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Das Gespür des Gewichthebers

Neulich war der Saarländer Friedbert Mann in Berlin: Um das Bundesverdienstkreuz zu empfangen. Ehre für einen, der jahrzehntelang Trainer und Integrationsinstanz seines Vereins war – und nun, mit 79, abtritt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

08.09.2014

Jetzt, Anfang September, wandert der Stab weiter. Von einer Generation zur nächsten, von einer Kultur zur anderen. Ein 79-jähriger Deutscher saarländischer Herkunft übergibt ihn an einen 35-Jährigen kasachischer Geburt. Konkret: Friedbert Mann, seit 1975 Trainer der Gewichtheber von AC Heros Wemmetsweiler, seit Juli 2014 Träger des Bundesverdienstkreuzes, übergibt an Friedrich Grauberger. Vor 21 Jahren als Spätaussiedler zugewandert, wurde er in jeder Hinsicht Manns Musterschüler, eine Art Symbolfigur für dessen sportlich-integratives Engagement, das Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich mit der erwähnten Auszeichung würdigte (siehe Opens external link in new windowMeldung).

Nichts schlüssiger, nichts harmonischer also, als dass Grauberger seinen Lehrer beerbt. Für den Scheidenden ist es trotzdem hart, was sonst. Friedbert Mann ist 79, er geht, wenn es vernünftig und schön ist – letzte Saison ist die erste Mannschaft des 300-Mitglieder-Vereins in die Regionalliga aufgestiegen, die dritthöchste Klasse im Gewichtheben. Die ersten Wettkämpfe dort wird Mann wohl verpassen. „Ich glaube nicht, dass ich gleich hingehen kann. Da ziehe ich mir eher zuhause die Decke über den Kopf“, sagt er.

Friedbert Mann, früherer Polizeibeamter, gläubiger Katholik, FC-Bayern-Fan: Ist dies ein Leben für den Verein, kann man das so schreiben? Ein Leben mit vollem Einsatz für den Verein ist es auf jeden Fall. Seit gut 60 Jahren gehört er dem AC Heros an, 40 davon stand er viermal wöchentlich in der Halle. Er war Athlet - Rekordleistung 130 Kilo im  Stoßen -, erfolgreicher Trainer aller Altersklassen (Grauberger etwa kämpft dieser Tage in Kopenhagen um eine WM-Medaille der Senioren ab 30), Vorstandsmitglied und Motor diverser, auch vereinsübergreifender Projekte.

Zudem war er eine Instanz des kulturellen Brückenbaus, besonders ab den 90er Jahren. Damals landeten Zugewanderte aus früheren Sowjetrepubliken in Wemmetsweiler, ein 6000-Seelen-Ort nördlich von Saarbrücken. Friedrich Grauberger war der erste, der sich dem Athletenclub Heros anschloss, seine zwei Cousins und viele andere folgten. Mann trainierte die Jugendlichen und jungen Männer nicht einfach, er nahm sich ihrer an. Auf Hantelheben folgte Deutschunterricht – „das ist die Nase, das sind die Augen, so fing ich an“, erzählt er –, folgten Hilfe bei den Hausaufgaben und Gespräche über dieses und jenes Problem. Erich Hoffmann, einst Vorstandsvorsitzender, heute Pressesprecher des Vereins, sagt: „Der Trainingsraum war Friedberts zweites Wohnzimmer. An manchen Tagen kam er da kaum raus.“

Der Beziehungspfleger

Hoffmann hat einst die Kooperation des AC Heros mit dem Programm „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ initiiert, Vorläufer von „Integration durch Sport“. Friedbert Mann nennt ihn, den er in den 70ern trainierte, seine „rechte Hand“, beide pflegen den Austausch – jüngst etwa als Besucher einer Hochzeit nach russischem Vorbild mit 300 geladenen Gästen. Hoffmann seinerseits beschreibt den Gefährten als geduldig, feinfühlig, bescheiden. Beziehungsorientiert ist er wohl ebenfalls, auch außerhalb der Familie, zu der drei Kinder, vier Enkel und seine Frau Christa zählen. Sie hat der einstige Ringer beim KSV Köllerbach kennengelernt, zu dem er ebenso noch Kontakt hält wie zu Mitgliedern seines Fußballclubs aus Kindheitstagen.

Christa war auch neulich in Berlin dabei, beim Empfang durch den Bundespräsidenten. Ihr Mann, der „den Rummel nicht mehr mag“, wie er sagt, konnte die dreitägige Reise trotzdem genießen. Das Händeschütteln mit Joachim Gauck sei „ein Ereignis“ gewesen, der erste Besuch überhaupt in der Hauptstadt habe ihm „super“ gefallen. „Eine so große Stadt, das ist schon aufregend, das habe ich noch nie erlebt.“ Fast 80, aber offen für alles.

Klar, für den Ruhestand nicht ganz so. Der Trainingsraum sieht ihn schon noch ab und zu. An zwei Nachmittagen die Woche werde er sich mit anderen Ehemaligen treffen und ein paar Gewichte stemmen, sagt er. In den Übungseinheinheiten der letzten 40 Jahren hat er ja immer auch selbst gerissen und gestoßen, Abtrainieren tut Not, nicht nur körperlich. Irgendwann wird er wohl auch für die Zuschauerrolle bereit sein.

Und wie sieht es mit dem integrativen Erbe aus? Ganz gut, meinen Friedbert Mann und Erich Hoffmann. Mit den überwiegend aus Kasachstan übergesiedelten Athleten seien dem Verein auch deren Familien nahegerückt. Sie schauen die Wettkämpfe, viele Frauen nutzen zudem das Fitnessangebot. Die seltenen Neuankömmlinge treffen also auf andere Umstände als ihre Vorfahren in den 90ern. Damals, so Hoffmann, sei die „Dominanz der russischen Sprache im Trainingsraum ein ernstzunehmendes Problem“ gewesen. Heute spreche diese erste Generation Deutsch und nur noch mit besagten Neuankömmlingen in der Muttersprache, wodurch sie „Orientierungshilfe im neuen Lebensumfeld“ leisteten. Friedrich Grauberger und co, sie übernehmen auch da.

Text: Nicolas Richter


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