„Das Wichtigste ist ein respektvoller Umgang mit- und untereinander“
Marcus Schwarzrock (58), neuer Chefbundestrainer im Deutschen Ruderverband (DRV), spricht über die Änderungen im Training und in seiner Arbeitsweise, die anstehende EM in Bulgarien und darüber, wie sich der Teamgeist im deutschen Rudern verbessern kann.

27.05.2025

DOSB: Marcus, du warst von 2013 bis 2017 schon einmal Chefbundestrainer, danach bist du im Disziplinbereich Skull und im U 23-Bereich tätig gewesen. Wie kam es dazu, dass du es noch einmal „ganz oben“ versuchen möchtest?
Marcus Schwarzrock: Die Arbeit im U-23-Bereich hat mir wirklich sehr viel Spaß gemacht. Aber mit einem Auge habe ich immer auf den A-Bereich geschaut, und dabei sind mir einige Ideen gekommen, wie es anders gehen könnte. Da habe ich gespürt, dass ich noch große Lust habe, Dinge an vorderster Front mitzugestalten. Mir ist klar, dass dazu auch gehört, sich selbst zu überprüfen und zu Veränderungen bereit zu sein. Das bin ich. Dazu kommt, dass der DRV zu Jahresbeginn Robert Sens zum Vorstand Leistungssport bestellt hat. Mit ihm konnte ich mir eine enge Zusammenarbeit sehr gut vorstellen. Auch wenn wir früher als Trainer ein ums andere Mal miteinander angeeckt sind, haben wir unterschiedliche Skills, die im Gesamtpaket gewinnbringend für den Verband sein können. Deshalb freue ich mich sehr, dass man mir die Verantwortung für die Nachfolge von Brigitte Bielig übertragen hat.
In dieser Antwort stecken zwei sehr interessante Aspekte. Zum einen interessieren uns die Ideen, die dir gekommen sind. Was also muss im DRV anders und vor allem besser werden?
Wir haben damit begonnen, das Training in drei Bereichen umzustellen. Ich möchte vorausschicken, dass die Art und Weise, wie wir bislang trainiert haben, zu sehr großen Erfolgen geführt hat und auch immer noch funktionieren könnte. Aber es war an der Zeit, etwas Neues zu implementieren, um neue Reize zu setzen und die Athletinnen und Athleten mitzunehmen.
Welche drei Bereiche habt ihr verändert?
Die erste Säule ist, dass wir evidenzbasierter trainieren. Wir binden die Wissenschaft stärker ein, haben zwei neue Diagnosetrainer*innen eingestellt, arbeiten mit einem Wissenschaftskoordinator und haben den gesamten Bereich auf professionellere Füße gestellt. Die zweite Veränderung betrifft unser Trainerteam, das wir deutlich erfahrener und internationaler aufgestellt haben. Wir haben nun Einflüsse aus Polen, Italien und den Niederlanden, in jeder Disziplin arbeiten Coaches, die Olympiamedaillen gewonnen haben. International spielen wir mit diesem Trainerteam in der obersten Liga mit. Und die dritte Säule ist, dass wir individueller auf unsere Leistungsträgerinnen und Leistungsträger eingehen. Wir bauen Stück für Stück die Trainingsmethodik um, setzen auf polarisiertes Blocktraining. Wir merken, dass das Team da richtig Bock drauf hat.
Die Stimmung im Team ist ein sehr wichtiger Faktor, und diese hat in den vergangenen Jahren des sportlichen Niedergangs arg gelitten. Diverse Athletinnen und Athleten haben darüber geklagt, nicht ernst genommen oder erst gar nicht angehört worden zu sein. Wie wollt ihr dort neues Vertrauen schaffen?
Fakt ist, dass wir die Kommunikation zwischen dem Trainerteam und den Athletinnen und Athleten verbessern müssen. Ich bin zu 100 Prozent ansprechbar, aber mein Ziel ist, dass aufkommende Probleme zunächst zwischen den Sportlern und ihren Disziplintrainern gelöst werden. Erst wenn da etwas nicht gelöst werden kann, werde ich mich einschalten. Die dritte Stufe wären Einzelgespräche. Ich glaube, dass diese Herangehensweise beide Seiten stärkt. Uns ist im Trainerteam bewusst, dass wir transparenter werden und Entscheidungen besser erklären müssen. Wir versuchen, aus unserer Komfortzone zu kommen, Strukturen aufzubrechen und uns stets zu verbessern. Dafür haben wir ein Coach-to-Coach-Programm angeschoben, über das wir unsere Arbeit gemeinsam reflektieren.
Das bringt uns zu dem zweiten wichtigen Aspekt deiner Eingangsantwort: Welchen Veränderungsbedarf hat deine Selbstüberprüfung ergeben? Was willst oder musst du anders machen als bislang?
Nach den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, wo ich für den männlichen Skullbereich verantwortlich war, habe ich vieles auf den Prüfstand gestellt. Wir hatten als einzige Disziplin alle drei Bootsklassen qualifiziert, die Ergebnisse waren aber absolut nicht zufriedenstellend. Ich habe die Fehler bei mir gesucht und versucht, mich mehr von außen zu reflektieren und nach Lösungen zu suchen, um jeden Tag ein Stück besser werden zu können. Das Ergebnis ist das, was ich eben skizziert habe: Bereitschaft zur Umstellung von Trainingsmethodik, bessere Kommunikation und ein klarer Fokus auf mehr Teamwork.
Kritiker des DRV sagen, dass eine grundlegende Veränderung nicht möglich ist, wenn man jemanden wie dich, der das System seit vielen Jahren kennt und mitbestimmt hat, zum Chefbundestrainer macht. Was entgegnest du?
Wir haben in Deutschland ein sehr spezielles, sehr komplexes Umfeld mit einem Verband der Vereine. Als Ausländer in dieses System einzusteigen und gleich den Chef geben zu müssen, das ist sehr schwierig. Ich bin sehr dafür, dass wir uns Know-how von außen holen, aber das ist ja auch geschehen. Deshalb denke ich, dass es ein Vorteil ist, dass ich die Strukturen genau kenne und weiß, worauf es ankommt. Meine Aufgabe ist es, die vielen positiven Einflüsse, die wir uns geholt haben, zusammenzufügen und zu strukturieren.
Aktuell sorgt ein Report der ARD-Sportschau für Aufsehen, der einem Rudertrainer aus Münster jahrelange interpersonelle Gewalt gegen Mitglieder seiner Trainingsgruppen vorwirft. Insbesondere wird Rudern darin als männerdominierter Sport dargestellt, in dem Frauen diskriminiert werden und der die Athletinnen und Athleten körperlich regelmäßig über Grenzen treibt. Wie stehst du zu solchen Aussagen?
Zum konkreten Fall hat sich DRV-Präsident Moritz Petri in dem Beitrag klar positioniert, dazu kann und möchte ich nicht weiter Stellung nehmen. Was mir wichtig ist: Ich bitte darum, nicht zu verallgemeinern. Im Nachwuchsbereich sollen der Spaß und die Freude im Vordergrund stehen, natürlich in einem vertrauensvollen und wertschätzenden Umfeld. Rudern in der Weltspitze ist ein sehr harter Ausdauersport, bei dem man regelmäßig an seine körperlichen Grenzen gehen muss. Das wissen alle Sportlerinnen und Sportler, sie suchen sich den Sport freiwillig aus. Entscheidend ist daher, wie wir als Trainerinnen und Trainer mit unseren Schutzbefohlenen umgehen. Auf Bundeskaderbebene arbeiten wir seit Beginn der Neuausrichtung mit unseren Athletinnen und Athleten gemeinsam an einer Fortentwicklung, wir haben Programme aus dem Bereich Safe Sport und klare Verfahren, die im DRV greifen, und wir nehmen diese Themen sehr ernst. Das Wichtigste für mich ist ein respektvoller Umgang mit- und untereinander. Dass es wie in allen gesellschaftlichen Bereichen auch im Sport Problemfälle gibt, haben wir im Rudern nicht exklusiv. Deshalb kommt es darauf an, wie wir diese Fälle aufarbeiten, und ich bin der Überzeugung, dass wir da im DRV mit klarem Kompass von Präsident und Vorstand auf einem guten Weg sind.
Du hast den Fokus auf Teamwork angesprochen. Wie genau sieht der aus?
Meine Idee ist, dass wir interdisziplinär viel enger zusammenwachsen. Ich möchte, dass wir als gesamtes Team - dazu zählen Riemen und Skull männlich und weiblich - gemeinsam leiden und gemeinsam feiern. In Deutschland sind wir sehr gut darin, Dinge zwar sehr diszipliniert, aber auch sehr angespannt anzugehen. Ich plädiere für mehr Lockerheit, denn wenn du das Gummi schon im Training zu fest spannst, dann reißt es im Wettkampf vielleicht. Unsere Idee ist, dass wir viel häufiger interdisziplinär und intergeschlechtlich trainieren. Bei der WM im Herbst in Shanghai sind erstmals Mixed-Zweier und Mixed-Achter am Start. Das haben wir vor kurzem in Ratzeburg trainiert, und es hat allen sehr viel Spaß gemacht. Dass Skull und Riemen gemeinsam trainieren, ist bei den Frauen einfacher, weil die in Berlin am selben Stützpunkt sind. Bei den Männern sind Riemen in Dortmund und Skull in Ratzeburg/Hamburg getrennt, dennoch wollen wir Synergien verstärken. Unser Ziel ist es, in jeder einzelnen Bootsklasse die leistungsstärksten Athletinnen und Athleten gemeinsam antreten zu lassen.
Einer, dem die Zusammenarbeit mit dem restlichen DRV nie besonders wichtig war, ist Oliver Zeidler. Wie schaffst du es, ihn besser zu integrieren?
Für Olli ist die Tür immer offen, auch zu Trainingslagern. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich bei den gemeinsamen Events im Team unwohl gefühlt hat. Fakt ist aber, dass die Sonderregelung für ihn mit dem Training in München bei seinem Vater Bestand hat. Er ist Weltmeister und Olympiasieger, mehr geht nicht. Da wären wir doch verrückt, wenn wir ihn zu Veränderungen zwingen würden.
Bei der EM in Bulgarien, die am Wochenende ansteht, ist er nicht dabei. Warum?
Er konzentriert sich auf sein Studium, macht aktuell einen MBA in Lausanne und steigt erst mit der Regatta in Henley Anfang Juli in die Saison ein. In Plovdiv ist im Einer der Deutsche Meister Marc Weber am Start. Wenn Olli sich entscheidet, die WM fahren zu wollen, wird es ein Ausscheidungsrennen zwischen den beiden geben.
Welche Erwartungen hast du an die EM, den ersten Saisonhöhepunkt?
Sportliche Erwartungen sind schwierig zu formulieren, es ist ein nacholympisches Jahr mit vielen Umbrüchen, auch bei uns im Kader. Wir haben einige junge Talente eingebaut und machen in Bulgarien eine erste Standortbestimmung. Mein Eindruck ist, dass wir im Männer-Riemen eine sehr hohe Leistungsdichte haben. Das Potenzial in der physiologischen Leistungsfähigkeit muss ausgeschöpft werden, aber dem sehe ich sehr positiv entgegen. Im Männer-Skull wird sehr motiviert und fleißig gearbeitet, die Jungen brauchen aber noch zwei Jahre für ihre Entwicklung. Im Herbst kommen Jonas Gelsen, Tim Ole Naske und Anton Finger zurück, die aktuell studienbedingt pausieren, dann sind wir dort auch vielversprechend aufgestellt. Im Frauen-Skull fehlen uns in dieser Saison auch drei Leistungsträgerinnen aus dem Bronze-Doppelvierer von Paris, Maren Völz, Tabea Schendekehl und Leonie Menzel, die aber ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückkehren werden. Bleibt der Frauen-Riemen als Sorgenkind der vergangenen Jahre, aber auch dort wird sehr fleißig gearbeitet. Wir versuchen die vielen Frauen, die zum Studieren in die USA gehen, weiterhin an das Team zu binden, um die Trendwende zu schaffen. Wir sind hier auf einem guten Weg.
Nach der EM folgen im Zweiwochentakt die beiden Weltcups, dann sind bis zur WM fast drei Monate Pause. Wie überbrückt man eine solch lange wettkampffreie Zeit?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung, und ich bin darüber nicht glücklich. Ich verstehe, dass man mit Blick auf die Athletinnen und Athleten aus Übersee die beiden Weltcups in Varese und Luzern eng beieinander plant. Aber die EM hätte sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden können. Dieser Wettkampfkalender ist aus meiner Sicht schwierig.
Vielleicht bleibt dir dadurch mehr Zeit, dich um die neue Disziplin Coastal Rowing zu kümmern, die in Los Angeles 2028 olympisch wird. Wie schätzt du dort die Lage ein?
Das Küstenrudern ist auf der ganzen Welt im Neuaufbau. Es ist eigentlich eine ganz andere Sportart, aber sie ist attraktiv für die Zuschauenden, und es gibt dort in drei Wettbewerben olympische Medaillen zu holen. Also nehmen wir es entsprechend ernst. Es fällt, wie auch das Pararudern, in meinen Verantwortungsbereich, ich habe mir schon im Training einen Einblick verschafft und werde das in den kommenden Monaten vertiefen. Die meisten Athletinnen und Athleten im Coastal kommen aus dem klassischen Rudern. Für diejenigen, die es schwer haben, noch im A-Kader unterzukommen, ist es eine tolle Alternative. Aber wir haben auch Athlet*innen, die im klassischen Rudern erfolgreich waren und jetzt ganz bewusst den Wechsel zum Coastal-Rudern vollzogen haben. Als Beispiel ist Moritz Wolff zu nennen, der bei Olympia in Paris im Doppelvierer Platz fünf belegt hat. Die ersten Wettkämpfe im Coastal-Sprint waren durchaus vielversprechend.
In Los Angeles werden die klassischen Ruderwettbewerbe auf der historischen Anlage von 1932 in Long Beach ausgetragen. Dort ist allerdings nur Platz für eine Strecke von 1.500 statt den üblichen 2.000 Metern. Wann beginnt ihr damit, euch auf diese Umstellung vorzubereiten?
Dazu ist es tatsächlich noch deutlich zu früh, weil die Qualifikationsrennen für die Spiele 2028 bei der WM 2027 in Luzern noch auf der 2.000-Meter-Distanz ausgetragen werden. Deshalb werden wir erst danach mit der Umstellung beginnen. Im Hinterkopf haben wir das Thema natürlich längst, aber unsere Trainingswissenschaftler sagen, dass die Veränderungen gar nicht so gravierend sein werden. Die krafteffizienten Sportlerinnen und Sportler dürften auf einer kürzeren Distanz leichte Vorteile haben. Aber das werden wir dann, wenn es drauf ankommt, schon hinbekommen.