„Ich möchte später sagen können: Was hatte ich für geile Jahre!“
Turn-Europameisterin Karina Schönmaier spricht vor der WM in Indonesien über ihre Rolle als Teamälteste, die größte Medaillenchance bei den Titelkämpfen und die wichtige Rolle, die ihr Trainerteam für ihre Karriere spielt.

10.10.2025

Für Karina Schönmaier beginnt am Montagabend mit dem Flug nach Jakarta eine ganz besondere Reise. Zum einen war die Turn-Europameisterin am Sprung noch nie so weit von zu Hause entfernt und hatte deshalb „ein wenig Angst davor, 15 Stunden am Stück zu fliegen“. Zum anderen ist die 20-Jährige vom TuS Chemnitz-Altendorf im Aufgebot für die Weltmeisterschaften, die vom 19. bis 25. Oktober in Indonesiens Hauptstadt ausgetragen werden, nach den Rücktritten von Elisabeth Seitz und Sarah Voss sowie den verletzungsbedingten Ausfällen von Pauline Schäfer-Betz und Helen Kevric die älteste und erfahrenste Athletin. Silja Stöhr (17/SG Heddesheim) und Schönmaiers Vereinskameradin Jesenia Schäfer (15) erleben in der Elf-Millionen-Einwohner-Megacity ihre WM-Premiere. Wie sie mit ihrer Rolle umgeht und warum Turnen für sie ein „sicherer Ort“ ist, erläutert die gebürtige Bremerin, die bei den Olympischen Spielen in Paris als Ersatzturnerin zum Team Deutschland zählte, im Interview.
DOSB: Karina, wie fühlt es sich an, mit gerade einmal 20 Jahren die erfahrenste und älteste Athletin im deutschen Aufgebot zu sein?
Karina Schönmaier: Es ist schon etwas komisch, dass die vielen Erfahrenen nicht mehr da sind. Die Aufregung steigt von Tag zu Tag. In den Qualifikationen bin ich gut durchgekommen, das hat mir viel Sicherheit gegeben. Dennoch ist eine Anspannung da, die ich in der Form noch nicht kannte. Bei den Weltmeisterschaften 2022 in Liverpool und 2023 in Antwerpen war ich einfach nur froh, dass ich dabei war. Nun bin ich die erfahrenste Turnerin im Aufgebot.
Wie gehst du mit dieser veränderten Rolle um?
So viel hat sich gar nicht verändert. Ich fühle mich überhaupt nicht als Anführerin, die irgendwelche Ansagen macht. Wir sind alle komplett auf Augenhöhe, jede hat Mitspracherecht. Ich habe keine Sonderstellung, muss auch auf niemanden aufpassen. Wir sind ein sehr junges Team, kommen aber bestens miteinander aus. Das macht es mir leicht, mich wohlzufühlen.
Nach dem EM-Titel am Sprung und dem Sieg bei den deutschen Meisterschaften im Mehrkampf und am Boden wirst du als Hoffnungsträgerin des deutschen Teams bezeichnet. Ist das zusätzlicher Ansporn oder nur mehr Druck?
Von beidem etwas. Meine persönliche Ausgangslage hat sich natürlich verändert. Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Jahr schon einige starke Wettkämpfe zeigen konnte, denn das gibt mir Sicherheit und gleichzeitig das Gefühl, noch mehr erreichen zu können und vor allem zu wollen. Andererseits ist der Druck schon höher, vor allem aber der, den ich mir selber mache. Früher habe ich einfach gemacht und gehofft, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Diese Herangehensweise funktioniert nicht mehr, da hat sich in meiner Gedankenwelt etwas verändert. Jetzt denke ich öfter: Ich muss perfekt sein, darf keine Fehler machen. Das ist schon manchmal stressig. Trotzdem gelingt es mir zum Glück meistens, diesen Stress gut auszubalancieren und mit der notwendigen Leichtigkeit an die Übungen zu gehen.
Wie gelingt es dir, diese Stressbalance im Griff zu behalten?
Das ist eine Mischung aus mehreren Faktoren. Zum einen hilft mir meine Erfahrung, ich war schon bei mehreren Welt- und Europameisterschaften dabei, und jeder große internationale Wettkampf bringt mich ein Stück weiter in meiner Entwicklung. Zum anderen ist für mich Kommunikation extrem wichtig. Beim Weltcup in Paris zum Beispiel habe ich kurz vorm Wettkampf Angst bekommen, dass ich nicht ordentlich performen würde. Diese Ängste habe ich mit dem Trainerteam besprochen, und das hat mir sehr geholfen. Im Training stresse ich mich manchmal auch zu sehr, dann muss ich von außen beruhigt werden. Das gelingt aber immer sehr gut. Deshalb bin ich meinen Trainern, allen voran Tati und Anatol (Tatjana Bachmayer und Anatol Ashurkov vom Chemnitzer Stützpunkt, d. Red.), sehr dankbar für ihre Unterstützung. Wir sind als Team sehr gut zusammengewachsen und haben über die Jahre tiefes Vertrauen aufgebaut. Ich kann die beiden auch nachts anrufen und mit ihnen über alles sprechen.
Gibt es außerhalb des Trainerteams weitere wichtige Bezugspersonen für dich?
In erster Linie meine Mutter, mit ihr telefoniere ich oft und erzähle ihr alles, was mich bewegt. Aber da sie nicht in Chemnitz vor Ort ist, spreche ich auch viel mit Freundinnen und Teamkolleginnen. Anna-Lena König und Lea Quaas sind wichtige Menschen in meinem Leben, wir kochen oft zusammen und sprechen über das Turnen. Aber auch zu Eli und Sarah habe ich regelmäßig Kontakt. Dass sie für mich da sind, ist mir wichtig.
Du bezeichnest deinen Sport als deinen „safe place“. Das mag manche erstaunen angesichts der vielen negativen Nachrichten aus dem Turnen in den vergangenen Monaten. Warum ist Turnen dein sicherer Ort?
Weil ich spüre, wie gut es mir tut. Als Sportsoldatin kann ich mich komplett auf meinen Sport konzentrieren, in meinem Kopf ist oftmals nur Turnen. Im Training kann ich vollkommen abschalten und mich auf nichts anderes als meine Übung konzentrieren. Ich gehe wirklich jeden Tag gern in die Turnhalle, weil wir dort alles mit Leidenschaft und Freude machen. Ich habe in Chemnitz ein Umfeld gefunden, das mich bedingungslos unterstützt und mir das Gefühl von Geborgenheit gibt. Im Sport fühle ich mich einfach zu Hause, deshalb ist das Turnen mein sicherer Ort.
Du bist als Teenagerin an den Olympiastützpunkt Chemnitz gegangen, musstest also schon früh Selbstständigkeit erlernen. Woran hast du damals festgemacht, dass das der richtige Schritt sein würde?
Ich habe früh gespürt, dass ich schnell lerne und deshalb im normalen Vereinsumfeld nicht weiterkommen würde. Mit Blick auf meine sportliche Zukunft musste ich den Schritt gehen. Ich gebe zu, dass er mir nicht leicht gefallen ist und es seine Zeit gebraucht hat, bis es sich so angefühlt hat, dass ich angekommen bin. Ich hatte aber zu jedem Zeitpunkt das Gefühl, dass es funktionieren kann, und ich bin dankbar und froh, dass es so gekommen ist. Das bestärkt mich, umso mehr brenne ich für den Sport.
Gab es diesen einen Moment, in dem du wusstest: Die ganzen Mühen haben sich gelohnt?
Ja, bei der EM in Leipzig Ende Mai. Als Europameisterin von einem großen Publikum gefeiert zu werden, war ein unbeschreibliches Gefühl. Dieser Moment hat mich wahnsinnig bestärkt, noch mehr Gas zu geben. Ich freue mich seitdem noch mehr auf alles, was noch kommt.
Du warst 2024 in Paris Ersatzturnerin bei Olympischen Spielen. Was hat diese Erfahrung in dir ausgelöst?
Zunächst war ich ziemlich down, weil ich so knapp daran gescheitert war, ins Team zu rutschen. Das war schon etwas enttäuschend. Aber das ganze Drumherum war unglaublich und hat mich noch mehr motiviert, es 2028 in Los Angeles ins Aufgebot zu schaffen. Olympia ist das große Ziel. Wenn ich das schaffe, hätte ich alles erreicht, was ich mir für meine Karriere vorgenommen habe. Das wäre die Kirsche auf der Torte. Bei Elis Abschied habe ich gesehen, was es an Emotionen freisetzt, eine solch große Karriere erlebt zu haben. Ich möchte später auch sagen können: Was hatte ich für geile Jahre im Turnen!
Zunächst steht nun aber deine dritte WM an. Worauf freust du dich in Jakarta am meisten?
Am coolsten finde ich, dass die WM so weit entfernt von meiner Heimat stattfindet, das fühlt sich besonders exotisch an. Ich bin sehr gespannt auf Indonesien, das wird sicherlich eine tolle Erfahrung. Sportlich ist es erstmals so, dass ich das Gefühl habe, nicht einfach nur dabei zu sein, sondern mit den Besten konkurrieren zu können. Auf diese Chance freue ich mich sehr, das gibt mir einen besonderen Nervenkitzel.
Wo siehst du deine größten Chancen?
Das ist schwer einzuschätzen. Bei der EM lief der Sprung sehr gut, aber ich muss in der Quali erst einmal schauen, wie die weltweite Konkurrenz so drauf ist. Am Boden habe ich noch einmal aufgestockt und freue mich sehr darauf, mein Programm vor einem großen Publikum zu präsentieren. Auch der Mehrkampf ist mir wichtig. Ich bin total gespannt darauf herauszufinden, wo ich weltweit stehe.
Wann wäre die WM für dich ein Erfolg?
Als Europameisterin ist der Sprung für mich das wichtigste Gerät, da ist die Finalteilnahme das Minimalziel. Ich denke, dass es auch realistisch ist, das Finale am Boden und im Mehrkampf zu erreichen. Die erste WM-Medaille wäre natürlich schon cool, aber ich versuche, nicht daran zu denken, sondern vor allem Spaß zu haben und mein Zeug zu machen, dann wird es schon klappen. Wenn es zur Medaille reicht, werde ich mich riesig freuen, aber wenn es nicht funktioniert, werden weitere Chancen kommen. Und die Erfahrungen, die ich in Jakarta mache, kann mir niemand mehr nehmen.
Alles Gute für die Wettkämpfe und vielen Dank für das Gespräch!