„Habt Mut zu Konflikten, ihr seid eine unglaubliche Kraft“
Beim ersten Hearing zum Thema „Antidemokratische Haltungen und Handlungen im Sport“ bekamen DOSB und dsj einen tiefen Einblick in die Herausforderungen ihrer Mitgliedsorganisationen – und viele Anregungen, wie Abhilfe zu schaffen wäre.

16.09.2025

Der besondere Geist, der diesen bemerkenswerten Tag prägte – er schien greifbar, als Tahera Ameer ihren eindringlichen Appell an die Versammlung richtete. „Habt bitte Mut! Der Sport ist eine wichtige Größe im Kampf für die Demokratiebewegung, und er ist bereit dafür, das habe ich heute gespürt“, rief die Programmvorständin der Amadeu-Antonio-Stiftung den rund 70 Menschen zu, die am 8. September zum ersten Hearing zum Thema „Antidemokratische Haltungen und Handlungen im Sport“ in die Zentrale des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt am Main gekommen waren. Ameer, die mit so viel Verve und Empathie zu diskutieren vermag, ist Mitglied im Menschenrechts-Beirat des DOSB und engagiert sich seit vielen Jahren für die Einhaltung der Menschenrechte und im Kampf gegen extremistische Demokratiefeinde.
Was sie in ihrem Impulsvortrag zu sagen hatte, rüttelte auf und setzte den Ton für das, was in den kommenden Jahren auch auf den organisierten Sport zukommt. „Antidemokratische Netzwerke haben Geld, Einfluss und internationale Verbindungen. Sie sind längst ein Bewegungsapparat, der unsere Demokratie nicht mehr gestalten, sondern sie angreifen will. Wir müssen uns dieser Realität stellen: Es geht nicht mehr darum, dass wir gestaltend tätig sein können. Es geht nur noch darum, die Demokratie in ihren Grundfesten zu verteidigen“, sagte sie. Und weil dieses Bewusstsein sich nach und nach auch in den 102 Mitgliedsorganisationen der Deutschen Sportjugend (dsj) und des DOSB durchsetzt, hatten Michaela Röhrbein, Vorständin für Sportentwicklung, und Benny Folkmann, Vorstandsmitglied der dsj, zu der Zusammenkunft geladen.
„Wir wollten hören, welche Herausforderungen unsere Mitglieder haben, und wir wollten von ihnen lernen, welche Strategien sie schon entwickelt haben und wie wir sie bei deren Bewältigung bestmöglich unterstützen können“, sagte Benny Folkmann. Um diesen Lerneffekt zu ermöglichen, brauchte es ein Dialogforum in Form eines sicheren Raumes. Diesen schufen die Moderatoren des fünfstündigen Forums nicht nur durch ihre stringente Gesprächsleitung, sondern auch dank ihrer standhaften Forderung an das Plenum, sich einzubringen. Nina Reip, in dsj und DOSB seit Anfang dieses Jahres Referentin für Demokratieförderung, und Nico Mikulic, Referent für Jugend- und Sportpolitik bei der Sportjugend Hessen, hatten die Ende Juni entstandene Idee des Hearings in wochenlanger Detailarbeit vorbereitet – und freuten sich sowohl über die zahlenmäßige als auch die qualitative Resonanz und den Mut aller, die sich aktiv beteiligten.
Um den geforderten „Safe Space“ zu garantieren, wurde der erste Teil der Veranstaltung nach der Chatham-Haus-Regel durchgeführt. Diese besagt, dass zwar Inhalte verbreitet, aber nicht deren Urheber kenntlich gemacht werden dürfen, was garantieren soll, dass sich die Teilnehmenden maximal offen und ohne Sorge vor Nachverfolgung äußern können. Und das taten sie! Schnell war spürbar, dass der organisierte Sport aus sich heraus die Kraft und die Haltung mitbringt, demokratische Werte zu verteidigen – und dass er seine Stimme in dieser Debatte erhebt.
Zunächst wurden Themen gesammelt, die die Mitgliedsorganisationen aktuell besonders beschäftigen. Eine Auswahl daraus: Wie gelingt es, Strukturen zu stärken, ohne sie gleichzeitig zu spalten? Wie geht man mit Mitgliedern um, die problematisches Verhalten zeigen, aber für Ämter kandidieren, für die es keine Gegenkandidat*innen gibt? Wie hält man Diskussionsräume offen und findet junge Menschen, die sich im Themenbereich Demokratie und Sport engagieren wollen? Wo ist die Abgrenzung zu Rechtsextremisten zu ziehen, ist die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Partei die Grenze oder bereits die Wahlentscheidung für eine solche?
Im zweiten Diskussionsteil wurden Antworten präsentiert, die auf manche Fragen bereits gefunden wurden. So erfuhr das interessierte Plenum von einem „Werte-Leitbild-Prozess“ einer Jugendsportorganisation, von kostenlosen Angeboten zur Demokratieförderung und Satzungsbausteinen, die zur Nachahmung zur Verfügung stehen. Zum Abschluss des Hearings, dem sich ein Fachaustausch anschloss, wurden Bedarfe formuliert, die die Mitgliedsorganisationen gern erfüllt sähen: mehr Handlungsempfehlungen und Rechtssicherheit auf dem Feld des Umgangs mit Antidemokrat*innen; verstetigte Bildungsangebote; verpflichtende Demokratieschulung für Kaderathlet*innen; und eine verbesserte Infrastruktur auf DOSB-Ebene, um mehr Beratung zu ermöglichen.
Letzteres würde Michaela Röhrbein gern umsetzen. „Wir sind froh, dass wir zunächst die Stelle von Nina Reip einrichten konnten. Aber wir sehen, dass überall Bundesprogramme zur Demokratieförderung zusammengestrichen werden. Deshalb lobbyieren wir dafür, ein Kompetenzzentrum für politischen Dialog aufbauen zu können“, sagte sie. Die Überzeugung, dass DOSB und dsj bereits eine Reihe guter Angebote aufweisen können, habe sie weiterhin. „Aber wir müssen diese Angebote noch stärker an diejenigen bringen, die es angeht. Da können wir besser werden!“
Den Eindruck, dass der organisierte Sport für die Abwehrgefechte gegen antidemokratische Einflussnahme sehr anständig aufgestellt ist, teilte auch Richard Gebhardt. Der Politikwissenschafter und Publizist stellte in seinem Impulsvortag das Gutachten zur Sportpolitik der in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden Alternative für Deutschland (AfD) vor und lobte, „dass die Äußerungen von Vorständen im DOSB und in der dsj in Bezug auf die AfD sehr klar sind und auch sehr gute Handreichungen für den Umgang mit antidemokratischen Haltungen und Handlungen erstellt worden sind.“
Seine Empfehlung: Der organisierte Sport müsse dringend verstehen, dass es mit Antidemokrat*innen einen deutlichen Wertekonflikt gebe – und deshalb Ross und Reiter nennen. „Die AfD muss dezidiert als Gegner markiert werden. Würde ihre Anbiederungstaktik verfangen, wären demokratische Werte nicht mehr als schöne Sonntagsreden.“ Verbände könnten zwar parteipolitisch neutral sein, wertepolitisch aber auf keinen Fall. Populistische Parteien zögen ihren Erfolg daraus, dass sie einfache Lösungen anböten, die in der Praxis aber nicht umsetzbar seien. „Die einfache Gegenthese zu den Verheißungen der AfD bietet der Sport jeden Tag tausendfach auf den Sportplätzen und in den Hallen, weil er dort zeigt, dass Integration und Inklusion in der Praxis sehr gut funktionieren.“
Bei so viel nützlichem Input wären die Initiatoren des Hearings am liebsten sofort in die Umsetzung gegangen. Zunächst jedoch sollen die vielen Eingaben erfasst und dokumentiert werden, um die nächsten Schritte einzuleiten. Nina Reip war besonders von der Vielstimmigkeit angetan, die den Sport auszeichnet. „Es tat gut, sich damit zu beschäftigen.“ Nico Mikulic will die Erkenntnis im Herzen bewegen, „dass wir beim Thema Rechtsextremismus zu oft auf den Osten schauen und ihn dadurch stigmatisieren, anstatt aus seinem Erfahrungsschatz zu lernen.“
Benny Folkmann hat drei Lernfelder ausgemacht: „Aktuell stellt der Rechtsextremismus die größte gesellschaftliche Gefahr für den Sport dar. Die AfD ist die Exekutive dieser Gefahr, strategisch und auf perfide Art und Weise. Deshalb gilt: Demokraten dürfen sich nicht spalten lassen, wir müssen belastbare Netzwerke gestalten. Wir müssen Dialogräume öffnen, interne Konflikte austragen und aushalten. Und wir müssen Rechtssicherheit schaffen, indem wir Werte und Sanktionsinstrumente bei Verletzung dieser definieren und in die Satzungen aufnehmen“, sagte er.
Michaela Röhrbein hat Sympathien für die Anregung, dass der DOSB für seine Mitgliedsorganisationen eine Kampagne zur Satzungsüberarbeitung starten könnte. Sie sagte: „Wir brauchen Mut zum Konflikt – nicht nur gegenüber der AfD, sondern auch im Umgang mit dem gesellschaftlichen Backlash insgesamt. Und wir müssen die guten Ideen, Konzepte und Gutachten auch bis an die Basis bringen – das ist die große Herausforderung und geht nur in enger Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsorganisationen.“
Das „Wort zum Montag“ blieb dann der Person vorbehalten, die mit dem Blick von außen dem organisierten Sport den Spiegel vorhielt. „Ihr seid eine unglaubliche Kraft, weil ihr Menschen begeistert. Damit habt ihr einen riesigen Hebel. Habt Mut zu Konflikten, das wird sich für die Gemeinschaft auszahlen“, sagte Tahera Ameer. Und sie wirkte dabei nicht so, als würde sie Widerspruch dulden.