„Es gibt nichts, was mich mehr prägen könnte als mein Glaube“
Im Rahmen des Diversity-Monats sprechen wir mit Testimonials aus dem Leistungssport zu den Vielfaltsdimensionen des DOSB. Weitspringerin Mikaelle Assani beschreibt in der letzten Folge, welche Rolle der christliche Glaube in ihrem Leben und für ihren Sport spielt.

26.05.2025

Zwei Ketten trägt Mikaelle Assani um ihren Hals, die das symbolisieren, für was die 22 Jahre alte Weitspringerin steht: Die Olympischen Ringe für ihre Hingabe zum Leistungssport - und das christliche Kreuz für ihren Glauben. Sporttreiben ist aktuell nicht möglich, die in Pforzheim geborene Athletin des SCL Heel Baden-Baden, deren Eltern aus Kamerun (Mutter) und Nigeria stammen, laboriert an den Folgen eines bei der Hallen-EM im März erlittenen doppelten Sehnenrisses im linken Oberschenkel. Aber ihr Glaube hilft ihr dabei, die langwierige Regenerationszeit guten Mutes zu überstehen. Darüber wollen wir mit ihr sprechen.
DOSB: Mikaelle, bevor wir in unser Hauptthema einsteigen: Was macht die Genesung, wie geht es dir aktuell?
Mikaelle Assani: Gesundheitlich geht es bergauf, ich muss nicht mehr an Krücken gehen. Die größte Herausforderung ist aktuell, dass ich nicht zu viel mache und dadurch meine Grenzen überschreite. Bei so einer Verletzung darf man nichts überstürzen. Aber ich werde sehr gut betreut und bin guter Dinge, dass die Heilung weiterhin nach Plan verläuft. Die Saison ist allerdings höchstwahrscheinlich für mich beendet.
Erinnerst du dich daran, wann und wie du erstmals mit dem Thema Religion in Berührung gekommen bist?
Es gab nie einen Teil meines Lebens, in dem der Glaube keine Rolle gespielt hat. Er hat mich auf meinem Weg immer begleitet. Meine ganze Familie ist sehr religiös, es wurde mir also in die Wiege gelegt. Die freichristliche Gemeinde in Karlsruhe, in der wir zu dem Zeitpunkt, an dem meine aktive Erinnerung einsetzt, immer waren, gibt es heute nicht mehr. Ich erinnere mich aber sehr intensiv daran, wie dort Gemeinschaft gelebt wurde. Das war schon damals das Wichtigste für mich.
Wann und wie hast du selbst gespürt, dass der Glaube ein wichtiger Teil deines Lebens sein soll?
Diese Bewusstheit habe ich schon als Kind gehabt. Natürlich habe ich mich in meinem Glauben stetig entwickelt und nach und nach immer tiefer gespürt, wie wichtig er mir ist. Aber schon in der Grundschule habe ich ein inniges Vertrauen in den Glauben entwickelt. Meine Freunde waren zum Großteil in der gleichen Gemeinde, der Glaube war entsprechend fast immer ein Thema.
Wie habt ihr damals euren Glauben praktiziert, und wie ist das heute, da du seit einem Jahr nicht mehr zu Hause wohnst?
Wir waren damals fast jeden Sonntag in der Kirche, und wenn es mal nicht möglich war, haben wir im Kreis der Familie gemeinsame Bibelstunden abgehalten. Gebetet wurde mehrmals täglich: Tischgebete, aber auch Fürbitten oder Lobpreisungen zu anderen Gelegenheiten. Gebete waren schon immer ein selbstverständlicher Teil meiner Routine, so wie Zähneputzen. Wir führen eine Beziehung mit Gott, und diese Beziehung muss gepflegt werden. Das ist heute nicht anders, auch wenn sich die Beziehung als junger erwachsener Mensch verändert. Aber ein wichtiger Bestandteil meines Alltags bleibt der Glaube immer. Ich lese die Bibel und bete, wenn mein Herz sich danach sehnt.
Welche Rolle spielt die Kirche als Institution für deinen Glauben?
Sie ist ein Baustein, um ihn zu verstärken. Aber sie ist nicht der Mittelpunkt, sondern ein Ort der Gemeinschaft, an dem ich meinen Glauben ausleben kann. Die Kirche und deren Mitglieder sind ein weiterer Weg, mich in meinem Glauben zu stärken und zu lenken.
Gibt es einen kirchlichen Feiertag, der dir besonders wichtig ist?
Weihnachten ist ein Fest, für das ich sehr dankbar bin, weil es die Gemeinschaft extrem fördert. Aber die herzlichste Verbindung zum Glauben spüre ich an Ostern. Die Geschichte der Auferstehung berührt mich sehr, ich bin in dieser Zeit wirklich ganz besonders emotional.
Wie hilft dein Glaube dir ganz konkret, im Sport wie auch im Alltag?
Es tut mir einfach sehr gut, an Wettkampftagen zu beten. Vor einem Wettkampf lese ich gern in der Bibel, um mich auf mich und die Beziehung zu Gott zu konzentrieren. Das ist wie die berühmte Ruhe vor dem Sturm, ich setze damit den Ton für den Wettkampf. Währenddessen suche ich ebenfalls die Verbindung zu Gott, durch Fürbitten, aber auch durch Lobpreisung mit Gesang. Und nach dem Wettkampf danke ich für alles, was er mir ermöglicht hat. Im Alltag ist das Erste, was ich tue, mich am Morgen dafür zu bedanken, dass ich aufgewacht bin, denn auch das ist nicht selbstverständlich. Vor dem Schlafengehen danke ich für den Tag.
Betest du lieber allein oder in Gemeinschaft?
Beides gefällt mir. Ich bin sehr dankbar, dass Yemisi Ogunleye (Kugelstoß-Olympiasiegerin von Paris, d. Red.) ihren Glauben ebenfalls sehr offen lebt. Mit ihr bete ich sehr oft gemeinsam oder lese Bibelverse, besonders während Meisterschaften und Trainingslagern, und das tut mir sehr gut.
Welche Rolle spielen Seelsorger außerhalb deiner kirchlichen Gemeinschaft, die zum Beispiel bei großen internationalen Sportveranstaltungen vom DOSB entsandt werden?
Ich finde das eine coole Sache, dass es so etwas gibt. Aber ich gestehe, dass ich davon in Paris erst sehr spät erfahren habe. Ich glaube, dass es vielen so geht, weil der Fokus so klar auf den Sport gerichtet ist und die, die gläubig sind, ihre eigenen Rituale haben. Deshalb kann ich persönlich nicht viel zu dieser Frage sagen, ich schließe aber keinesfalls aus, diese Dienste zukünftig in Anspruch zu nehmen.
Welche Erfahrungen hast du mit Sportler*innen anderer Konfessionen im Hinblick auf den Umgang mit Religion gemacht?
Noch nicht viele. Wenn es sich mal ergibt, redet man darüber, und natürlich fällt mir auf, dass viele aus ihrem Glauben Kraft schöpfen. Aber mit anderen Konfessionen hatte ich im Sport noch nicht viele Berührungspunkte. Viel häufiger kommt es vor, dass ich mit Menschen rede, die gar nicht glauben. Viele von ihnen können nur schwer verstehen, welchen Wert und Einfluss der Glaube für mich hat, aber man findet zumeist trotzdem zueinander, kann gegenseitiges Verständnis erlernen und einüben. Ich hatte zum Beispiel schon einige interessante Gespräche mit Ärzten, die aus der Wissenschaft kommen und sich mit dem Glauben sehr schwer tun. Als ich mich verletzt habe, schrieb mir einer dieser Ärzte, dass er nun viel besser nachvollziehen könne, wie mir mein Glaube in so einer Krise helfen kann.
Wo erleichtert ein gemeinsamer Glaube den Umgang miteinander, und auf welche Art kann ein unterschiedlicher Glaube Menschen trennen?
Gemeinsamer Glaube erleichtert das Leben in vielen Bereichen. Wenn Grundwerte wie Nächstenliebe und Respekt voreinander von beiden Seiten getragen werden, ist das eine sehr wichtige Grundlage. Konflikte entstehen meist dann, wenn man den Menschen nicht von seiner Religion trennt. Wenn die eigene Interpretation des Glaubens negative Folgen hat, weil dadurch andere Menschen abgewertet werden, kommt es zu Reibereien. Dann geraten die Grundwerte leider manchmal in Vergessenheit. Zum Glück habe ich selbst das noch nicht erlebt. Ich versuche immer zu verstehen, wo andere Menschen ihre Basis haben, und mich darauf einzulassen. Mein Freundeskreis ist nicht sehr christlich. Ich versuche niemals, in irgendeiner Form zu missionieren, aber spiegele oftmals anhand meines Verhaltens und meiner Denkweise meinen Glauben wieder, so dass es oft zu Gesprächen über den Glauben kommt.
Gab oder gibt es Momente in deinem Leben, in denen dir der Glaube im Weg steht, zum Beispiel, weil du dir zu viel Druck damit machst, Gott gefallen zu wollen oder Anforderungen erfüllen zu müssen?
Nein, gar nicht. Ich stehe mir sicherlich als Person manchmal im Weg und kann dann nicht auf meinen Glauben in der Form zugreifen, wie es nötig wäre. Ich bin nur ein Mensch, ich kenne Situationen, in denen das Selbstvertrauen und auch das Vertrauen in Gott geringer sind. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Zweifel sind menschlich, aber mir gelingt es immer wieder, das Vertrauen in Gott aufrecht zu erhalten.
Denkst du, dass gläubige Menschen bessere, weil fairere Athlet*innen sind?
Auf keinen Fall kann man das pauschalisieren. Ich denke schon, dass ein Netzwerk aus gläubigen Sportlerinnen und Sportlern helfen kann, eine positive Atmosphäre zu kreieren. Zumindest waren bislang alle Athletinnen und Athleten, die ich getroffen habe und die gläubig waren, sehr nette, tolerante Menschen. Aber daraus abzuleiten, dass gläubige Menschen grundsätzlich fairer sind, wäre ein Trugschluss.
Worin siehst du den Unterschied zwischen Glaube und Aberglaube, der für viele Sportler*innen auch eine Rolle spielt?
Der Unterschied liegt darin, dass man sich beim Aberglauben an Vertrautes zu klammern versucht, das in meinem Glauben aber von unserem Schöpfer beeinflusst wird. Deshalb bin ich nicht abergläubisch, sondern setze lieber mein ganzes Vertrauen in die Instanz, die alles erschaffen hat. Ich setze mich nicht mit Ritualen unter Druck, sondern kann eine Lockerheit in meinen Wettkampf einbringen, weil ich daran glaube, dass alles, was passiert, von Gott gelenkt wird. Und wenn die Dinge dann nicht so laufen, wie ich sie mir vorgestellt oder erhofft habe, dann vertraue ich darauf, dass Gott einen anderen Plan für mich vorgesehen hat, der noch besser ist. Deshalb kann ich auch meine Verletzung als etwas annehmen, das so passieren sollte, da ich auf Gott vertraue, dass er das in die für mich richtigen Wege lenkt.
Was denkst du über Menschen, die die Liebe zu einem Sportverein als Ersatz für Religion betrachten?
Ich urteile darüber nicht, denn ich kann nachvollziehen, dass es in solchen Gruppen auch um eine Leidenschaft geht, in die Menschen ihr Herz einbringen und in denen Rituale verbinden und dadurch Kraft geben. Persönlich kann ich nicht verstehen, wie etwas Menschengemachtes wie ein Sportverein Glauben ersetzen kann. Ich profitiere auch von vielem Weltlichen, das ich erlebe. Aber für mein Dasein gibt es nichts, was mich mehr prägen könnte als mein Glaube.
Muslime sollen mindestens einmal im Leben nach Mekka pilgern. Gibt es Ähnliches, was du dir vorgenommen hast?
Ich würde sehr gern einmal nach Jerusalem reisen, das fände ich kulturell sehr bereichernd. Auch an einen im Christentum heiligen Ort wie Lourdes zu pilgern, könnte ich mir sehr gut vorstellen. Da schwirren also ein paar Dinge in meinem Kopf herum.
Zunächst einmal musst du allerdings wieder gesund werden. Es heißt ja, dass Gesunde viele Wünsche haben, Kranke aber nur den einen, wieder gesund zu werden. Haben sich deine Wünsche in deinen Gebeten während der Verletzung verändert?
Nicht wirklich. Gott ist weiterhin mein täglicher Begleiter, und die Themen sind immer die gleichen, nur etwas anders priorisiert. Der Fokus liegt aktuell vielleicht etwas mehr auf Gesundheit und auf Schutz. Es sind aber auch weiterhin viele Danksagungen dabei für Dinge, die im Alltag wichtig sind, ob mit oder ohne Verletzung. Es ist eine Mischung aus allem, aber genau das macht den Glauben ja so interessant.