Zum Inhalt springen

„Sportorganisationen tragen eine besondere Verantwortung“

Morgen am 10. Dezember endet der weltweite Aktionszeitraum „Orange the World“. Zu diesem Anlass erklärt Keren Vogler im Gespräch, wie Sportverbände geschlechtsspezifischer Gewalt entgegenwirken können und was es braucht, um echten Kulturwandel nachhaltig zu verankern.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

09.12.2025

Das Bild zeigt Keren Vogler, eine Frau mit langen, lockigen Haaren. Sie steht vor einem leuchtend orangefarbenen Hintergrund. Sie trägt einen hellblauen Pullover und hebt ihre Hand mit der offenen Handfläche zu uns, als Zeichen der Orange the World Bewegung.

Mit dem weltweiten Aktionszeitraum „Orange the World“ vom 25. November bis 10. Dezember setzen UN Women und zahlreiche Partnerorganisationen jährlich ein kraftvolles Zeichen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Auch im Sport wächst das Bewusstsein dafür, dass sichere Räume, empowernde Strukturen und klare Haltung unverzichtbar sind. Im Rahmen des diesjährigen Aktionszeitraums hat der DOSB mit Keren Vogler, Präsidiumsmitglied von MAKKABI Deutschland und Teil der Sprecher*innengruppe des DOSB, gesprochen. Sie erklärt, welche Verantwortung Sportorganisationen tragen, wie Veränderungen messbar werden und welche Schritte notwendig sind, um Kulturwandel im Sport nachhaltig zu verankern. 

DOSB: „Orange the World“ macht weltweit auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam. Welche besondere Verantwortung tragen Sportorganisationen, wenn es um den Schutz und die Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen geht? 

Keren Vogler: Sportorganisationen tragen eine besondere Verantwortung, weil Sport einer der größten sozialen Räume unserer Gesellschaft ist. Millionen Menschen verbringen dort regelmäßig Zeit, darunter sehr viele Mädchen, junge Frauen und queere Personen, die sich nicht als männlich identifizieren. Wer solche Räume gestaltet, schafft zugleich die Bedingungen dafür, ob sie sicher sind oder nicht. Schutz ist daher kein Zusatz, sondern ein Grundprinzip. Aus meiner Perspektive als Awareness-Fachkraft, Jugendbildungsreferentin der DJK-Sportjugend sowie Präsidiumsmitglied bei MAKKABI Deutschland sehe ich jeden Tag, wie entscheidend Sprache, Haltung und Organisationskultur sind. Gewalt beginnt selten mit körperlichen Übergriffen. Oft startet sie mit Rollenbildern, Abwertungen oder ganz alltäglichen Kommentaren. Wenn wir Gewaltprävention ernst nehmen, müssen wir genau dort ansetzen: bei Sprache, Machtverhältnissen und der Frage, wie wir Räume gestalten. Wesentlich ist deshalb, proaktiv sichere Räume zu schaffen, Orte des Vertrauens, des Empowerments und der Beteiligung, insbesondere für Frauen, Mädchen und Nicht-Männer. Es ist unumgänglich Themen wie Empowerment, Prävention und Jugendarbeit zusammenzudenken und strukturell zu verankern. Empirisch wissen wir, dass 80-90 Prozent sexualisierter Gewalttaten von Männern oder männlichen Jugendlichen ausgehen. Diese Realität zu benennen ist notwendig, um Verantwortung klar zu verorten. Sportverbände müssen bereit sein, ihre Strukturen kritisch zu prüfen, Daten ernst zu nehmen und wirksam zu handeln. Sport kann Kultur verändern, aber nur, wenn Verantwortung nicht nur benannt, sondern aktiv gestaltet wird. 

  • Porträtfoto Keren Vogler

    Wirksamkeit zeigt sich nicht daran, dass Programme existieren, sondern daran, ob sie Veränderungen bewirken. Der entscheidende Schritt ist ein realistischer Blick: Die Frage ist nicht, ob sexualisierte Gewalt im Sport vorkommt, sondern wie ausgeprägt sie ist.

    Keren Vogler
    Präsidiumsmitglied
    MAKKABI Deutschland e.V.

    Sie sprechen viel über Strukturen, Sprache und Machtverhältnisse. Viele Verbände versuchen bereits gegenzusteuern. Aber wie lässt sich eigentlich überprüfen, ob solche Bemühungen wirklich etwas verändern? 

    Wirksamkeit zeigt sich nicht daran, dass Programme existieren, sondern daran, ob sie Veränderungen bewirken. Der entscheidende Schritt ist ein realistischer Blick: Die Frage ist nicht, ob sexualisierte Gewalt im Sport vorkommt, sondern wie ausgeprägt sie ist. Wir sehen Wirkung, wenn Betroffene ernst genommen werden, wenn Meldewege genutzt werden, zu Interventionen führen und nachvollziehbare Konsequenzen folgen. Wenn Verantwortliche geschult sind und wenn Prävention langfristig angelegt und regelmäßig evaluiert wird. Lücken zeigen sich dort, wo Schutzkonzepte unverbindlich bleiben oder wo Prävention als Projekt verstanden wird anstatt als dauerhafte Aufgabe. Auch mangelt es oft an interdisziplinären Kooperationen, etwa mit Psychologie, Pädagogik oder Geschlechterforschung. Aus meiner Arbeit weiß ich, wie zentral langfristige Programme sind, die regelmäßig evaluiert werden. Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit sind die Grundlage jeder wirksamen Präventionsarbeit. 

    Sie haben deutlich gemacht, dass Programme allein nicht ausreichen. Oft sind es tief verankerte Muster, die Veränderungen erschweren. Wie können Sportorganisationen diese Kultur wirklich beeinflussen? 

    Kultur verändert sich nicht durch Appelle, sondern durch klare Prozesse. Sportorganisationen brauchen eine reflektierte Machtkultur, in der Verantwortliche ihre Rolle ernst nehmen und aktiv hinschauen. Wirksamer Schutz basiert auf drei Grundpfeilern: Erstens: Prävention, konkret Risiken erkennen, Rollenbilder hinterfragen, Sprache bewusst einsetzen. Zweitens: Intervention, etwa transparente Abläufe und echte Unterstützung für Betroffene. Und drittens: Repression, also klare Konsequenzen für Täter und kein einfaches „Weiterreichen“ in andere Strukturen. Entscheidend ist ein Kulturwandel: weg vom Bagatellisieren, hin zu einer Haltung des konsequenten Handelns. Safer Spaces sind dabei kein Sonderfall, sondern ein Standard, der in jedem Verband etabliert sein sollte. 

    Gewaltprävention beginnt häufig schon bei Sprache und Verhalten im Alltag. Wie können Trainer*innen, Ehrenamtliche und Führungskräfte im Sport sensibilisiert und geschult werden? 

    Sprache prägt Wirklichkeit. Trainer*innen und Ehrenamtliche haben eine enorme Vorbildfunktion, besonders für Kinder und Jugendliche. Deshalb ist Sensibilisierung ein kontinuierlicher Prozess und nicht auf einmalige Workshops reduzierbar. Menschen brauchen Räume für Reflexion, Austausch und Orientierung. Prävention gelingt dann, wenn Haltung, Sprache und Handeln zusammenpassen und wenn klar ist: Schutz hat Priorität vor sportlichem Erfolg oder internen Hierarchien. 

    • Porträtfoto Keren Vogler

      Der Weg ist anspruchsvoll, aber notwendig. Sport kann ein Motor für gesellschaftlichen Wandel sein, wenn Verantwortung aktiv angenommen wird und Schutz als gemeinsamer Auftrag verstanden wird.

      Keren Vogler
      Präsidiumsmitglied
      MAKKABI Deutschland e.V.

      Von der individuellen Haltung zum gesellschaftlichen Einfluss: Welche Rolle spielt der Sport, wenn wir den Blick auf die breite Öffentlichkeit richten? 

      Sport besitzt eine enorme Reichweite und prägt gesellschaftliche Haltungen. Damit ist er eine der stärksten Plattformen, um Gewalt sichtbar zu machen und Veränderung zu fördern. Wir brauchen klare Positionierungen, sichtbare Kampagnen und Verantwortliche, die Haltung zeigen. Athlet*innen spielen eine große Rolle: Ihr Engagement wirkt unmittelbar auf junge Menschen. Gleichzeitig braucht es strukturelle Zusammenarbeit: mit Schulen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und der Jugendarbeit. Prävention, Empowerment und Jugendarbeit gehören zusammen, wenn wir langfristig etwas verändern wollen. Der Weg ist anspruchsvoll, aber notwendig. Sport kann ein Motor für gesellschaftlichen Wandel sein, wenn Verantwortung aktiv angenommen wird und Schutz als gemeinsamer Auftrag verstanden wird. 

      Vielen Dank für das Gespräch!

      Das Gespräch mit Keren Vogler zeigt deutlich: Gewaltprävention ist kein Zusatz, sondern ein zentraler Bestandteil verantwortungsvoller Sportkultur. Sicherheit, Empowerment und klare Strukturen entstehen nicht durch einzelne Maßnahmen, sondern durch konsequentes Handeln, kontinuierliche Schulung und eine Haltung, die Betroffene schützt und Machtmissbrauch benennt. „Orange the World“ erinnert daran, dass Veränderung möglich ist - wenn Organisationen bereit sind, ihre Verantwortung aktiv wahrzunehmen. Der Sport hat die Kraft, Sichtbarkeit zu schaffen, Haltungen zu prägen und gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Diese Chance gilt es zu nutzen. Jeden Tag. 

      Verwandte Artikel

      Title

      Title