DSB-Appell zum Internationalen Frauentag am 8. März
„Sport ist ein ganz hervorragendes Mittel für die soziale Integration in unserer Gesellschaft.

03.03.2004
Wir mit unseren 89.000 Vereinen müssen und können ihn gemeinsam stärker nutzen, um die Integration unserer Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund voranzutreiben.“ Diesen Appell richtete Ilse Ridder-Melchers, Präsidiumsmitglied des Deutschen Sportbundes und Vorsitzende des DSB-Bundesausschusses Frauen im Sport, anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März an die Mitgliedsverbände und Vereine. Die gesamte Stellungnahme hat folgenden Wortlaut:
Auch bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund steht der Sport an erster Stelle bei der Freizeitbeschäftigung, wobei es gravierende Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt. Während ausländische Jungen über das Fußballspielen relativ leicht den Zugang zum gemeinsamen Spiel, Sport und Spaß finden, ist der Anteil der sportlich aktiven Mädchen verschwindend gering. Nur jedes 7. ausländische Mädchen ist sportlich aktiv. Von den 10 bis 11-jährigen ausländischen Mädchen betreiben 21% organisierten Sport, während in der gleichen Altergruppe der deutschen Mädchen 58% aktiv sind. 47% der Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund treiben gar keinen Sport. Gleichzeitig wünschen sich 45% dieser Mädchen mehr Sport; an erster Stelle mit 29% stehen Selbstverteidigungskurse!
Aus diesen Daten und Fakten ergibt sich eine große Herausforderung für den organisierten Sport: Der Sport hat die Chance, den notwendigen Prozess des interkulturellen Dialogs in unserer Gesellschaft beispielgebend anzuregen und zu fördern. Dies vor allem auch unter dem Aspekt, dass ausländische Frauen noch einen viel größeren sportlichen Nachholbedarf als Mädchen haben. Es gibt ermunternde Beispiele wie das Projekt „Start - Sport als Integrationsfaktor für Zuwanderermädchen und –frauen“, das im Auftrag des Landessportbundes Hessen mit Unterstützung des Landes Hessen durchgeführt wird.
Das Projekt hat in intensiver Aufbauarbeit ein Netzwerk mit Migratinnenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden sowie kommunalen Entscheidungsträgern geschaffen. Neben dem Primärziel Integration gilt es auch, bei den Zuwandererfrauen das Verständnis für die gesundheitliche Präventivkraft des Sportes zu erhöhen. Im November 2003 startete die neue Übungsleiterinnenausbildung „Breitensport für Zuwandererfrauen“ – ein speziell auf die Belange der Zuwanderermädchen und -frauen zugeschnittenes Angebot. Die Teilnehmerinnen sollen nach Erhalt des Zertifikats in den Frankfurter Sportvereinen tätig werden.
Ein weiteres positives Beispiel ist das Programm des DSB „Integration durch Sport“, das in der Umsetzung eigenverantwortlich von Landessportbünden durchgeführt wird. Das Programm fügt sich in das Gesamtkonzept der Integrationsförderung der Bundesregierung ein und bietet eine breite Palette von Aktivitäten und Maßnahmen an.
Unsere Sportangebote müssen an der Lebenssituation und an den Bedürfnissen der Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund anknüpfen und auch auf die religiöse Befindlichkeit Rücksicht nehmen. Die Auseinandersetzung über die Wertvorstellungen der Zugewanderten, die Körperempfinden und Sport betreffen, muss offen und ohne Dominanzgebaren geführt werden.
Für Mädchen mit orthodox-muslimischem Elternhaus gibt es teilweise aus ihrem religiösen / kulturellen Verständnis heraus Barrieren, am koedukativen Sportunterricht und am Sportangebot der Vereine teilzunehmen. Die Befreiung vom koedukativen Sportunterricht wurde vor Gerichten erstritten, bringt aber für alle Seiten keine Lösung. Ein behutsamer Umgang und offener Dialog - getragen von Toleranz und Akzeptanz - ist oft hilfreicher als eine Gerichtentscheidung.
Das gilt auch für das sogenannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts vom September 2003. Bundespräsident Johannes Rau hat zu der öffentlichen Diskussion darüber gesagt, dass es für ihn eine neue Runde einer alten Debatte und Auseinandersetzung ist, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und
Überzeugungen aufeinander treffen. Die Hitzigkeit, mit der diese Debatte - konzentriert auf das Kopftuchtragen von Lehrerinnen - geführt wird, ist auch ein Zeichen für die ungelösten Fragen der Integration und hat die Fronten teilweise verhärtet. Klar ist, dass der Staat dafür sorgen muss, dass Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen für unsere Verfassungsziele eintreten, für Menschenwürde, Gleichberechtigung und Demokratie. Dafür braucht der Staat eindeutige Regelungen. Sie sollen nicht auf das abheben, „was auf dem Kopf ist, sondern auf das, was im Kopf ist“.
Gemessen an dem Bevölkerungsanteil der ausländischen Mitbürgerinnen von 9 % ist der Mitgliederanteil in Sportvereinen mit 1% noch unterdurchschnittlich. Schon jetzt gilt aber, dass Migratinnen und Migranten in den Sportvereinen häufiger organisiert sind als in anderen Vereinen unserer Gesellschaft. Das ist aber kein Grund zum Ausruhen. Wir müssen die Chance nutzen, den Sport als Medium im interkulturellen Dialog erfolgreich einzusetzen, wie wir es bereits in einigen anderen Feldern tun.
Für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sind unsere Angebote heute nur in Ansätzen vorhanden. Sport für alle, gilt aber auch für alle – ob mit oder ohne Kopftuch!