Zum Inhalt springen

„Es geht allen darum, die Spiele endlich wieder nach Deutschland zu holen“

Stephan Brause (50), Leiter der Stabsstelle Olympiabewerbung im DOSB, erläutert die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer erfolgreichen Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

03.06.2025

Ein Mann steht hinter einem Pult und lächelt
Stephan Brause arbeitet seit 2022 für den DOSB.

DOSB: Stephan, dem DOSB liegen vier spannende Konzepte für eine Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele vor, die Medien berichten bundesweit ausführlich. „Plötzlich wollen alle Olympia“ las man vergangene Woche in der BILD - was bewirkt eine solche Schlagzeile aus deiner Sicht?

Es gehört glücklicherweise nicht zu meinen Aufgaben, die Auswirkungen medialer Schlagzeilen zu analysieren. Aber ich finde, dass es für den Sport weitaus Schlimmeres gibt als den Fakt, dass die vier bevölkerungsreichsten Städte unseres Landes und acht der 16 Bundesländer mit großer Überzeugung die Olympischen und Paralympischen Spiele ausrichten wollen. Das ist ein starkes Zeichen für die Olympische Bewegung in Deutschland. Und dafür, dass der gesamtgesellschaftliche Mehrwert, den modern und nachhaltig gestaltete Sportgroßveranstaltungen auslösen können, stetig wachsende Anerkennung erfährt. Mich „stört“ lediglich das Wort plötzlich in der Schlagzeile.

Wieso?

Weil der Status Quo kein plötzliches Zufallsprodukt ist, sondern das erfreuliche Zwischenergebnis eines langfristig angelegten Prozesses. Als sich der DOSB Ende 2022 auf den Weg gemacht hat, einen erneuten Bewerbungsversuch anzugehen, war die Ausgangslage durchaus noch eine andere. Nach sieben, zählt man die Rhein-Ruhr-Initiative für 2032 dazu, erfolglosen Bewerbungsversuchen hat nicht sofort jeder gerufen „Hurra, versuchen wir es ein achtes Mal“, als die Idee bekannt wurde. Deshalb war es richtig und wichtig, dass sich der DOSB für den neuen Anlauf Zeit genommen und zunächst einmal in Gesellschaft, Politik und selbst den eigenen Strukturen Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet hat. Wir mussten auf vielen Ebenen glaubwürdig aufzeigen, dass vor allem der langfristige Reformprozess beim IOC bis hin zur Agenda 2020+5 dazu führen wird, dass Olympische Spiele der Zukunft anders aussehen können. Dass sich diese „neuen Spiele“ dem Gastgeber anpassen. Und nicht mehr - so wie noch bei den letzten deutschen Anläufen der Fall - der Gastgeber den Spielen. Wenn ich dann jetzt so eine Schlagzeile lese, denke ich, dass diese Überzeugungsarbeit ihren Teil dazu beigetragen hat. Aber vor allem haben uns auch die vielen erfolgreichen Sportgroßveranstaltungen in Deutschland der vergangenen Jahre, wie die European Championships 2022, die Special Olympics World Games 2023 und die Fußball-EM 2024, geholfen. Und natürlich die Spiele von Paris im vergangenen Jahr, die für viele Menschen den eindrucksvollen Nachweis erbracht haben, dass es tatsächlich möglich ist, Olympische und Paralympische Spiele als urbanes, kostenreduziertes und nachhaltiges Event auszurichten. 

Bis Herbst 2026 soll final entschieden sein, mit welcher Stadt bzw. Region sich der DOSB bewerben wird. Was sind die wichtigsten Arbeitsthemen, die nun in den kommenden Wochen und Monaten vor dir und deinem Team in der Stabsstelle Olympiabewerbung liegen?

Unsere Kernaufgabe der nächsten Monate ist es, die eingereichten Konzepte zum einen auf die Erfüllung der operativen Mindestanforderungen zu überprüfen. Also rein objektiv festzustellen, ob die Durchführung der Spiele auf Grundlage der vorliegenden Konzepte in den Bewerberregionen überhaupt möglich ist. Zudem werden wir in enger Abstimmung mit den Olympischen Verbänden und den Bewerberregionen schauen, ob und wie man die Konzepte weiter optimieren kann. Gerade auch schon mit Blick auf den internationalen Wettbewerb. Wir sind ehrgeizig und wollen am Ende des nationalen Prozesses bestenfalls vier Konzepte haben, die auch im internationalen Wettbewerb gewinnen können. Darüber hinaus müssen wir die Konzepte in den kommenden Monaten auch mit einem Preisschild versehen, sprich die jeweiligen Durchführungsbudgets definieren. Diese Aufgabe übernehmen wir, damit die sogenannten OCOG-Budgets der vier Konzepte vergleichbar und nachvollziehbar sind.  Zudem müssen bis zur Mitgliederversammlung im Dezember die nationale Vision einer deutschen Bewerbung sowie die Bewertungsmatrix für die finale Auswahl des deutschen Bewerbers fertiggestellt werden. Langweilig wird es uns also auf keinen Fall.

Wie groß ist dein Team, in welche Kernbereiche seid ihr aufgeteilt?

Mittlerweile arbeiten sechs Kolleg*innen in der Stabsstelle Olympiabewerbung, aufgeteilt in die Bereiche Projekt- und Kommunikationsmanagement. Aber eine solche Bewerbung liegt ja sozusagen in der DNA des DOSB, deshalb arbeiten tagtäglich viel mehr Haupt- und Ehrenamtliche an der Umsetzung. Die Stabsstelle ist dabei der zentrale Maschinenraum, in dem viele Dinge zusammenlaufen und für die Entscheidungsgremien und Mitgliedsorganisationen entwickelt werden.

Du arbeitest sehr viel im Hintergrund daran, das Thema Olympische Spiele in der Gesellschaft zu verankern. Kannst du beziffern, wie viele Termine du dafür pro Monat oder Jahr absolvierst, und worauf kommt es dabei besonders an?

Um das exakt sagen zu können, müsste ich meinen Kalender der vergangenen drei Jahre durchforsten. Aber so drei- bis vierhundert interne und externe Präsentationen und Diskussionsrunden dürften da allein bei mir sicher zusammengekommen sein. Neben den digitalen Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, war und ist diese persönliche Überzeugungsarbeit, die nicht nur ich, sondern viele andere Ehrenamtliche und Hauptamtliche täglich leisten, ganz besonders wichtig. Das haben erst in der vergangenen Woche wieder einige Fragen am Rande der Konzeptpräsentationen gezeigt. 

Was meinst du damit?

Dass sich der Weg zu den Spielen und die Durchführungsmöglichkeiten extrem verändert haben und sich gerade auch unseren Bewerbern ganz andere Möglichkeiten bei der Planung und Umsetzung bieten, ist längst noch nicht überall angekommen. Wir haben in Bezug auf die zahlreichen positiven Auswirkungen der Olympic Agenda 2020 und 2020+5, wie beispielsweise die Reduzierung der Bewerbungs- und Durchführungskosten, noch nicht die kommunikative Durchdringung erreicht, die wir brauchen. Daran müssen und werden wir weiterarbeiten, gerade auch mit Hinblick auf die Referenden in den Bewerberregionen. Dabei geht es nicht um billige PR oder Werbung für Olympische und Paralympische Spiele, sondern um einen ehrlichen Austausch auf Augenhöhe. Wenn jemand nach einer ehrlichen Diskussion und dem Austausch von Argumenten für sich sagt, er ist trotz der Verbesserungen weiterhin gegen Spiele in Deutschland, dann ist das natürlich absolut legitim. Aber das war in den zurückliegenden Jahren eher selten der Fall und wird jetzt, da die vier Konzepte vorliegen, sicher nicht anders werden. Schließlich zeigen diese schwarz auf weiß, dass alle Bewerber ohne eine Vielzahl an kostspieligen Neubauten auskommen. Abgesehen vielleicht von den Olympischen Dörfern – aber angesichts der Tatsache, dass daraus nach den Spielen überall Wohnraum für alle entstehen soll, kann man meines Erachtens in Zeiten des Wohnungsmangels auch über deren Sinnhaftigkeit nicht ernsthaft streiten.

Du bist seit 2022 im DOSB, hast davor viele Jahre beim DFB gearbeitet. In welcher Form lassen sich diese beiden großen Verbände vergleichen, und worin liegt für dich - vielleicht auch im Vergleich mit der Heim-WM 2006 – der Reiz, eine Olympiabewerbung konzeptionell zu begleiten?

Um seinen Job so gut wie möglich zu machen, bedarf es neben einer hohen Resilienz vor allem auch einer festen Überzeugung und Motivation. Gerade dann, wenn es - und solche Phasen gibt es bei Langzeitprojekten, an denen viele Menschen mitwirken, ja immer mal wieder - mal nicht so läuft wie geplant. Und ich ziehe diesen Antrieb tatsächlich aus den persönlichen Erfahrungen, die ich im Betreuerteam der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Heim-WM, aber auch bei Turnieren im Ausland sammeln durfte. Hautnah mitzuerleben, was das „Sommermärchen“ in großen Teilen unserer Gesellschaft nachhaltig ausgelöst hat, hat die bei mir ohnehin schon immer sehr stark ausgeprägte Überzeugung von der gesamtgesellschaftlichen Kraft des Sports auf alle Zeit tief in mir verankert. Gerade deshalb bin ich dankbar, dass ich einen Teil zu diesem Prozess beitragen kann. Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass Olympische und Paralympische Spiele alle Herausforderungen lösen können. Das ist aber auch nicht Aufgabe von Sportgroßveranstaltungen. Ich bin überzeugt, dass allein schon die Aussicht auf das größte Sportereignis der Welt in Deutschland einen Ruck auslösen oder zumindest unterstützen kann, den wir als immer weiter auseinanderdriftende Gesellschaft benötigen, um die zahlreichen Herausforderungen, die vor uns liegen, zielgerichtet und gemeinsam anzugehen.

  • Stephan Brause lächelt

    Die Aussicht auf die Spiele in zehn oder mehr Jahren kann in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zusätzliche Motivation und Handlungsdruck erzeugen, um wichtige Dinge zielgerichtet anzugehen.

    Stephan Brause
    Leiter Stabsstelle Olympiabewerbung
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Ist dieser Ruck das Warum der Bewerbung, über die der DOSB in den vergangenen Jahren so viel diskutiert hat?

    Zumindest ein Teilaspekt davon. Volker Bouffier, der DOSB-Vorstand mit besonderen Aufgaben, hat es unlängst so ausgedrückt: Wir wollen Deutschland fit durch Olympia machen. Ich finde, in dieser Version der nationalen Vision steckt richtig viel. Die Aussicht auf die Spiele in zehn oder mehr Jahren kann in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zusätzliche Motivation und Handlungsdruck erzeugen, um wichtige Dinge zielgerichtet anzugehen. Deshalb ist es wichtig, mit allen Stakeholdern einen Masterplan zu entwickeln, wie die Spiele, bestenfalls schon die Bewerbung, flächendeckend Positives bewirken können. Im Sport geht es dabei - auch das ist kein Geheimnis - nicht nur um den Spitzen-, sondern vor allem auch um den Breitensport. Deshalb weisen die DOSB-Verantwortlichen zu Recht immer wieder darauf hin, dass eine deutsche Bewerbung beispielsweise in einen Goldenen Plan eingebettet werden muss, um die vielen maroden Sportstätten in Deutschland endlich wieder auf Vordermann zu bringen.

    Du hast in allen vier Standorten die Präsentation der Konzepte miterlebt. Ohne sie inhaltlich zu bewerten: Wie haben sich die Bewerber geschlagen, gab es möglicherweise sogar Dinge, die dich überrascht haben?

    Ich war nicht nur bei den Präsentationen dabei, sondern habe auch alle Konzepte sofort gelesen. Nach zwei Jahren gemeinsamer Vorbereitung war ich schon neugierig, was auf dieser Grundlage entwickelt wurde. Und die vier Bewerber haben echt geliefert. Deutschland kann Sportgroßveranstaltungen, und die vier Konzepte, die alle unterschiedliche Akzente setzen, sind ein weiterer Beweis für diese These. Auch wenn das alles noch nicht final ausgearbeitet ist, sind jetzt schon Dinge dabei, die ein Gefühl vermitteln, wie Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland aussehen könnten und die ich persönlich in meiner Gänsehaut-Skala weit oben ansiedeln würde.

    Zum Bewertungsprozess: Welche Kriterien werden in der Stufe 1 geprüft werden und wer ist dafür zuständig?

    In der ersten Stufe geht es vor allem darum, festzustellen, ob die eingereichten Konzepte die operativen Mindestanforderungen, die es in einigen Bereichen gibt, erfüllen. Beispielsweise sollte die Reisezeit für die Athlet*innen zwischen Unterbringung sowie Wettkampf- und Trainingsstätte nie länger als eine Stunde sein. Aber auch die Bereitstellung geeigneter Flächen für das Olympische und Paralympische Dorf oder das International Broadcast Center muss überprüft werden, ebenso die Hotelkapazitäten in den Regionen. Da sich die Vorgaben im Leitfaden, den der DOSB für die Bewerber entwickelt hat, an bekannten und öffentlichen Dokumenten orientiert, bin ich sehr zuversichtlich, dass alle Bewerber diese erste Stufe meistern können. Zumal wir im Prüfungsprozess dauerhaft im Dialog mit den Bewerbern bleiben werden, um etwaiges Optimierungspotenzial gemeinsam zu nutzen.

    Wenn die Stufe 1 abgeschlossen ist, wie erfährt die Öffentlichkeit dann von den Ergebnissen?

    Selbstverständlich werden wir bekanntgeben, wenn die Prüfung abgeschlossen ist. Schließlich ist es für die Gebietskörperschaften wichtig zu wissen, dass sie die nächsten Schritte auf dem Bewerbungsweg einleiten können.

    Nach Stufe 2 - den optionalen Referenden - folgt in der dritten Stufe eine tiefgründige Analyse und Bewertung der Konzepte. Steht hier schon fest, wie dieser Prozess ablaufen wird?

    Unser Ziel ist es, bei der Mitgliederversammlung im Dezember dieses Jahres diesen Prozess vorzustellen. Klar ist, dass in der dritten Stufe die Konzepte, die noch im Rennen sind, vor allem hinsichtlich ihrer internationalen Erfolgsaussichten und der Finanzierung bewertet werden müssen. Hinzu kommt, dass die Punkte, die in Stufe eins noch unabhängig voneinander geprüft werden, dann in Relation zueinander gesetzt werden können. Also ein Konzept, welches kürzere Wege für Athlet*innen ermöglicht als ein anderes, wird in dieser Kategorie dann besser bewertet als ein anderes. Schlussendlich wird es vermutlich eine Matrix mit vielen unterschiedlichen Bewertungskriterien, die den zuständigen Gremien eine gute Grundlage für eine Entscheidung bietet.

    Wie kann sichergestellt werden, dass nach der Auswahl des Kandidaten letztlich alle Regionen in Deutschland hinter einer nationalen Bewerbung stehen?

    Hier liegt der Schlüssel in der Nachvollziehbarkeit der finalen Entscheidung. Wenn die Gründe für alle transparent und nachvollziehbar sind, wird diese auch akzeptiert. Auch bei den Konzeptpräsentationen ist erfreulicherweise immer wieder deutlich gemacht worden, dass es allen Beteiligten vor allem darum geht, die Spiele endlich wieder nach Deutschland zu holen. Wenn uns das gelingt, müssen wir Maßnahmen entwickeln, wie die Spiele vor, während und nach der Durchführung im ganzen Land und in allen Bereichen des Sports nachhaltig wirken können. Hier liefert das Hometown-Konzept der Special Olympics World Games 2023, aber vor allem auch die Spiele von Paris mit dem Programm „Terre de Jeux“ eine interessante Blaupause. Durch die Spiele stehen in jeder Grundschule in Frankreich 30 Minuten Bewegung auf dem täglichen Lehrplan, im ganzen Land sind 5.000 urbane Sportstätten und 275 Schwimmbäder entstanden. Und Deutschland hat schon mit den Spielen von München bewiesen, dass wir nachhaltig einen Mehrwert schaffen können. Die bundesweite Trimm-Dich-Bewegung und der Schulwettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ sind heute noch bekannt. Könnten aber, so zumindest meine Meinung, sicher auch einen „Push“ durch Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland vertragen.

    Nach dem Heimspiel kommt das Auswärtsspiel. Wie schätzt du die internationalen Erfolgschancen ein?

    Da muss ich leider widersprechen - das Auswärtsspiel ist bereits im vollen Gange. Natürlich liegt der Fokus unserer Arbeit aktuell auf dem Heimspiel, denn die letzten beiden Bewerbungen wurden ja hier verloren, aber vor allem die IOC-Mitglieder Michael Mronz und Kim Bui, das DOSB-Ressort Internationales mit Katrin Grafarend an der Spitze sowie die deutschen Vertreter*innen in internationalen Gremien um DOSB-Präsident Thomas Weikert nutzen schon jetzt viele Gelegenheiten, um unsere Bewerbungsabsichten auch auf internationalem Parkett bekannt zu machen.

    Was überzeugt dich, dass es dieses Mal, beim achten Anlauf, mit einer Bewerbung funktionieren wird?

    Im Sport spricht man oftmals von einem Momentum. Ich glaube, es gibt aufgrund der vielen Faktoren, über die wir gesprochen haben, dieses Momentum für eine deutsche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele. Dieses müssen wir in den nächsten Jahren gemeinsam mit allen Beteiligten nutzen. Ich denke, Deutschland ist endlich bereit für die „neuen“ Spiele. Ganz egal, ob in Berlin, München, Hamburg oder der Rhein-Ruhr-Region.

    Verwandte Artikel

    Title

    Title