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Feste, Fälle, Fernbedienung: 365 Tage Sport

Zum Jahresende läßt Andreas Höfer das Sportjahr Revue passieren und erinnert sich noch einmal an wichtige Momente. Der Autor ist Direktor der Deutschen Olympischen Akademie (DOA).

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

19.12.2012

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass die menschlichen Sinnesorgane mit einer stetigen Folge von Reizen konfrontiert werden. Und zwar immer schneller, höher, stärker. Nach den Spielen ist vor denselben und die Zeit dazwischen immer knapper bemessen. Fast ist man geneigt, das olympische Motto als ein Menetekel zu begreifen, das die Risiken und Nebenwirkungen eines schier uferlosen Fortschritts in den Blick rückt.

Tatsächlich bietet sich eine nie gekannte Fülle an Optionen, die uns eine schöne neue Welt, zugleich aber auch die Begrenztheit unserer Möglichkeiten vor Augen führt. So versteht sich die bisweilen verlautete Klage, dass kaum je Zeit bleibt, von Muße zu schweigen, selbst außergewöhnliche Erfahrungen hinreichend wirken zu lassen, um die frei gewordene Energie für kommende Herausforderungen nutzbar zu machen.

Gerade am Jahresende aber muss es nicht nur erlaubt, sondern auch sinnvoll erscheinen, trotz aller Termine und Verpflichtungen einmal einen Augenblick innezuhalten und das Gewesene Revue passieren zu lassen. In aller Ruhe am besten, denn dann ließe sich auch noch die Frage aufwerfen: Was folgt wohl daraus?

Wenn man also in diesem Sinne versucht, sich 365 Tage Sport vor Augen zu führen, dürfte das nicht ungewohnte Gefühl Platz greifen, ganz vieles erlebt, aber wohl mindestens ebenso so vieles verpasst und/oder vergessen zu haben. Das liegt wohl in der Natur der Sache, hat sich der Sport doch längst zu einem allgegenwärtigen Begleiter unseres Alltags entwickelt, dessen Präsenz und Relevanz sich nur von solchen bestreiten lässt, die gegenüber der Faszination von Bewegung und Wettkampf von Hause aus immun sind. Auch das soll es ja geben.

Zudem tritt das Phänomen in so vielen Spielarten und Facetten zu Tage, Soziologen würden wohl den entsprechenden Fachterminus mit dem Adjektiv „ausdifferenziert“ verbinden, dass es eigentlich nicht mehr geboten erscheint, vom Sport im Singular zu sprechen. Ganz zu schweigen von der sich stetig exponierenden Zahl von Toren, Punkten, Meisterschaften, die unser menschliches Gehirn und zwar in seinen beiden Hälften, auf eine zunehmend harte Probe stellt.

Können wir, jedenfalls die meisten von uns, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, nicht täglich stundenlang laufen, schwimmen, rudern, boxen oder einem Ball nachjagen, so sind - leider, zum Glück - auch die Kapazitäten für Fiebern, Jubeln, Frustabbau genetisch begrenzt. So bleibt am Ende nolens volens die Konzentration aufs Wesentliche, was immer dies im individuellen Zweifelsfall auch sein mag.

In diesem Sinne mag man dem Autor dieser Zeilen nachsehen, wenn er - nichts gegen Fußball oder Sebastian Vettel - seiner persönlichen Präferenz Ausdruck verleiht und das Sportjahr 2012 zumindest an dieser Stelle in einem einzigen Stichwort einzufangen versucht, um sich den Umstand zu Nutze zu machen, dass eben dazu schon fast alles gesagt ist, wenn auch vielleicht noch nicht von jedem.

Sagen wir also nur „London“ und lassen dem freien Spiel der Assoziationen und Konnotationen freien Lauf. Und wenn wir dabei voller Nach-Freude und mit anhaltender Begeisterung an olympischen Glanz und sportliches Gloria, also zum Beispiel auch an Medaillen denken, dann rückt geradezu zwangsläufig, so ist es nun mal, auch die Kehrseite derselben in den Blick und in Erinnerung. Schließlich ist auch dies kaum mehr als eine Binsenweisheit, dass jede den Sport betreffende Bilanz, ob als Ergebnis oberflächlicher Betrachtung oder tiefschürfender Analyse, ebenso Soll wie Haben ausweisen wird. Und will man wie das Licht auch den Schatten beim Namen nennen ohne viel Worte machen zu müssen, dann lässt sich, stellvertretend für viele und vieles, Lance Armstrong ins Feld führen, denn dann weiß man schon, was gemeint ist.

Natürlich waren, und so wird es auch nach Silvester wohl bleiben, auch in den vergangenen, sagen wir zwölf Monaten die Dinge im Sport wie im richtigen Leben viel komplizierter als es in wenigen Sätzen dargelegt werden könnte. Würde es anders werden, wäre er wohl nicht mehr von Menschen organisiert, betrieben, beobachtet und kommentiert.

Gleichwohl muss trotz, nein wegen aller Misslichkeiten das Engagement für den Sport, für sein Potenzial, für die ihm innewohnenden Werte und Optionen und zwar jenseits von „Rettungs-routine“, um das akut gekürte „Wort des Jahres“ zu bemühen, über den Tag und das Feuerwerk hinaus an welcher Stelle und auf welche Weise auch immer als lohnend erscheinen. Denn „Lebbe“ („das Leben“) geht weiter und es liegt an uns, was wir daraus machen.

Blicken wir also ebenso zurück wie nach vorn, und wenn es denn hilft, dann mag uns die Leinwand-Weisheit von Sonny, des jugendlichen Managers des „Best Exotic Marigold Hotel“ im indischen Jaipur anleiten, der in einem der schönsten Filme des Jahres allen Misslichkeiten und Schicksalsschlägen trotzte und seine Gäste und sich selbst mit entwaffnendem Lächeln beschwor: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist das noch nicht das Ende.“

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