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Ganztag als Chance: Vereine als Bildungspartner der Schulen

Die Fachkonferenz von DOSB und dsj untersucht Wirkungen der schulpolitischen Änderungen auf Vereinsebene und im Freizeitverhalten der Kinder.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

23.11.2011

Daten, Fakten, empirische Befunde – das ist es, was der organisierte Sport in Deutschland braucht. Doch davon gibt es immer noch zu wenig. Zumindest dann, wenn es um die Auswirkungen der schulpolitischen Veränderungen auf den Nachwuchs in den Sportvereinen geht. Ganztagsschulen und „G 8“, die auf acht Jahre verkürzte Gymnasialzeit, bereiten den Funktionsträgern im Sport nämlich große Sorgen. Bei der Fachkonferenz Sport & Schule, am 17. November in Frankfurt am Main, wurde dies besonders deutlich.

Bei der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Deutschen Sportjugend (dsj) gemeinsam veranstalteten Tagung, die DOSB-Präsident Thomas Bach eröffnete, waren 150 Vertreter der verschiedenen Mitgliedsorganisationen zugegen. Die meisten davon sind sehr besorgt über die zukünftige Rolle der Vereine, was die Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen angeht. Objektive Studien darüber, ob das Freizeitverhalten von Ganztagsschülern und geplagten Gymnasiasten tatsächlich wegen der Schule weniger im Verein stattfindet, fehlen jedoch bislang.

Derzeit stützen sich die Erkenntnisse von DOSB und dsj zum einen auf eine Online-Befragung, die subjektive Eindrücke ihrer Mitgliedsorganisationen gesammelt hat. Des Weiteren auf eine empirische Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), die vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt, dem Deutschen Jugendinstitut in München, dem Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund und der Uni Gießen durchgeführt wurde.

Geht den Vereinen der Nachwuchs aus?

Entsprechend einer internen Online-Befragung des DOSB/dsj entsteht der Eindruck, dass viele Verbände glauben, dass ihren Sportvereinen wegen der ausgedehnten Schul- und Lernzeiten bald der Nachwuchs ausgehe. Die bundesweite StEG-Studie – auf der Fachkonferenz von Ivo Züchner (DIPF) vorgestellt – präsentiert jedoch Fakten, die eine ganz andere Realität zeigen: Da Bildung Ländersache ist, wird die Form der Ganztagsschule sehr unterschiedlich gehandhabt. So ist zu unterscheiden zwischen Schulen mit gebundenen, also verpflichtenden Ganztagssystemen und dem freiwilligen Ganztagsangebot.

Dürfen sich die Schüler ihr System aussuchen, so zeigt sich je nach Land, dass sich durchschnittlich 25 bis 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler am Ganztagsangebot beteiligen. Der Ganztag an Grundschulen kann sich bis auf fünf Tage in der Woche ausdehnen. An weiterführenden Schulen besuchen mehr als 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler nur an ein bis zwei Tagen das Ganztagsangebot. Das heißt: Die begehrten Klubkandidaten hätten durchaus die Chance ihre Vereinsaktivitäten auf den Nachmittag zu legen. So stellt sich die Frage, ob die Ganztagsschule wirklich die Verantwortung für die Vereinssituation trägt. Oder ob es nicht andere Gründe sind, die den pubertierenden Nachwuchs vom organisierten Sport abhalten.

Die Online-Befragung des DOSB ergab nämlich, dass in den Fachverbänden nur wenige empirische Daten vorliegen, die die Wirkungen der schulpolitischen Änderungen auf Vereinsebene und im Freizeitverhalten der Kids aufzeigen. Nicht für den Ganztag und nicht für G 8.

Es fehlen Studien zum Thema

Es fehlen also repräsentative Untersuchungen zum Thema, denn hieraus resultieren mögliche Forderungen auf politischer Ebene. Schließlich ist der gesellschaftliche Wert der Vereinsarbeit unumstritten. Mit der neuen Situation wurden die Vereine jedoch alleine gelassen. Also sind DOSB und dsj dazu aufgerufen, dieses Dilemma in der Kommission „Sport“ der Kultusministerkonferenz (KMK) vorzutragen.

DOSB-Vizepräsidentin für Bildung und Olympische Erziehung, Professorin Gudrun Doll-Tepper, und Tobias Dollase, Vorstandsmitglied der dsj, können so jedenfalls mit einem klaren Auftrag in die nächste Sitzung der Kontaktkommission zwischen DOSB und KMK gehen. Dort wollen sie „als Interessenvertreter Impulse und die bislang bekannten empirischen Befunde vortragen“, so Doll-Tepper.

Empirisch belegt ist mit der StEG-Studie auch, dass in der Grundschule die Hälfte aller Ganztagsschüler noch mindestens ein Mal pro Woche im Verein aktiv ist. Auf den weiterführenden Schulen nimmt das Vereinsengagement mit zunehmendem Alter leicht ab. Je älter die Kinder werden und je öfter der Ganztag stattfindet, umso mehr gilt das. Neu ist diese Tendenz allerdings nicht. Es müssen also die wahren Gründe erforscht werden, weshalb sich Jugendliche weniger in Vereinen engagieren.

Vereine müssen die Initiative ergreifen

Deshalb sind die Vereine aufgerufen weiterhin die Initiative zu ergreifen. „Ganztagsschulen, die ein gutes Sportangebot haben, werden meist auch von den Eltern als sehr positiv wahrgenommen“, sagt Züchner. Ein ideales Argument für Vereine sich dort einzubringen, wo noch Bedarf besteht. Hilfreich mag es manches Mal für die Kooperation zwischen Schule und Verein sein, wenn beispielsweise ein Lehrer Vereinsmitglied ist. Netzwerkarbeit ist also angesagt. Dennoch brauche man viel Geduld, um etwas zu bewirken, so Züchner: „Schulen entwickeln sich langsam.“

Die Untersuchungen haben erfreulicherweise auch ergeben, wo sich ganz neue Chancen auftun. So liegen 20 Prozent des Schülerpotenzials völlig brach, weil die Kids außerhalb der Schule gar nicht auf die Idee kommen Sport zu treiben. Falls überhaupt, beschäftigen sie sich nur im Ganztag mit Sport. Wenn Vereine es schaffen, mit der Schule zu kommunizieren, ihre Angebote in die Schule tragen oder den Schulen die Vereinsräume anbieten und mit ihren Kursen den Funken überspringen lassen, würden sie hier eine ganz neue Zielgruppe erreichen.

„Ich sehe hier Chancen und Potenzial für den Verein, wenn er sich noch stärker der Benachteiligtenförderung widmet“, sagt Gudrun Doll-Tepper. „Etwa in der Ansprache bildungsferner Schichten oder hinsichtlich der Inklusion.“ Das Hauptaugenmerk der Vereine liege nämlich derzeit in der Freizeit- und Talentförderung. Um sich als Bildungspartner für Schulen interessanter zu machen, sollte man diese Chance ergreifen.

Lernen dehnt sich über die Schulzeit aus

Unter den weiterführenden Schulen bestehen vor allem unter den integrierten Gesamtschulen (IGS) Ganztagssysteme. Ein Vorteil für die Vereine. Denn eine funktionierende Ganztagsschule legt wert auf einen rhythmisierten Schultag. Deshalb gibt es hier Platz für Angebote - auch, weil eine IGS keine verkürzte Gymnasialzeit kompensieren muss. Unter G 8 sieht das wieder ganz anders aus.

„Für die Schüler bedeutet G8 mehr Lernen in kurzer Zeit“, meint Tobias Dollase. „Und das Lernen dehnt sich über die Schulzeit hinaus aus.“ Das behindere abermals den Vereinssport in der Freizeit, vermuten viele Vereinsvertreter. Allerdings fehlen wiederum Studien, die ein reales Bild ermöglichen. „Wir müssen untersuchen, wie G8 die Freizeit der Kinder verändert. Und wir müssen uns fragen, wie man im Osten damit umgeht, wo schon immer nur zwölf Jahre Zeit fürs Abitur blieb.“

G 8 wird im Westen problematischer gesehen als im Osten

So werde die Umstellung auf G8 im Westen offenbar problematischer wahrgenommen als in den neuen Bundesländern, sagt Dollase. Ein Indiz für diese These könnten die Teilnehmer gewesen sein, die das Gesprächsforum besucht haben, das die Auswirkungen der verkürzten Gymnasialzeit auf die Vereine diskutiert hat. Es wurde ausschließlich von Interessenvertretern aus Fachverbänden der alten Bundesländer besucht.

Erste Daten soll indes bald eine neue Studie von Professor Ralf Laging von der Uni Marburg liefern, die die Deutsche Sportjugend mit der Sportjugend Hessen initiiert hat. Darin werden 1.800 hessische Schülerinnen und Schüler des Doppeljahrgangs aus G 8 und G 9 retrospektiv über ihr Sport- und Freizeitverhalten befragt.

Insgesamt zeigte die Tagung, in der es auch um die Überprüfung der Rahmenvereinbarungen zwischen Ländern und Landessportbünden, Sportstättennutzung und das sportartspezifische Angebot an Ganztagsschule ging, dass es um den Vereinssport nicht so schlimm bestellt ist, wie es vielerorts empfunden wird. Wenngleich große regionale Unterschiede in der Nachwuchsentwicklung der Vereine bestehen.

„Aber man muss die Problematik differenziert betrachten“, so Boris Rump, Referent für Bildung und Olympische Erziehung im DOSB. Vor allem seien es auch die ehrenamtlichen Strukturen, die es den Vereinen heutzutage schwerer machten sich durchzusetzen. „Sie müssen mit anderen Anbietern konkurrieren, die meist auf hauptberufliche Mitarbeiter setzten“, sagt Rump. Im Verein laufe zudem vieles ohne angemessene Bezahlung der Trainer. „Auf Dauer geht das so nicht.“

(Quelle: DOSB/Yvonne Wagner)

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