophie Alisch, die schon die Fragen zuvor mit einem mal mehr, mal weniger breiten Grinsen beantwortet hatte, sagt einen Satz, der genauso leuchtet wie ihr Gesicht. „Ich war lange nicht mehr so glücklich, wie ich es aktuell bin!“ Klingt toll. Und deshalb muss die Geschichte der Athletin, die im vergangenen Monat mit der Unterschrift beim CANYON//SRAM zondacrypto Generation-Team, dem Entwicklungskader des renommierten WorldTour-Teams, den Schritt in den Profiradsport perfekt machte, erzählt werden.

Sophie Alisch war einige Jahre lang die größte Hoffnung im deutschen Frauenboxen. Sie war Mitglied der deutschen Nationalmannschaft, gewann Medaillen bei EM- und WM-Turnieren, mit 17 unterschrieb sie ihren ersten Profivertrag beim damals renommiertesten deutschen Boxstall Sauerland. Mit 18 war sie, stets unterstützt von ihrem umtriebigen Vater Michael Alisch, Chefin eines eigenen Kampfsport-Gyms in Berlin-Spandau. Als Sauerland Anfang 2021 vom US-Sportgiganten Wasserman übernommen wurde, war die in zehn Profikämpfen unbesiegte Athletin eins von wenigen Teammitgliedern, auf die die Amerikaner bauten. Im Herbst 2024 verlängerte sie ihren Vertrag zu sehr guten Konditionen. Dass Sophie Alisch das Boxen hinter sich lassen würde, um Radsportlerin zu werden, schien ungefähr so wahrscheinlich, als würde München das Oktoberfest aufgeben, um stattdessen einmal im Jahr einen Fischmarkt zu veranstalten.

Kein Wunder also, dass die Nachricht ihres Wechselvorhabens im Frühjahr in der Boxwelt hohe Wellen schlug. Ein Großteil ihrer Community – bei Instagram folgen ihr fast 600.000 Menschen - reagierte zwar positiv, die Fragezeichen jedoch waren groß. Was zu ihrem Sinneswandel geführt hat, kann die Athletin, die am Samstag ihren 24. Geburtstag feiert, allerdings einleuchtend erklären. „Es war nicht so, dass ich das Boxen nicht mehr mochte. Mir ging es ja gut, ich hatte gerade einen wirklich guten Vertrag unterschrieben. Aber ich habe gespürt, dass es mich gestört hat, ewig auf Kämpfe warten zu müssen“, sagt sie. „Ich bin ein absoluter Wettkampftyp und möchte mich regelmäßig messen, und das war im Profiboxen, wo ein bis zwei Kämpfe pro Jahr die Regel sind, für mich nicht mehr möglich. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten und nicht vorwärts zu kommen. Dadurch hat das Feuer in mir nicht mehr gebrannt, ich habe mich innerlich leer gefühlt und wusste, dass ich etwas verändern muss.“

Auf Mallorca kam sie erstmals mit dem Radsport in Kontakt

Auf Mallorca, wo die Familie seit dreieinhalb Jahren lebt, hatte Sophie Alisch schon während ihrer Boxkarriere den Einstieg ins Radfahren gefunden. Auf der Deutschen liebster Ferieninsel sind die Trainingsbedingungen für den Radsport perfekt, viele Profiteams bestreiten ihre Vorbereitungscamps dort. „Bei meinen Bergläufen habe ich damals oft Profiradsportler beim Trainieren gesehen, und weil ich als Ausgleich zum Boxen gern auf dem Ergometer trainiert hatte, habe ich mir selbst ein Rennrad angeschafft“, sagt sie. Es war der Beginn einer Leidenschaft, die, nachdem der Veränderungswunsch in ihr gereift war, zu einem konkreten Plan wurde. „Ich habe angefangen, mich mehr mit dem Radsport zu beschäftigen, habe viele Rennen geschaut, mich mit den Teams auseinandergesetzt und schnell gemerkt, dass ich daran großen Gefallen finde“, sagt sie.

Anfang des Jahres absolvierte die gebürtige Berlinerin einen Leistungstest in Barcelona, „eigentlich eher aus Spaß, um herauszufinden, ob ich überhaupt eine realistische Chance hätte, im Radsport mitzuhalten.“ Der Zuspruch der medizinischen Experten bestärkte sie allerdings in ihrem Vorhaben, und so weihte sie ihre Familie und ihren Boxtrainer Andy Schiemann, mit dem sie viele Jahre am Olympiastützpunkt Schwerin gearbeitet hatte, in ihr Gedankenspiel ein. Mit dem Ergebnis, dass Papa Michael wieder einmal Feuer und Flamme für die nächste Idee seiner Tochter war. „Er hat mir gesagt, ich solle tun, was mein Herz mir sagt, weil ich nur eine Karriere habe. Da war für mich klar, dass wir es gemeinsam durchziehen!“

Und das tun sie seit einigen Monaten mit voller Kraft. Die renommierte Agentur Corso Sports Marketing hat das Management übernommen und konnte mit dem Vertragsabschluss mit der Talentschmiede von CANYON//SRAM einen Erfolg verbuchen, der in der Radsportszene für Aufsehen gesorgt hat. Seitdem sind auch die großen spanischen Medien auf die junge Deutsche aufmerksam geworden, die während ihrer Boxkarriere in England eine große Fanbasis hatte. „Das Interesse an meiner Geschichte ist groß. Aber ich weiß, dass es jetzt an mir liegt, diese Geschichte sportlich weiterzuschreiben“, sagt die 1,68 Meter große Athletin.

  • Sophie Alisch

    Es wäre ein absoluter Traum, einmal für das Team Deutschland anzutreten. Ich habe mir geschworen, dass ich meine Karriere nicht beenden werde, bevor ich an Olympischen Spielen teilgenommen habe.

    Sophie Alisch
    Profiradsportlerin und ehemalige Profiboxerin
    CANYON//SRAM zondacrypto Generation-Team

    Dabei komme ihr zugute, dass sie vieles von dem, was sie als Boxerin auszeichnete, auch auf dem Rad gebrauchen kann. „Meine Mentalität, mein Trainingsfleiß, der Wille zum Durchhalten und die Fähigkeit, sich über Grenzen quälen zu können, sind Dinge, die mir jetzt helfen“, sagt sie. Dazu komme, dass die Technik des Radfahrens deutlich einfacher zu erlernen ist, als wenn sie den umgekehrten Weg gegangen wäre. „Die Bewegungsabläufe auf dem Rad sind nicht kompliziert. Die Reaktionsschnelligkeit und die Hand-Auge-Koordination, die ich im Boxen verinnerlicht habe, sind auch in einem Radsportfeld wichtig.“ Die größte Umstellung im Training sei der Fokus auf die Ausdauer. „Bis zu 80 Prozent des Trainings im Radsport betrifft den Ausdauerbereich, während im Boxen Kraft und Explosivität im Vordergrund standen. Aber da mir Ausdauertraining schon immer Spaß gemacht hat, ist das für mich kein Problem. Die ersten sechs Wochen waren sehr intensiv, aber mittlerweile hat sich mein Körper darauf eingestellt“, sagt sie.

    Gleiches gilt für die Ernährungsumstellung, die sie dank der Hilfe der ihrer spanischen Trainingskollegin Marina Garau Roca vom Continental-Tour-Team BePink in den Griff bekommen hat. „Sie wohnt nicht weit von uns entfernt, wir trainieren manchmal zusammen. Marina schreibt meine Ernährungspläne“, sagt sie. Während sie als Profiboxerin stets auf ihr Gewicht achten musste, hat sich nun sowohl die Menge als auch die Zusammensetzung ihrer Nahrung komplett verändert. „Ich esse deutlich mehr, weil ich in den vier bis fünf Stunden langen Einheiten auf dem Rad auch viel mehr Energie benötige. Und auch das Auffüllen der Speicher während des Trainings war komplett neu für mich, so viel Zucker, wie ich an einem Tag aufnehme, habe ich als Boxerin wahrscheinlich im Monat nicht zu mir genommen“, sagt sie.

    Nachdem sie in den ersten Monaten streng nach dem Plan ihres Kölner Trainers Sebastian Rösler allein trainiert hatte, brennt Sophie Alisch nach der Vertragsunterschrift nun darauf, in den kommenden Wochen ihr neues Team kennenzulernen. „Das ist für mich als Einzelsportlerin auch etwas Ungewohntes, aber ich freue mich riesig darauf, nun Teil einer Mannschaft zu sein. Ich habe mich in den vergangenen Monaten immer wieder kleineren Gruppen angeschlossen, um das Fahren in der Gruppe zu trainieren. Aber nun einem so namhaften Team anzugehören, das ist schon etwas ganz Besonderes für mich“, sagt sie.

    Mindestens einmal pro Woche absolviert sie eine Boxeinheit

    Dem Boxen hat Sophie Alisch indes nicht komplett abgeschworen, mindestens einmal in der Woche legt sie im Keller des Familienanwesens in Campos, wo sie ein kleines Gym eingerichtet hat, eine Einheit am Boxsack ein. „Das tut mir als Ausgleich gut und macht mir auch weiterhin viel Freude“, sagt sie. Der Fokus jedoch liegt ganz klar auf dem Radsport. In den kommenden Monaten will sie sich in den Vorbereitungscamps für den Rennkader anbieten, um 2026 auf der Continental-Tour-Ebene so viel Praxis wie möglich zu sammeln. „Irgendwann kommt dann die Chance, sich für das Pro-Team zu zeigen, und dann möchte ich bereit sein.“

    Schließlich gibt es ein Ziel, das Sophie Alisch schon seit Jugendtagen ganz oben auf ihrer To-do-Liste stehen hat: die Teilnahme an Olympischen Spielen. „Als ich ins Profiboxen gewechselt bin, habe ich diesen Traum erst einmal beiseitegeschoben, auch weil die olympische Zukunft des Boxens seit Jahren ungewiss ist. Mit dem Wechsel in den Radsport ist Olympia aber wieder voll in mein Blickfeld gerückt“, sagt sie. Kontakt mit dem nationalen Verband German Cycling, dem früheren Bund Deutscher Radfahrer, besteht noch nicht, „dafür muss ich zunächst mal Rennen bestreiten und Leistung zeigen. Die nächsten Sommerspiele 2028 in Los Angeles habe ich schon im Blick, aber im Radsport kann man auch mit Anfang 40 noch auf Topniveau dabei sein, ich habe also noch 20 Jahre Zeit“, sagt sie.

    Und dann, zum Abschluss des Gesprächs, gibt es noch so einen Moment, in dem Körpersprache und Aussage perfekt zueinander passen. Sophie Alisch hat diesen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den man von ihr kannte, wenn sie im Ring vor einem Kampf ihre Kontrahentin musterte. Dann sagt sie: „Es wäre ein absoluter Traum, einmal für das Team Deutschland anzutreten. Ich habe mir geschworen, dass ich meine Karriere nicht beenden werde, bevor ich an Olympischen Spielen teilgenommen habe.“ Ob ihr das gelingen wird, müssen die kommenden Jahre zeigen. Aber man muss es ihr glauben - und zutrauen.

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