Die Frau, die das Synchronschwimmen aus der Nische führen möchte
Klara Bleyer gewann im Juni als erste Deutsche in ihrem Sport EM-Gold im Solo. Bei der WM in Singapur will sie in diesem Monat erneut für Aufsehen sorgen, das große Fernziel aber ist eine Medaille bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles.

08.07.2025

Erfolgreich zu sein zieht bisweilen Aufgaben nach sich, mit denen man nicht rechnen konnte. Im Februar kommenden Jahres wird Klara Bleyer ein neues Ballkleid benötigen. Weil sie von den von der Sporthilfe geförderten Athlet*innen zur Sportlerin des Monats Juni gewählt wurde, wird die 21 Jahre alte Synchronschwimmerin zum Ball des Sports in die Frankfurter Festhalle eingeladen. „Ich war überrascht von der Auszeichnung, fühle mich aber besonders geehrt, weil die Wahl aus dem Sport erfolgt. Wir bekommen gerade sehr viel Respekt von verschiedenen Seiten, und das tut unserem Sport gut. Das ist eine Belohnung für die harte Arbeit und die vielen Stunden im Training“, sagt Klara Bleyer, die im vergangenen Monat für doppeltes Aufsehen gesorgt hatte.
Anfang Juni gewann sie in Funchal, der Hauptstadt der portugiesischen Blumeninsel Madeira, als erste Deutsche in der Geschichte des Synchronschwimmens EM-Gold im Solo in der Freien Kür. Zwei Wochen später genügte ihr in Xi’an (China) Silber zum Gewinn des Gesamtweltcups. Kein Wunder, dass Stephanie Marx fast übersprudelt vor Lob für ihre Vorzeigeathletin. „Vom Schwierigkeitslevel her ist das, was Klara im Freien Solo zeigt, absolute Weltspitze, das können in der Form nur sehr wenige Athletinnen auf der Welt mitgehen“, sagt die Bundestrainerin. Wie gut also, dass in der übernächsten Woche die Gelegenheit kommt, den Beweis für diese Aussage anzutreten. Bei der Schwimm-WM in Singapur, zu der das Team am Sonntag aus dem Vorbereitungscamp in Heidelberg aufbricht, steht am 20. Juli der Vorkampf im Solowettbewerb der Freien Kür auf dem Programm, zwei Tage später geht es um die Medaillen.
Klara spürt deutlich, dass ihr Ansehen international gewachsen ist
„Es werden spannende Wochen, es ist alles drin“, versucht Klara Bleyer ein wenig abzuwiegeln, „aber natürlich sehe ich im Solo meine größten Chancen, unter die besten drei zu kommen.“ Als Europameisterin zu Welttitelkämpfen anzureisen, empfinde sie als Ansporn und Anspruch gleichermaßen. „Ich bekomme aktuell das meiste Rampenlicht ab und weiß, was von mir erwartet wird. Aber der Titelgewinn bei der EM hat mir zusätzliches Selbstvertrauen verliehen“, sagt sie. Schon seit ihren Silbermedaillen bei der EM 2024 sowohl in der technischen als auch in der freien Kür des Solowettbewerbs spüre sie, dass ihr Ansehen international gewachsen ist, der Triumph auf Madeira habe dem einen weiteren Push gegeben. „Nationen, die sich früher nicht für uns interessiert haben, schauen jetzt sehr genau hin. Das ist manchmal noch ein Schock, aber auch schön zu sehen“, sagt sie.
Bundestrainerin Marx freut sich über Anspruch und Selbstreflexion ihrer Spitzenkraft. „Ich finde es wichtig, dass sie ihre Erwartungen offensiv formuliert, denke aber auch, dass sie ihre Chancen sehr realistisch einordnet. Sie darf mit einer Medaille liebäugeln, wir wissen aber auch, dass die Konkurrenz nur schwierig einzuschätzen ist“, sagt sie angesichts der Rückkehr der Sportlerinnen aus Russland und Belarus, die als neutrale Athletinnen antreten dürfen. Ein Umstand, der Stephanie Marx verständnislos zurücklässt: „Menschlich freue ich mich für jede Athletin, deren hartes Training mit einer Startmöglichkeit belohnt wird. Aber mir wird nicht klar, was sich aus geopolitischer Sicht verändert hat im Vergleich mit dem Zeitpunkt, zu dem die Suspendierungen ausgesprochen wurden“, so ihre Meinung. Klara Bleyer berichtet von „einer erhöhten Anspannung im Pool, es sind starke Nationen, die zurückkehren, wir wissen alle nicht, was wir von ihnen erwarten können.“
Was sie von sich selbst erwartet, daraus hat Klara Bleyer noch nie einen Hehl gemacht. Als „extrem ehrgeizig“ beschreibt ihre ältere Schwester Johanna, mit der sie als Teenager aus der Heimat Eschweiler nach Bochum gewechselt war, um dort den Sprung in den Leistungssport zu schaffen, die Newcomerin des Jahres 2024. Um ihrem eigenen Anspruch gerecht werden zu können, hat Klara ihr Studium des Produktdesigns an der Fachhochschule Aachen stark eingeschränkt. „Nachdem ich im Herbst 2023 mit dem Studium begonnen hatte, habe ich zwei Semester voll durchgezogen. Die Doppelbelastung hat aber nicht so gut funktioniert, ich habe kaum noch geschlafen“, sagt sie. Deshalb habe sie entschieden, zunächst dem Sport klare Priorität zu geben. „Leistungssport kann ich nur jetzt machen, das Studium kann später weitergehen.“
Den Fokus komplett auf den Sport legen zu können, sagt Stephanie Marx, habe zu der Leistungsentwicklung geführt, die Klara Bleyer in die Weltspitze katapultierte. „Dank der Unterstützung der Bundeswehr kann sie sich als Sportsoldatin voll auf das Synchronschwimmen konzentrieren. Das hilft ungemein“, sagt sie. Dazu komme, dass ihre Bochumer Heimtrainerin Stella Mukhamedova als Vollzeit-Angestellte ein stabiles und verlässliches Trainingssystem bieten könne. Selbstverständlich ist das in einer Nischensportart wie dem Synchronschwimmen keinesfalls. „Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich von Beginn an sehr unterstützt haben und ich auch vom Schwimmverband Nordrhein-Westfalens und nun von der Bundeswehr viel Support bekomme. Aber das Thema Leistungssportförderung ist in Deutschland ja dauerhaft in der Diskussion, und einen Randsport wie uns trifft der mangelhafte Stellenwert des Leistungssports noch einmal mehr“, sagt Klara Bleyer, die vor allem eine Zentralisierung des Nationalteams befürworten würde. „Dauerhaft mit den Besten trainieren zu können und an einem Stützpunkt auch Unterstützung beim Thema Bildung zu erhalten, wäre das Beste, was man für uns tun könnte.“ Einen Bundesstützpunkt für Synchronschwimmen gibt es aktuell nicht.
Zu beobachten war die fehlende Unterstützung in den vergangenen Wochen anschaulich an einer Spendenaktion, die der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) initiiert hatte. 65.000 Euro für die Vorbereitungen auf die und die Reisekosten für die WM sind für das Synchron-Team veranschlagt, aus Bundesmitteln sind aber nur 40.000 Euro abgedeckt. Bis Ende Juni wollte man die fehlenden 25.000 Euro aus Spenden einwerben, weil aber erst gut 15.000 Euro eingegangen waren, wurde die Aktion um einige Tage verlängert. „Wir sind dem DSV und allen, die gespendet haben, sehr dankbar, dass der Eigenanteil nun deutlich verringert werden konnte“, sagt Klara Bleyer.
Dass man in der Nische nicht nur erfinderisch, sondern auch gnadenlos idealistisch sein muss, ist keine neue Erkenntnis. Klara Bleyer, die in Eschweiler schon beim Babyschwimmen erste Erfahrungen mit dem Element Wasser sammelte, bezeichnet ihre Beziehung zum Kunstschwimmen gern als Hassliebe. „Der Hass entsteht daraus, dass der Sport sehr aufwendig ist. Wir trainieren sechs bis acht Stunden täglich und bekommen dafür leider sehr wenig Unterstützung und Respekt. Die Liebe speist sich daraus, dass Synchronschwimmen so vielseitig ist. Wir trainieren ja nicht nur im Wasser, sondern auch viel an Land. Es ist immer abwechslungsreich und fordert mich auf vielen Ebenen heraus“, sagt sie.
Für die WM hat sie einige Elemente ihrer Kür verändert
Dazu kommt, dass das vor zwei Jahren implementierte, neue Wertungssystem ihr nun Erfolge ermöglicht, die früher deutlich schwieriger zu erzielen waren. „Die wichtigste Veränderung war, dass wir den Schwierigkeitsgrad der Übungen genauer differenzieren müssen. Das führt zu einer höheren Verbindlichkeit bei den Wertungen“, sagt sie. Nach dem Weltcupfinale haben Klara Bleyer und ihr Team mit Blick auf die WM einige Veränderungen erarbeitet. Das mag angesichts ihrer Erfolge paradox klingen, „aber die Konkurrenz schläft nicht. Wir haben viel am künstlerischen Ausdruck gearbeitet und die Schwierigkeiten deutlich erhöht“, sagt die Athletin von den Freien Schwimmern Bochum.
Nun hofft sie auch in Singapur auf eine angemessene Belohnung für die Arbeit der vergangenen Monate. In der Freien Kür wäre das eine Medaille, in der Technischen Kür sowie im Duett, das sie mit ihrer Bochumer Vereinskameradin Amélie Blumenthal Haz bestreitet, ist die Qualifikation für das Finale angepeilt. „Der Aufschwung, den wir jetzt erleben, hat vor fünf Jahren seinen Ursprung genommen. Nachhaltiger Erfolg braucht Zeit. Wir sind ein sehr junges Team, Klara und Amélie starten erst seit Kurzem gemeinsam. Unser Plan ist, dass der gemeinsame Weg 2028 erste Früchte trägt“, sagt Bundestrainerin Marx.
In Los Angeles soll dann die erste deutsche Olympiateilnahme im Synchronschwimmen seit 1992 herausspringen. Damit würde Klara Bleyer nicht nur auf dem Ball des Sports auf der großen Bühne tanzen. Und wenn ihre Karriere sich weiter so entwickelt, dürfte die Anschaffung eines neuen Ballkleids bis dahin schon Routine für sie sein.